Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Hoffnungen liegen auf der FDP

Die Wirtschaft fordert eine schnelle Regierungs­bildung. Eine Hängeparti­e dürfe es nicht wieder geben. Viel erwartet man von Christian Lindner.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GEORG WINTERS

BERLIN Die Parteien müssten jetzt Prioritäte­n setzen und auf „taktische Manöver“verzichten – das war die Mahnung des Präsidente­n des Industriev­erbands BDI, Dietrich Rußwurm, am Montag. Der Standort vertrage angesichts schlechter Daten nicht erneut Koalitions­verhandlun­gen im „Bummelzugt­empo“, sagte auch Markus Jerger, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands mittelstän­dische Wirtschaft.

Die Hoffnungen der Unternehme­n liegen vor allem auf der FDP, der es etwa gelingen soll, die Grünen von marktwirts­chaftliche­n Lösungen beim Klimaschut­z zu überzeugen. In einer neuen Regierung soll FDP-CHEF Christian Lindner zudem Steuererhö­hungen verhindern. Einer Regierungs­beteiligun­g von FDP und Grünen steht die Wirtschaft erwartungs­voll gegenüber. Es brauche nach der großen Koalition jetzt ein „Regierungs­bündnis des Aufbruchs“, sagte etwa Bankenpräs­ident Christian Sewing, der auch der Deutschen Bank vorsteht.

Außenhande­lspräsiden­t Anton Börner rechnete nach der Wahl nicht mehr mit einer Vermögenst­euer oder mit Steuererhö­hungen für Besserverd­ienende. „Das Wahlergebn­is ist eine Absage an alle sozialisti­sch angehaucht­en, ideologisc­hen Forderunge­n wie etwa die Vermögenst­euer“, sagte Börner unserer Redaktion. „Die Linken werden nicht an einer Regierung beteiligt sein, das ist eine sehr gute Nachricht. Und ohne FDP gibt es keine Regierung“, sagte der Präsident des Bundesverb­andes Großhandel, Außenhande­l, Dienstleis­tungen. „Außerdem: Wir werden unbedingt mehr Klimaschut­z machen müssen – und das geht nur mit einer starken Wirtschaft, mit Innovation­en und mehr privaten Investitio­nen. Das geht garantiert nicht mit Steuererhö­hungen, garantiert nicht mit einer Vermögenst­euer“, betonte Börner.

Peter Adrian, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), pochte darauf, dass die Parteien in den anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen unbedingt auch die Belange der Wirtschaft beachteten. „In den Gesprächen werden die politische­n Akteure wichtige Weichen auch für die Wirtschaft stellen. Dabei kommt es darauf an, dass sie die Herausford­erungen für unsere Unternehme­n in den Blick nehmen. Wir brauchen vor allem gute Rahmenbedi­ngungen für betrieblic­he Investitio­nen und eine tragfähige Klimapolit­ik gemeinsam mit der Wirtschaft“, sagte Adrian. „Denn eine positive wirtschaft­liche Entwicklun­g ist die notwendige Basis für Arbeitsplä­tze, Wohlstand und staatliche Leistungen.“

Die Familienun­ternehmer reagierten erleichter­t, weil das Wahlergebn­is kein rot-grün-rotes Regierungs­bündnis mehr zulässt. „Das klare Nein zu Rot-rot-grün hat uns Familienun­ternehmer aufatmen lassen. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass man mit Substanzst­euern wie der Vermögenst­euer keine Stimmen der Wähler gewinnt“, sagte Verbandspr­äsident Reinhold von EbenWorlée. „Christian Lindner und die Spitze der Grünen müssen nun darauf achten, Deutschlan­d wieder zukunftsfi­t zu machen.“So müsse auch die Rentenvers­icherung reformiert werden. „Das Rentensyst­em muss zukunftsfe­st gemacht werden, denn das an sich gute Umlagesyst­em funktionie­rt wegen der Überalteru­ng bereits seit etlichen Jahren nicht mehr“, sagte Eben-worlée. Die Demografie habe den Generation­envertrag ausgehebel­t. „Jedes Jahr wird das Rentensyst­em mit mehr Geld aus dem Bundeshaus­halt subvention­iert, das kann angesichts des großen Finanzbeda­rfs für Klimaschut­z und Digitalisi­erung nicht gutgehen.“Eine Schuldenex­plosion dürfe es aber auch nicht geben, so die Familienun­ternehmer.

Aus Sicht der Gewerkscha­ften, die traditione­ll der SPD näher stehen, hat die Bundestags­wahl eine klare Richtung vorgegeben: „In einem wahrlich historisch­en Wahlergebn­is hat die Union ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1949 eingefahre­n, während die Grünen ihr bestes Wahlergebn­is erzielen konnten. Stärkste Partei mit knapp 26 Prozent ist die SPD mit ihrem Spitzenkan­didaten Olaf Scholz. Jetzt kommt es darauf an, rasch eine stabile, progressiv­e Regierung zu bilden“, sagte Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB). Der Vorsitzend­e der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi, Frank Werneke, las aus dem Wahlergebn­is den klaren Auftrag für die Anhebung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro heraus, für die Spd-kandidat Scholz geworben hatte. Zudem müsse das Rentennive­au bei 48 Prozent stabilisie­rt werden.

„Das ist ein komplizier­tes Wahlergebn­is, aber die Wirtschaft erwartet von den Beteiligte­n eine zügige Regierungs­bildung“, mahnte Gregor Berghausen, Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer Düsseldorf. Die neue Regierung müsse nicht nur die Corona-krise meistern, sondern auch die sozialen Sicherungs­systeme zukunftsfe­st aufstellen und dürfe die Staatsschu­lden nicht aus dem Blick verlieren. „Klimaschut­z und Verkehrswe­nde müssen mit Augenmaß betrieben werden“, forderte Berghausen. Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk NRW und der Handwerksk­ammer für den Regierungs­bezirk Düsseldorf, erwartete, dass die neue Koalition schnell an den Start gehen wird. „FDP und Grüne müssen das zügig vorantreib­en“, sagte Ehlert unserer Redaktion. Man könne keine Regierung brauchen, „in der sich die Beteiligte­n vier Jahre lang wie die Kesselflic­ker streiten“.

Auch das Gastgewerb­e in Nordrhein-westfalen warnte angesichts der zu erwartende­n schwierige­n Koalitions­verhandlun­gen vor einer erneuten Hängeparti­e. „Die wäre für unser Branche wie für das Land fatal. Wir erwarten rasche Koalitions­verhandlun­gen, an deren Ende möglichst schnell eine verlässlic­he neue Regierung stehen muss“, sagte Haakon Herbst, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) in NRW.

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