Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Hoffnungen liegen auf der FDP
Die Wirtschaft fordert eine schnelle Regierungsbildung. Eine Hängepartie dürfe es nicht wieder geben. Viel erwartet man von Christian Lindner.
BERLIN Die Parteien müssten jetzt Prioritäten setzen und auf „taktische Manöver“verzichten – das war die Mahnung des Präsidenten des Industrieverbands BDI, Dietrich Rußwurm, am Montag. Der Standort vertrage angesichts schlechter Daten nicht erneut Koalitionsverhandlungen im „Bummelzugtempo“, sagte auch Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft.
Die Hoffnungen der Unternehmen liegen vor allem auf der FDP, der es etwa gelingen soll, die Grünen von marktwirtschaftlichen Lösungen beim Klimaschutz zu überzeugen. In einer neuen Regierung soll FDP-CHEF Christian Lindner zudem Steuererhöhungen verhindern. Einer Regierungsbeteiligung von FDP und Grünen steht die Wirtschaft erwartungsvoll gegenüber. Es brauche nach der großen Koalition jetzt ein „Regierungsbündnis des Aufbruchs“, sagte etwa Bankenpräsident Christian Sewing, der auch der Deutschen Bank vorsteht.
Außenhandelspräsident Anton Börner rechnete nach der Wahl nicht mehr mit einer Vermögensteuer oder mit Steuererhöhungen für Besserverdienende. „Das Wahlergebnis ist eine Absage an alle sozialistisch angehauchten, ideologischen Forderungen wie etwa die Vermögensteuer“, sagte Börner unserer Redaktion. „Die Linken werden nicht an einer Regierung beteiligt sein, das ist eine sehr gute Nachricht. Und ohne FDP gibt es keine Regierung“, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen. „Außerdem: Wir werden unbedingt mehr Klimaschutz machen müssen – und das geht nur mit einer starken Wirtschaft, mit Innovationen und mehr privaten Investitionen. Das geht garantiert nicht mit Steuererhöhungen, garantiert nicht mit einer Vermögensteuer“, betonte Börner.
Peter Adrian, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), pochte darauf, dass die Parteien in den anstehenden Koalitionsverhandlungen unbedingt auch die Belange der Wirtschaft beachteten. „In den Gesprächen werden die politischen Akteure wichtige Weichen auch für die Wirtschaft stellen. Dabei kommt es darauf an, dass sie die Herausforderungen für unsere Unternehmen in den Blick nehmen. Wir brauchen vor allem gute Rahmenbedingungen für betriebliche Investitionen und eine tragfähige Klimapolitik gemeinsam mit der Wirtschaft“, sagte Adrian. „Denn eine positive wirtschaftliche Entwicklung ist die notwendige Basis für Arbeitsplätze, Wohlstand und staatliche Leistungen.“
Die Familienunternehmer reagierten erleichtert, weil das Wahlergebnis kein rot-grün-rotes Regierungsbündnis mehr zulässt. „Das klare Nein zu Rot-rot-grün hat uns Familienunternehmer aufatmen lassen. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass man mit Substanzsteuern wie der Vermögensteuer keine Stimmen der Wähler gewinnt“, sagte Verbandspräsident Reinhold von EbenWorlée. „Christian Lindner und die Spitze der Grünen müssen nun darauf achten, Deutschland wieder zukunftsfit zu machen.“So müsse auch die Rentenversicherung reformiert werden. „Das Rentensystem muss zukunftsfest gemacht werden, denn das an sich gute Umlagesystem funktioniert wegen der Überalterung bereits seit etlichen Jahren nicht mehr“, sagte Eben-worlée. Die Demografie habe den Generationenvertrag ausgehebelt. „Jedes Jahr wird das Rentensystem mit mehr Geld aus dem Bundeshaushalt subventioniert, das kann angesichts des großen Finanzbedarfs für Klimaschutz und Digitalisierung nicht gutgehen.“Eine Schuldenexplosion dürfe es aber auch nicht geben, so die Familienunternehmer.
Aus Sicht der Gewerkschaften, die traditionell der SPD näher stehen, hat die Bundestagswahl eine klare Richtung vorgegeben: „In einem wahrlich historischen Wahlergebnis hat die Union ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 eingefahren, während die Grünen ihr bestes Wahlergebnis erzielen konnten. Stärkste Partei mit knapp 26 Prozent ist die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz. Jetzt kommt es darauf an, rasch eine stabile, progressive Regierung zu bilden“, sagte Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, las aus dem Wahlergebnis den klaren Auftrag für die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro heraus, für die Spd-kandidat Scholz geworben hatte. Zudem müsse das Rentenniveau bei 48 Prozent stabilisiert werden.
„Das ist ein kompliziertes Wahlergebnis, aber die Wirtschaft erwartet von den Beteiligten eine zügige Regierungsbildung“, mahnte Gregor Berghausen, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf. Die neue Regierung müsse nicht nur die Corona-krise meistern, sondern auch die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest aufstellen und dürfe die Staatsschulden nicht aus dem Blick verlieren. „Klimaschutz und Verkehrswende müssen mit Augenmaß betrieben werden“, forderte Berghausen. Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk NRW und der Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Düsseldorf, erwartete, dass die neue Koalition schnell an den Start gehen wird. „FDP und Grüne müssen das zügig vorantreiben“, sagte Ehlert unserer Redaktion. Man könne keine Regierung brauchen, „in der sich die Beteiligten vier Jahre lang wie die Kesselflicker streiten“.
Auch das Gastgewerbe in Nordrhein-westfalen warnte angesichts der zu erwartenden schwierigen Koalitionsverhandlungen vor einer erneuten Hängepartie. „Die wäre für unser Branche wie für das Land fatal. Wir erwarten rasche Koalitionsverhandlungen, an deren Ende möglichst schnell eine verlässliche neue Regierung stehen muss“, sagte Haakon Herbst, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in NRW.