Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Berliner stimmen für Enteignung
Politiker und Immobilienkonzerne kritisieren das Votum und sprechen sich für konstruktivere Lösungen aus.
BERLIN (rtr) Die Mehrheit der Berliner hat sich in einem Volksentscheid hinter Forderungen zur Vergesellschaftung von Wohnungen großer Immobilienkonzerne gestellt. 56,4 Prozent und damit mehr als eine Million Bürger stimmten für die von der Gruppe „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“angeschobene Initiative. 39 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen votierten mit Nein. Der Entscheid ist für den neuen Senat aber rechtlich nicht bindend. Die Spitzenkandidatinnen der beiden bei der Wahl stärksten Parteien, SPD und Grüne, äußerten sich zurückhaltend zu einer Umsetzung. Der Immobilienkonzern Vonovia, der vor der Übernahme des in der Hauptstadt besonders umstrittenen Konkurrenten Deutsche Wohnen steht, sprach sich für konstruktivere Lösungen als Enteignungen aus.
„Egal in welcher Zusammensetzung – die zukünftige Regierungskoalition wird die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umsetzen müssen“, forderte die Initiative. Sie setzt sich für die Enteignung von Wohnungskonzernen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin ein, Genossenschaften sollen aber nicht betroffen sein. Dabei sollen mehr als 240.000 Wohnungen gemäß der Vorlage der Initiative in den Besitz einer Anstalt des öffentlichen Rechts überführt werden. Sie kündigte an, die kommenden Koalitionsverhandlungen intensiv zu begleiten: „Eine Missachtung des Volksentscheids wäre ein politischer Skandal.“
Spd-spitzenkandidatin Franziska Giffey, die bei der Wahl in der Hauptstadt mit ihrer Partei stärkste Kraft wurde, kündigte an, das Ergebnis des Volksentscheids zu respektieren. Es sei ein Appell an den Senat, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten und dann auch eine rechtliche Prüfung zu vollziehen, sagte sie in der ARD: „Wenn das nicht verfassungskonform ist, dann können wir das auch nicht machen.“Enteignungen trügen nicht dazu bei, neue Wohnungen zu schaffen und die Frage bezahlbaren Wohnraums zu lösen. „Aber es muss eine sehr, sehr ernste Prüfung geben, über Rechtsmäßigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Finanzierbarkeit und die Folgen, die das für das Land auch hat“, fügte sie später vor Journalisten hinzu. Es handele sich zudem um einen Appell an die Politik und nicht um einen Gesetzentwurf. Die Grünen-spitzenkandidatin Bettina Jarasch sprach in der ARD von einem sehr deutlichen Votum. In Berlin werde Druck für eine gute Lösung beim Thema bezahlbarer Wohnraum gebraucht.
Vonovia-chef Rolf Buch sagte, der Konzern stehe bereit, mit einer neuen Landesregierung und den gesellschaftlichen Akteuren der Stadt die Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt anzugehen. Er sprach sich für ein „neues Bündnis für das Wohnen“aus. Für Buch steht der Berliner Markt aktuell stärker im Fokus – hat sich sein Konzern doch eine Mehrheit an dem Konkurrenten Deutsche Wohnen gesichert. Dies stand am Markt auch im Vordergrund. Im Dax waren die Aktien von Vonovia mit einem Plus von 4,4 Prozent trotz des Volksentscheids Spitzenreiter. Die Papiere von Deutsche Wohnen notierten knapp im Plus.
Beide Konzerne hatten bei der Ankündigung ihrer Fusionspläne versucht, die Debatte um bezahlbaren Wohnraum zu entschärfen. Dazu verkaufen sie rund 14.750 Wohnungen für knapp 2,5 Milliarden Euro an kommunale Wohnungsunternehmen in Berlin. Im nächsten Schritt wollen sie ihre Mieten dort freiwillig für die nächsten fünf Jahre begrenzen. Darüber hinaus sind sie bereit, rund 13.000 neue Wohnungen in Berlin zu bauen. Vonovia und Deutsche Wohnen kommen nach Berechnungen des Bundeskartellamts mit über 150.000 Wohnungen in der Hauptstadt auf einen Marktanteil bei Mietwohnungen von rund zehn Prozent. Auch die Deutsche Wohnen versprach einen konstruktiven Dialog. Der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen übte scharfe Kritik an dem Votum: „Die Ziele des Volksentscheids kosten viel Geld, bringen keine neue Wohnung und können verfassungskonform gar nicht umgesetzt werden.“
Die scheidende rot-rot-grüne Koalition in Berlin hatte bereits versucht, die Preissteigerungen auf dem überhitzten Wohnungsmarkt mit einem Mietendeckel zu bremsen. Dieser war aber vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden. Vermieter waren gegen die MietObergrenze Sturm gelaufen.