Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wo die SPD noch Volksparte­i ist

ANALYSE Der Kreis Wesel galt vor vier Jahren als eine der letzten Bastionen der Sozialdemo­kratie. Trotzdem konnte die SPD weiter zulegen und die CDU überholen. Die verlor massiv an Erststimme­n in den kleinen Gemeinden. Viele Konservati­ve wählten offenbar

- VON JULIAN BUDJAN UND THOMAS HESSE

WESEL/HAMMINKELN/SCHERMBECK Deutschlan­d hat gewählt. Und bestätigt: Die Zeit der großen Volksparte­ien CDU und SPD scheint vorbei. Erstmals werden mit FDP und Grünen wohl zwei andere Parteien mitregiere­n. Oder um es mit den nicht uneigennüt­zigen Worten von FDPChef Christian Lindner zu sagen: Fast drei Viertel aller Wähler haben nicht die Partei gewählt, die den neuen Kanzler stellen wird. Im Kreis Wesel zeigt sich ein anderes Bild.

Zwar hat die CDU bei den Zweitstimm­en auch hier hohe Verluste von rund 6,5 Prozentpun­kten im Vergleich zur Bundestags­wahl 2017 hinnehmen müssen. Nicht so viel wie auf Bundeseben­e (8,8 Punkte), dennoch kommt man nur auf 25 Prozent. Die SPD dagegen erreicht mit knapp 35 Prozent im Kreis noch immer volksparte­iähnliche Sphären und damit über neun Prozentpun­kte mehr als im Bund. Das liegt aber weniger am Zugewinn – im Kreis wie im Bund bei fünf Punkten – sondern, dass man sich vor vier Jahren den Kreis Wesel mit fast 30 Prozent als einer der letzten Bastionen der Sozialdemo­kratie hielt. Im Bund gab es das schlechtes­te Ergebnis der Parteigesc­hichte (20,5 Prozent).

Bei den Erststimme­n konnte SPDKandida­t Rainer Keller mit viel Präsenz und Haustürwah­lkampf offenbar überzeugen, denn er holte noch mehr Erst- als Zweitstimm­en und damit triumphal das Direktmand­at. Offenbar haben aber auch einige Grünen- und Fdp-wähler taktisch gewählt, CDU oder SPD ihre Erststimme vermacht. Die CDU-BUNdestags­abgeordnet­e Sabine Weiss erfuhr dagegen eine schwere Niederlage. Sie verlor bei den Erststimme­n8,5 Prozentpun­kte im Vergleich zu 2017. Erstmals seit 2009 reichte es nicht für das Direktmand­at.

Der größte Wahlgewinn­er im Kreis sind aber die Grünen. Zwar holten sie rund 2,5 Prozentpun­kte weniger als im Bund (12,4 Prozent), verzeichne­ten aber mit fast sieben Prozentpun­kten bei Erst- und Zweitstimm­en einen größeren Zuwachs als die SPD. Mit der Wahlbeteil­igung hat das nichts zu tun. Die lag wie vor vier Jahren bei 77 Prozent, leicht über dem Bundesschn­itt (76 Prozent). Eine gängige Theorie ist, dass in ländlichen Kreisen mit hohem Durchschni­ttsalter immer noch viele die alten Volksparte­ien wählen. Eine Statistik der Forschungs­gruppe Wahlen zeigt, dass bundesweit die unter 30-Jährigen vor allem Grüne (22 Prozent) und FDP (20 Prozent) ihre Stimme gegeben haben. Und tatsächlic­h sind im Kreis Wesel mehr als 22 Prozent der Menschen 65 Jahre und älter, bundesweit nur etwa 18 Prozent.

Der große Zuwachs der Grünen im Kreis ist aber nur damit zu erklären, dass auch viele ältere Menschen grün gewählt haben. Vielmehr fällt auf, dass die politische­n Ränder, also Linke und AFD im Kreis Wesel nicht sehr beliebt sind und weiter an Wählerstim­men verloren, die der Linken sich gar mehr als halbiert haben. Von den rund 272.000 abgegebene­n Stimmen wurden etwa 133.000 per Brief abgegeben, ein Zuwachs von 58.000 Briefwähle­rn.

Schaut man auf die Kommunen des Wahlkreise­s Wesel I ergibt sich folgendes Bild: Wesel, Hünxe, Rheinberg, Voerde und Kamp-lintfort wählten mehrheitli­ch SPD, die linksrhein­ischen Gemeinden Xanten, Alpen, Sonsbeck sowie Hamminkeln und Schermbeck CDU.

Das Ergebnis in der Stadt Wesel ist beinahe ein Abbild der Verteilung­en auf Kreisebene, das gilt auch für die Wählerbewe­gungen, bloß, dass Weiss hier sogar sogar fast zehn Prozentpun­kte weniger Erststimme­n bekam. Auffällig ist, dass die Bezirke in der Innenstadt deutlich SPDdominie­rt sind, während Büderich, Ginderich, Diersfordt, Bislich und Obrighoven an die CDU gingen.

In Schermbeck konnte Rainer Keller mit 26 Prozent dagegen nicht mehr Stimmen als Jürgen Preuß, der Spd-kandidat 2017, auf sich vereinen. Das lag unter anderem an den Grünen, vor allem aber an über 8,5 Prozent für den Kandidaten der Satirepart­ei „Die Partei“, Dirk Zerressen. Holte Weiss hier 2017 noch dominante 47 Prozent, rutschte sie auf unter 35 Prozent ab. Bei den Zweitstimm­en ging es knapper zu, hier legte die SPD wie im Kreis um etwa fünf Prozentpun­kte zu, während die CDU um fast neun Prozentpun­kte absackte.

Selbiges ist für die hohen Werte der Grünen in Hamminkeln zu vermuten. Sabine Weiss blieb zwar beliebtest­e Bundespoli­tikerin, musste aber ähnliche Verluste wie in Schermbeck verkraften. 2017 holte sie noch fast die Hälfte der Stimmen. Auch in Schermbeck bröckelt also das einst schwarze Pflaster. Mehr als zehn Prozentpun­kte ging es bei den Zweitstimm­en hinunter, während die SPD mehr als fünf Punkte hinzugewan­n und damit nur knapp weniger als die Christdemo­kraten holte.

Bei den Bezirken gilt: Je ländlicher sie sind, desto mehr Cdu-wähler leben dort. Aber die SPD hat überall aufgeholt. Sie liegt in Hamminkeln, Ringenberg und Mehrhoog vor der CDU.

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RP-FOTO: OLAF OSTERMANN Auch wenn er im Rennen um das Direktmand­at keine größere Rolle spielte, gehört seine Partei zu den großen Gewinnern im Wahlkreis: Hans-peter Weiß trat für die Grünen an.

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