Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wo die SPD noch Volkspartei ist
ANALYSE Der Kreis Wesel galt vor vier Jahren als eine der letzten Bastionen der Sozialdemokratie. Trotzdem konnte die SPD weiter zulegen und die CDU überholen. Die verlor massiv an Erststimmen in den kleinen Gemeinden. Viele Konservative wählten offenbar
WESEL/HAMMINKELN/SCHERMBECK Deutschland hat gewählt. Und bestätigt: Die Zeit der großen Volksparteien CDU und SPD scheint vorbei. Erstmals werden mit FDP und Grünen wohl zwei andere Parteien mitregieren. Oder um es mit den nicht uneigennützigen Worten von FDPChef Christian Lindner zu sagen: Fast drei Viertel aller Wähler haben nicht die Partei gewählt, die den neuen Kanzler stellen wird. Im Kreis Wesel zeigt sich ein anderes Bild.
Zwar hat die CDU bei den Zweitstimmen auch hier hohe Verluste von rund 6,5 Prozentpunkten im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 hinnehmen müssen. Nicht so viel wie auf Bundesebene (8,8 Punkte), dennoch kommt man nur auf 25 Prozent. Die SPD dagegen erreicht mit knapp 35 Prozent im Kreis noch immer volksparteiähnliche Sphären und damit über neun Prozentpunkte mehr als im Bund. Das liegt aber weniger am Zugewinn – im Kreis wie im Bund bei fünf Punkten – sondern, dass man sich vor vier Jahren den Kreis Wesel mit fast 30 Prozent als einer der letzten Bastionen der Sozialdemokratie hielt. Im Bund gab es das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte (20,5 Prozent).
Bei den Erststimmen konnte SPDKandidat Rainer Keller mit viel Präsenz und Haustürwahlkampf offenbar überzeugen, denn er holte noch mehr Erst- als Zweitstimmen und damit triumphal das Direktmandat. Offenbar haben aber auch einige Grünen- und Fdp-wähler taktisch gewählt, CDU oder SPD ihre Erststimme vermacht. Die CDU-BUNdestagsabgeordnete Sabine Weiss erfuhr dagegen eine schwere Niederlage. Sie verlor bei den Erststimmen8,5 Prozentpunkte im Vergleich zu 2017. Erstmals seit 2009 reichte es nicht für das Direktmandat.
Der größte Wahlgewinner im Kreis sind aber die Grünen. Zwar holten sie rund 2,5 Prozentpunkte weniger als im Bund (12,4 Prozent), verzeichneten aber mit fast sieben Prozentpunkten bei Erst- und Zweitstimmen einen größeren Zuwachs als die SPD. Mit der Wahlbeteiligung hat das nichts zu tun. Die lag wie vor vier Jahren bei 77 Prozent, leicht über dem Bundesschnitt (76 Prozent). Eine gängige Theorie ist, dass in ländlichen Kreisen mit hohem Durchschnittsalter immer noch viele die alten Volksparteien wählen. Eine Statistik der Forschungsgruppe Wahlen zeigt, dass bundesweit die unter 30-Jährigen vor allem Grüne (22 Prozent) und FDP (20 Prozent) ihre Stimme gegeben haben. Und tatsächlich sind im Kreis Wesel mehr als 22 Prozent der Menschen 65 Jahre und älter, bundesweit nur etwa 18 Prozent.
Der große Zuwachs der Grünen im Kreis ist aber nur damit zu erklären, dass auch viele ältere Menschen grün gewählt haben. Vielmehr fällt auf, dass die politischen Ränder, also Linke und AFD im Kreis Wesel nicht sehr beliebt sind und weiter an Wählerstimmen verloren, die der Linken sich gar mehr als halbiert haben. Von den rund 272.000 abgegebenen Stimmen wurden etwa 133.000 per Brief abgegeben, ein Zuwachs von 58.000 Briefwählern.
Schaut man auf die Kommunen des Wahlkreises Wesel I ergibt sich folgendes Bild: Wesel, Hünxe, Rheinberg, Voerde und Kamp-lintfort wählten mehrheitlich SPD, die linksrheinischen Gemeinden Xanten, Alpen, Sonsbeck sowie Hamminkeln und Schermbeck CDU.
Das Ergebnis in der Stadt Wesel ist beinahe ein Abbild der Verteilungen auf Kreisebene, das gilt auch für die Wählerbewegungen, bloß, dass Weiss hier sogar sogar fast zehn Prozentpunkte weniger Erststimmen bekam. Auffällig ist, dass die Bezirke in der Innenstadt deutlich SPDdominiert sind, während Büderich, Ginderich, Diersfordt, Bislich und Obrighoven an die CDU gingen.
In Schermbeck konnte Rainer Keller mit 26 Prozent dagegen nicht mehr Stimmen als Jürgen Preuß, der Spd-kandidat 2017, auf sich vereinen. Das lag unter anderem an den Grünen, vor allem aber an über 8,5 Prozent für den Kandidaten der Satirepartei „Die Partei“, Dirk Zerressen. Holte Weiss hier 2017 noch dominante 47 Prozent, rutschte sie auf unter 35 Prozent ab. Bei den Zweitstimmen ging es knapper zu, hier legte die SPD wie im Kreis um etwa fünf Prozentpunkte zu, während die CDU um fast neun Prozentpunkte absackte.
Selbiges ist für die hohen Werte der Grünen in Hamminkeln zu vermuten. Sabine Weiss blieb zwar beliebteste Bundespolitikerin, musste aber ähnliche Verluste wie in Schermbeck verkraften. 2017 holte sie noch fast die Hälfte der Stimmen. Auch in Schermbeck bröckelt also das einst schwarze Pflaster. Mehr als zehn Prozentpunkte ging es bei den Zweitstimmen hinunter, während die SPD mehr als fünf Punkte hinzugewann und damit nur knapp weniger als die Christdemokraten holte.
Bei den Bezirken gilt: Je ländlicher sie sind, desto mehr Cdu-wähler leben dort. Aber die SPD hat überall aufgeholt. Sie liegt in Hamminkeln, Ringenberg und Mehrhoog vor der CDU.