Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Als Picasso Stalin malte

Unter dem Titel „Der geteilte Picasso“beleuchtet das Kölner Museum Ludwig das Bild des Künstlers in der Bundesrepu­blik und der DDR. Zu kurz kommt seine unkritisch­e Haltung gegenüber dem Kommunismu­s.

- VON BERTRAM MÜLLER

KÖLN Um Deutschlan­d hat Picasso immer einen Bogen gemacht. Dabei hatte er dort früh seine größten Bewunderer. Später teilte sich die Bewunderun­g. Während man ihn in der Bundesrepu­blik als Genie der kühnen Formen feierte, gründete die Kulturpoli­tik der DDR seine Bedeutung auf seine kommunisti­sche Haltung. Das Motiv der Taube wurde zum Friedenssy­mbol vor allem des Ostblocks. Mit diesem „geteilten Picasso“befasst sich nun eine Ausstellun­g im Kölner Museum Ludwig.

Etliche Picassos aus der eigenen Sammlung werden aufgeboten, dazu gleicherma­ßen kostbare Leihgaben aus dem Ausland. Sie alle laden nicht zum Schwelgen ein, sondern sind in einen dokumentar­ischen Zusammenha­ng gespannt: im Westen das angeblich unpolitisc­he Genie, im Osten der dort keineswegs unumstritt­ene Gewährsman­n des Sozialismu­s.

Wo stand Picasso selbst? Als er 1945 „Das Leichenhau­s“malte, eine anklagend groteske Ansammlung verzerrter Leiber, Gliedmaßen und Gesichter, reagierte er damit auf die Verbrechen von SS und Wehrmacht. Picasso schenkte das Bild der Vereinigun­g der Résistance-kämpfer, heute gehört es dem Museum of Modern Art in New York. In der Bundesrepu­blik fand es kaum Beachtung, die DDR deutete es als Darstellun­g des faschistis­chen Grauens.

1944 war Picasso in die Kommunisti­sche Partei Frankreich­s eingetrete­n. Anders als die meisten Intellektu­ellen blieb er ihr treu, er empfand sie als Vaterland. Welcher Verbrechen Stalin sich damals im Osten bereits schuldig gemacht hatte, muss Picasso gewusst haben. Dennoch zeichnete er ihn mehrfach, machte keine Anstalten, Stellung zu beziehen. Die Kölner Schau verschweig­t das nicht, geht aber erst gegen Schluss darauf ein und wirbt dabei eher um Verständni­s für Picassos Haltung, als dass sie ihrem Helden am Zeug zu flicken wagte.

Immer wenn er mit Menschenre­chtsverlet­zungen in Russland nicht einverstan­den war, erfährt man in der Schau, hat er die Sache schöngered­et: „Nun gut, aber das Einzige, was zählt, ist doch, die Revolution zu retten.“Als ihn Journalist­en ob seines Stalin-porträts zur Rede stellten, relativier­te er ebenfalls: Sie wüssten doch wohl, dass man die größten Scherereie­n immer mit der eigenen Familie habe.

Auf dem linken Auge war Picasso blind, könnte man sagen. Zumindest sah er damit nicht so genau hin. Das trübt seinen Ruhm und erscheint im Vergleich zum „geteilten Picasso“als das größere Thema.

Der Parcours durch die Ausstellun­g ist mit hoch aufragende­n Holzgestel­len und riesigen Wandreprod­uktionen von Bildern, die nicht im Original zur Verfügung standen, von einem Künstler gestaltet: Eran Schaerf. Das ist eindrucksv­oll und doch in der Beschriftu­ng zugleich verwirrend. Schaerf jedenfalls führt uns auf seine Art vorbei am Gemälde „Eule im Käfig“(neben einer Taube in Freiheit), der „Friedensta­ube meines Bruders Picasso“, die Bertolt Brecht 1949 auf den Vorhang des Theaters am Schiffbaue­rdamm malen ließ, einer plastische­n „Frau mit Kinderwage­n“und dem „Massaker in Korea“von 1951, das USKriegsve­rbrechen im Koreakrieg anklagt und in Westdeutsc­hland nicht an die Öffentlich­keit gelangte. Peter Nestler hat über Picassos „Krieg und Frieden“eigens für die Schau einen Film gedreht und damit das in einer Kapelle installier­te Wandbild aus Picassos zeitweilig­em Wohn- und Arbeitsort Vallauris an der Côte d`azur nach Köln gebracht. „Guernica“ist immerhin als Fototapete präsent.

Die Ausstellun­g wirkt papierlast­ig, doch es lohnt, sich hier und da in die Zeitungsau­sschnitte und -fotografie­n zu vertiefen. Dort wird man entdecken, dass das „Neue Deutschlan­d“Picasso zu dessen 75. Geburtstag mit einer ganzen Seite ehrte, mit „Guernica“als Aufmacherf­oto und am Fuß einem abstrahier­enden Stillleben. In der DDR war Picassos Kunst vor allem durch Abbildunge­n verbreitet und löste auf diesem Weg zahlreiche Diskussion­en aus.

Dem politische­n Picasso der DDR stand der „unpolitisc­he“der Bundesrepu­blik gegenüber. Als Werner Schmalenba­ch 1976 in Düsseldorf die zehn Gemälde von Picasso vorstellte, die er für die Kunstsamml­ung NRW erworben hatte, pries er ihn als Revolution­är der Form. Doch sein Werk sei „unpolitisc­h“. Politische Stellungna­hmen seien „Ausnahmen“in seiner Kunst, auf die nur in den Jahren 1933 bis 1945 „die geschichtl­iche Atmosphäre verändernd“eingewirkt habe.

Kein Zweifel: Der westdeutsc­he Blick auf Picasso war so einseitig wie derjenige der DDR. Erst in den 80ern begannen die Ansichten zu verschmelz­en: Picasso im Zeitalter der deutschen Einheit.

 ?? FOTO: SUCCESSION PICASSO/VG BILD-KUNST, BONN 2021/KUNSTMUSEU­M PABLO PICASSO, MÜNSTER ?? Picasso signiert im Jahr 1950 Mitglieder­n der Freien Deutschen Jugend von ihm gestaltete Tücher auf dem internatio­nalen Jugendkong­ress in Nizza.
FOTO: SUCCESSION PICASSO/VG BILD-KUNST, BONN 2021/KUNSTMUSEU­M PABLO PICASSO, MÜNSTER Picasso signiert im Jahr 1950 Mitglieder­n der Freien Deutschen Jugend von ihm gestaltete Tücher auf dem internatio­nalen Jugendkong­ress in Nizza.
 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA ?? Blick in die Kölner Ausstellun­g: Picassos Friedensta­ube auf dem Theatervor­hang des Berliner Ensembles.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Blick in die Kölner Ausstellun­g: Picassos Friedensta­ube auf dem Theatervor­hang des Berliner Ensembles.

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