Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Gleichberechtigung auch im Misserfolg
Die Grünen werden gerade dafür gescholten, dass ihre weibliche Nummer eins nach der Wahl nur noch die Nummer zwei ist. Es soll einen Deal geben, dass Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zurücksteckt und Co-parteichef Robert Habeck den Posten des Vizekanzlers überlässt. Groß ist die Aufregung. Mit dem Rollenwechsel sei der Gleichberechtigung ein Bärendienst erwiesen – so geht die Kritik. Doch sie führt in die Irre. Ganz so, als müsse eine Frau nicht wie jeder andere Politiker für eigene Fehler geradestehen. Gleichberechtigung endet nicht bei Niederlagen. So wie die Chancen auf Karriere und Erfolg gleich zwischen Frauen und Männern verteilt sein müssen, muss auch die Verantwortung bei Misserfolg gleichermaßen getragen werden. Dass ausgerechnet die Grünen nun des Verrats am Feminismus bezichtigt werden, ist Unsinn.
Das größere Problem liegt woanders. Da sind die Kanzlerkandidaten, Parteichefs und Generalsekretäre von Union, FDP, teils auch der SPD. Da sind Sondierungsteams, die gerade bei Union und FDP ein krasses Missverhältnis zwischen Männern und Frauen aufweisen. Sieht so die Aufstellung für das versprochene Modernisierungsjahrzehnt aus? Soll mit einem männlich dominierten Personaltableau Gleichstellung verwirklicht werden? In ihren Programmen sprechen sich Union, FDP und SPD für mehr Gleichberechtigung und bessere Karrierechancen für Frauen aus. Bei der Umsetzung sollten sie bei sich selbst beginnen.
Nun ist es nicht so, dass nur Frauen eine frauenfreundliche Politik betreiben können. Auch Männer können zu ihren Fürsprechern werden. Doch es geht auch um Vorbilder, um weibliche Sichtbarkeit, um eine gerechte Verteilung von Macht. Für dieses Ziel ist Baerbocks Kandidatur, auch wenn sie ohne Erfolg blieb, am Ende doch ein Gewinn.