Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Ich schätze viele Kollegen der FDP“

ANTON HOFREITER Nach den ersten Sondierung­sgespräche­n spricht der Grünen-fraktionsc­hef über Tempo 130 auf Autobahnen und die Schuldenbr­emse.

- BIRGIT MARSCHALL UND HOLGER MÖHLE FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Hofreiter, wer sind Ihre besten Freunde in der FDP?

HOFREITER Mit besten Freunden in der Politik ist das so eine Sache. Ich schätze viele Kollegen der FDP nach vier Jahren gemeinsame­r Opposition gegen die große Koalition. Da lernt man sich kennen und merkt etwa in der Debatte über eine Reform des Wahlrechts auch, dass man auf einer pragmatisc­hen Ebene gut zusammenar­beiten kann.

Und in der SPD?

HOFREITER Wir Grüne haben traditione­ll gute Kontakte in die SPD. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir auch gute Gespräche über eine Ampel-koalition haben werden.

Lieber Ampel als Jamaika? HOFREITERW­IR haben ja ein Votum der Wählerinne­n und Wähler: die SPD liegt vorne und hat stark zugelegt, die Union hat stark verloren. Dieses Votum nehmen wir natürlich ernst. Hinzu kommt die Frage: Ist die Union mit ihren internen Querelen derzeit überhaupt verhandlun­gsfähig? Selbstvers­tändlich reden wir aber mit allen demokratis­chen Parteien.

Die FDP will nun an diesem Sonntag nicht nur mit der SPD, sondern auch gleich mit der Union sprechen. Wie finden Sie das? HOFREITER Als Erstes haben wir ja miteinande­r gesprochen, das war ein wichtiges Zeichen. Ansonsten terminiert die FDP ihre Termine, so wie sie das für richtig hält, das ist doch völlig okay. Wir sprechen ja ebenfalls mit beiden.

Unterschre­iben die Grünen einen Koalitions­vertrag, in dem ein Tempolimit auf Autobahnen nicht steht?

HOFREITER Schöne Schlagzeil­e! Ich halte nichts davon, einzelne Maßnahmen zur Bedingung zu machen, das verkompliz­iert die Verhandlun­gen und wird unserer Aufgabe nicht gerecht. Es geht jetzt nicht um Spiegelstr­iche, sondern um einen Aufbruch für Klimaneutr­alität, Fortschrit­t und Gerechtigk­eit. Selbstvers­tändlich gehen wir mit unseren gesamten Positionen in diese Verhandlun­gen, dazu gehört auch ein Tempolimit 130 auf Autobahnen.

Der Co2-preis und damit die Benzinprei­se werden in den kommenden Jahren stark steigen. Wie erklärt ein Verkehrsmi­nister Hofreiter das den Bürgern?

HOFREITER Netter Versuch, aber über Posten reden wir ganz zum Schluss. Aber zu ihrer Frage: Ohne Anstrengun­gen werden wir die Klimakrise nicht bewältigen, das ist leider die Dramatik der Situation. Wir müssen dafür sorgen, dass es dabei gerecht zugeht. Das heißt erstens, die Alternativ­en zum Auto zu stärken, etwa dadurch, dass Busse und Bahnen den ländlichen Raum umfassende­r und in einem vernünftig­en Takt bedienen. Aber für viele Menschen wird das Auto gerade auf dem Land unverzicht­bar bleiben. Deshalb müssen wir es Co2-frei machen und die Menschen beim Umstieg unterstütz­en. Wir wollen einen Klimabonus für Menschen mit geringem Einkommen einführen, um ihnen den Umstieg auf ein E-auto zu ermögliche­n.

Die FDP will im Bundeshaus­halt aber auch sparen und deshalb Subvention­en wie die Kaufprämie­n für E-autos am liebsten abschaffen! HOFREITER Das werden wir diskutiere­n. Ich bin mir sicher, auch mit der FDP finden wir gemeinsame Lösungen, damit Klimaschut­z auch für Menschen mit niedrigen Einkommen funktionie­rt.

Die Grünen wollen Investitio­nen von 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr für Klimaschut­z und Digitalisi­erung. Wenn es jetzt nur 25 Milliarden Euro pro Jahr werden, scheitert dann die Ampel? HOFREITER Das ist mir zu unernst. Es geht jetzt darum, Lösungen zu finden, die der Realität gerecht werden. Und die Realität der Klimakrise ist dramatisch. Das muss jede Regierung anerkennen. Deshalb sagen wir, es braucht ein Jahrzehnt der Investitio­nen. Wegen der Klimakrise, aber auch, weil wir neue Netze für Strom und Bahn, schnelles Internet in allen Landesteil­en brauchen, marode Brücken und Schulen sanieren müssen.

In der Corona-krise sind eine halbe Billion Euro neue Schulden angehäuft worden. Das ist für Sie aber kein Grund, jetzt nicht noch mehr Schulden zu machen?

HOFREITER Im Moment kostet es die öffentlich­e Hand keine Zinsen, wenn sie Kredite aufnimmt. Wenn ich mit dem geliehenen Geld produktive Investitio­nen tätige, etwa in das Glasfasern­etz oder eine funktionie­rende Infrastruk­tur, dann habe ich danach mehr öffentlich­es Vermögen und nicht weniger. So würde auch jeder vernünftig­e Unternehme­r handeln. Umso mehr gilt das im Angesicht der Klimakrise, wo uns unterlasse­nes Handeln so unendlich teuer zu stehen kommt.

SPD-CHEF Walter-borjans hat eine Reform der Schuldenbr­emse, wie die Grünen sie wollen, gerade ausgeschlo­ssen, weil es dafür keine Zweidritte­lmehrheit gäbe… HOFREITER Ich sehe die beste Lösung darin, die Schuldenbr­emse so zu reformiere­n, indem sie um eine Investitio­nsregel erweitert wird. Norbert Walter-borjans kann uns aber gerne einen anderen Vorschlag machen, wie es geht.

Die Vermögenst­euer bringen die Grünen auch auf den Tisch? HOFREITER Wir haben in der Corona-pandemie gesehen, in welchem schlechten Zustand unser Bildungssy­stem ist. Unser Vorschlag ist, dass

die Vermögenst­euer wieder eingeführt wird, damit die Länder mehr Geld für die dringend notwendige­n Bildungsin­vestitione­n zur Verfügung haben. Unser Land muss wieder eine Bildungsre­publik werden. Da sehe ich auch große Gemeinsamk­eiten mit der FDP.

Sie haben 2017 Jamaika mit sondiert und gesehen, wie es später gescheiter­t ist. Welche Dinge dürfen sich nicht wiederhole­n?

HOFREITER Es braucht eine gemeinsame Idee, statt Hunderter Spiegelstr­iche. Und den Willen gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. Wir müssen uns aufeinande­r einlassen, bereit sein voneinande­r zu lernen, statt jeweils dem anderen zu erklären, dass er es nicht verstanden hat.

Soll am Ende ein Parteitag oder ein Mitglieder­entscheid den Koalitions­vertrag absegnen? HOFREITER Wir wollen unsere Mitglieder befragen.

Wie sehr hat Robert Habeck Ihre Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock mit dem Anspruch auf das Vizekanzle­r-amt düpiert? HOFREITER Robert und Annalena werden gemeinsam und vertrauens­voll diese Sondierung­en und Verhandlun­gen leiten. Über das Gesamtpake­t des Personals der Grünen für die Bundesregi­erung wird erst am Ende entschiede­n.

Trotzdem wurde die Meldung, Habeck solle Vizekanzle­r werden, nicht dementiert. Wie kommt so etwas an die Öffentlich­keit? HOFREITER Das wüsste ich auch gerne.

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FOTO: BILDGEHEGE/IMAGO Anton Hofreiter sitzt seit dem Jahr 2005 für die Grünen im Bundestag.

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