Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Gegen die Wahrsagerei im Arbeitsrecht
GASTBEITRAG Vier Vw-manager mussten sich vor Gericht wegen Untreue verantworten, weil sie Betriebsräten hohe Gehälter bewilligt hatten. Sie wurden freigesprochen, doch der Vorgang zeigt, wie wichtig klare juristische Regelungen sind, sagt der Bonner Arbei
Die Betriebsratsvergütung bei Volkswagen war am Ende nicht strafbar. Das war eine kluge Entscheidung nach langen Ermittlungen, an deren Ende die Erkenntnis stand: Wie hoch die Vergütung von Betriebsräten ausfällt, ist zunächst einmal eine arbeitsrechtliche Frage; das Strafrecht geht hier nur im Schlepptau. Die Regelungen sind schlicht zu unklar, um mit dem Strafrecht einzugreifen. Hier wäre also größere Klarheit hilfreich, nein: notwendig. Die Bahnen dafür sind gelegt.
Das Ehrenamtsprinzip ist das zentrale Leitmotiv des Betriebsverfassungsgesetzes. Das muss so bleiben, und das gilt es zu stärken: Das Betriebsratsmitglied wird nicht für seine Tätigkeit vergütet, aber es dürfen ihm durch die Wahrnehmung seines Amtes auch keine Nachteile entstehen. So wird die innere Unabhängigkeit des Betriebsrats als Organ gewährleistet. Seine Arbeit soll nicht durch die Gewährung oder den Entzug materieller Leistungen beeinflusst werden. Auf diese Weise soll das Vertrauen der Arbeitnehmer in die interessengerechte Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte gestärkt werden. Der Erfolg des deutschen Modells beruht nicht zuletzt auch auf diesem Prinzip.
Konkret heißt das: Für Betriebsratsmitglieder gilt das Lohnausfallprinzip. Die Berechnung des geschuldeten Entgelts erfolgt auf Grundlage einer hypothetischen Betrachtung. Danach haben Betriebsratsmitglieder Anspruch auf das Arbeitsentgelt, das sie ohne Ausübung der Betriebsratstätigkeit erhalten hätten. Eine solche Wahrsagerei ist oft rechtssicher nicht möglich. Die Beurteilung ist besonders schwierig bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern, insbesondere wenn sie über mehrere Perioden gewählt sind.
Dies wird allgemein und seit Langem beklagt, aber was nützt das dem Arbeitgeber, der alles richtig machen will? Gerade der Braunschweiger Prozess hat deutlich gemacht, wie sehr wir im Dunklen tappen. Das ist umso problematischer, weil ein Betriebsratsmitglied eben auch nicht benachteiligt werden darf. Denn eine Benachteiligung ist genauso mit Strafe bedroht wie eine Begünstigung. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen. Das aber ist oft nur schwer nachzuweisen, und jede Unsicherheit kann zum Streit führen, insbesondere, wenn außertarifliche Vergütungen in Rede stehen – oder wie bei Vw-betriebsratschef Bernd Osterloh mehrere Hunderttausend Euro im Jahr.
Eben hier kann der Gesetzgeber ansetzen und klarere Regeln schaffen. Er kann etwa den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zu konkretisierenden Regelungen an die Hand geben. Oder er kann doch zumindest die Strafbarkeitsregeln schärfen und deutlich machen, dass Benachteiligung und Bevorzugung eben nur dann strafbar sind, wenn sie erfolgen, um die Betriebsratsarbeit zu behindern oder zu korrumpieren. Er kann präziser fassen, ob und welche Qualifikationen, die sich gerade aus der Wahrnehmung des Betriebsratsamts ergeben, bei der Gehaltsentwicklung berücksichtigt werden können. Gerade das war ja auch die entscheidende Frage im Braunschweiger Prozess.
Vor vier Jahren gab es einmal einen Anlauf aus dem Bundesarbeitsministerium, diese Punkte zu regeln. Die Koalitionsparteien konnten sich jedoch nicht einigen. Eine neue Koalition sollte den Faden wieder aufnehmen. Rechtssicherheit ist im Interesse aller Beteiligten.