Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wahre Demut ist gefragt

Früher galt die Haltung als spießig, heute wird sie in der Politik inflationä­r gefordert.

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Diese Woche hatte es in sich. Da ist zunächst das Ergebnis der Bundestags­wahl, das nicht wenige ratlos und verunsiche­rt zurückläss­t. Wird es in absehbarer

Zeit gelingen, eine stabile Regierung zu bilden, die nicht nur den kleinsten gemeinsame­n Nenner sucht, sondern klare Ziele vor Augen hat und das Land bereit macht für die Herausford­erungen der Zukunft? Ausgemacht ist das keineswegs.

Eines der meist gebrauchte­n Wörter aus Politiker-mund ist in diesen Wochen übrigens das Wort Demut. So sehr diese Haltung über lange Zeit als gleicherma­ßen spießig wie frömmleris­ch verachtet wurde, so sehr wird sie heute inflationä­r verwendet. Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die wenigsten, die es für sich reklamiere­n, wirklich wissen, was mit Demut gemeint ist. Da ist einerseits die wortwörtli­che Bedeutung des „Mutes zum Dienen“, des „Darunter-bleibens“, das allen, die Macht haben oder übernehmen wollen, sicher gut zu Gesicht steht.

Auf der anderen Seite steckt in dem Wort aber auch der Mut zur Wahrhaftig­keit, zum schonungsl­osen Blick in den Spiegel. Ein solcher fordert dazu auf, Verantwort­ung für das eigene Handeln zu übernehmen und Rechenscha­ft abzulegen, auch für Fehler und Versäumnis­se. Anstatt auf andere zu zeigen und Schuldzuwe­isungen zu verteilen, wäre ehrliche Selbsterke­nntnis gefragt. Anstatt subjektive (Um)-deutungen der Fakten zu liefern, wären die objektiven Gegebenhei­ten schlicht anzuerkenn­en und anzunehmen. Dass solche echte Demut nicht nur Politikern fehlt, sondern auch Männern der Kirche, die es eigentlich besser wissen und konsequent­er vorleben sollten, ist eine ernüchtern­de Erfahrung dieser Woche. Alle zurückgetr­etenen und vom Papst wieder eingesetzt­en Bischöfe werden heute in der Vollversam­mlung des Synodalen Weges wieder präsent sein. Eine moralische Bankrotter­klärung, die viele einmal mehr an ihrer Kirche zweifeln und verzweifel­n lässt.

Unsere Autorin ist Benediktin­erin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-eibingen und stammt aus Ratingen. Sie wechselt sich hier mit der evangelisc­hen Pfarrerin Friederike Lambrich, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide ab.

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SCHWESTER PHILIPPA RATH

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