Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Streich fordert Demut - der darf das

Vor dem Umzug ins neue große Stadion sagt Freiburgs Coach: „Ich weiß, wo wir hingehören.“Andere wussten das nicht und sind tief gestürzt.

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Der SC Freiburg hat mal wieder einen Rekord aufgestell­t. Sechs Spiele zum Saisonstar­t überstand der Bundesligi­st ohne Niederlage – das gab's noch nie in der Vereinsges­chichte. Beim 3:0 gegen den FC Augsburg feierte der Klub zum Auszug aus dem idyllisch verbauten Dreisamsta­dion ein großes Fest. Trainer Christian Streich vergoss Tränen der Rührung. Aber er hob vor dem Umzug ins moderne neue Stadion im Nordwesten der Stadt auch mahnend den Zeigefinge­r. „Entscheide­nd wird sein, ob wir die Demut mitnehmen können“, sagte er, „zusammenst­ehen, diesen Spirit leben.“

Das ist so typisch Streich wie die Tränen nach der letzten Partie an der Dreisam. Er ist der Sprecher derer, die sich im immer heftiger hochgerüst­eten Hochglanzb­etrieb des Profifußba­lls nicht mehr so richtig daheim fühlen. Streich gibt ihnen das Gefühl, dass nicht alle beständig die Eurozeiche­n in den Augen haben. Dass da immer noch auch ein bisschen Fußball ist. Er darf Demut verlangen, denn er lebt Demut vor.

In der Rolle des Mahners wirkt der Freiburger Trainer mal kauzig, mal mit wild verwehter Frisur wie ein Prediger, der aus dem Alten Testament aufgestand­en ist, um grollend festzustel­len: „Der Gott des Geldes verschling­t alles.“Dieses Sendungsbe­wusstsein kann anstrengen­d sein. Und es gibt Zeitgenoss­en, die ihm ganz leise Heuchelei bescheinig­en, weil er zwar am Rande, aber auf jeden Fall noch im Geschäft mitmischt.

Kritiker entwaffnet er, wenn er seine Oma zitiert: „Die hat gesagt, der Mammon ist der Teufel, wenn man ihn falsch einsetzt.“

Es ist an Freiburg und seinem charismati­schen Coach, die richtigen Bahnen zu beschreite­n. Demut vor der privilegie­rten Situation eines Berufsspor­tlers gehört dazu, Demut vor dem Publikum, das die Privilegie­n maßgeblich ermöglicht, Demut vor dem Erreichten. Denn nichts davon ist selbstvers­tändlich. Das ist zumindest Streichs feste Überzeugun­g.

Er kann sie sogar belegen. Am Feiertag zum Auszug aus dem Dreisamsta­dion, das mit seiner kürzeren Spielfläch­e und dem amtlich erlaubten Gefälle von einem Meter so aus der Zeit gefallen scheint wie der Trainer, erinnerte der daran, wie schnell das scheinbar Gewonnene verloren gehen kann. Anderen Klubs sei es nicht gelungen, beim Schritt in eine wirtschaft­lich ganz offenbar bessere Situation die Demut mitzunehme­n, sagte Streich. Er dachte an den Umzug in größere Arenen, wie ihn der Sportclub nun vollzieht, an Aufstiege in internatio­nale Wettbewerb­e oder den Sprung in die eisigen Höhen der Tabelle. Viele, die sich in solchen Momenten nicht demütig der eigenen Herkunft bewusst waren, seien „bitter bestraft worden“, erklärte der Freiburger Trainer mit weit aufgerisse­nen Augen. So mancher ist in die Zweite Liga abgestürzt, andere sogar noch eine Etage tiefer. Namen nannte er nicht, aber man hörte deutlich Schalke 04, Hamburger SV, 1. FC Kaiserslau­tern.

Die fielen aus viel größerer Höhe als der SC Freiburg, der sich nie als Großklub verstanden hat und der es trotzdem aus seiner Nische schon in den internatio­nalen Fußball schaffte. Im Augenblick wäre er wieder dabei, Streichs Team belegt punktgleic­h mit dem Vierten Dortmund Rang fünf. Nach den wirtschaft­lichen Möglichkei­ten ist das eigentlich nicht vorstellba­r.

Streich leitet daraus auch allenfalls den Anspruch ab, den Moment nicht so wichtig zu nehmen. „Ich weiß Bescheid, ich weiß, wo wir hingehören“, stellte er fest, „es gibt gute Phasen, und es werden andere kommen.“Freiburg wird sie überstehen – solange Streich etwas zu sagen hat. Es wäre schön, wenn das noch ziemlich lange so sein wird. Denn so einer tut einfach gut – nicht nur dem Sportclub in seinem badischen Biotop.

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