Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Auf den letzten Drücker ins Impfzentrum
Am Donnerstag, 20 Uhr, hat das Weseler Impfzentrum nach knapp acht Monaten seinen Betrieb eingestellt. Es waren vor allem Impfskeptiker, die am letzten Tag zur Niederrheinhalle gekommen sind – und ehemalige Mitarbeiter.
WESEL Es ist der 8. Februar. Als am Morgen das Impfzentrum in der Weseler Niederrheinhalle offiziell seinen Betrieb aufgenommen hat, waren Iris Ludwig, Julia Heßling und Henning Dirks schon Teil des 60-köpfigen Malteser-teams. Das hat seitdem zusammen mit vielen Dutzend Kolleginnen und Kollegen (siehe Infobox) dafür gesorgt, dass innerhalb von knapp acht Monaten rund 234.000 Impfungen durchgeführt wurden.
Nun, am letzten Öffnungstag, dem 30. September, gehört das Trio gegen 19.30 Uhr zu den letzten, die die Niederrheinhalle aufsuchen. Doch anders als beispielsweise Filiz Saglam, die sich kurz zuvor auf den Weg zum hell beleuchteten Eingang des Impfzentrums gemacht hat, wollen sich Iris Ludwig, Julia Heßling und Henning Dirks ein letztes Mal mit ihren Kollegen in der Halle treffen, plaudern, in Erinnerungen schwelgen. Denn seit dem 1. Oktober ist das Impfzentrum Geschichte.
„Wir sind in den Monaten zu einer verschworenen Gemeinschaft geworden, sind wirklich ein super Team“, sagt Iris Ludwig, die bereits einen neuen Job gefunden hat. Bildhauerin Julia Heßling, die demnächst täglich nach Münster pendeln wird, um dort eine zweite Ausbildung zur Ergotherapeutin zu beginnen, ergänzt: „Wir haben ja auch alle unheimlich viel Zeit miteinander verbracht.“
Und dann erzählen sie davon, dass sich einzelne Mitarbeiter ineinander verliebt haben und nun zusammen sind, dass die Arbeit vor allem in den ersten Monaten, als vornehmlich Senioren geimpft wurden, besonders befriedigend gewesen ist. „Viele der Älteren waren sehr herzlich und sehr dankbar. Die waren ja froh, wenn sie im Lockdown mal aus ihren Wohnungen gekommen sind“, erzählt Henning Dirks. „Und viele“, sagt Julia Heßling, „haben uns ihre Lebensgeschichte erzählt.“
Iris Ludwig ist den Tränen nahe, als sie die Geschichte eines älteren Mannes erzählt, dessen Frau morgens gestorben ist und sich mittags hat impfen lassen. „Wir haben dann miteinander geweint“, sagt sie. Seit praktisch alle älteren Leute und die
Risikopatienten geimpft sind, hat der Betrieb deutlich nachgelassen. Zuletzt, so erzählen die drei, sind viele jüngere Leute gekommen und solche, die der Impfung skeptisch gegenüberstehen.
Thomas Hegmanns gehört zu diesen Skeptikern. Er, seine Frau und die Tochter haben sich kurz vor Toreschluss auf den Weg von Xanten nach Wesel gemacht. „Meine Tochter wird Erzieherin. Und sie hätte ihre Lehre abbrechen müssen ohne Impfung“, sagt der 52-Jährige. Er selbst fürchtet Einschränkungen im Job. „Wenn ich in Quarantäne müsste, bekäme ich ohne Impfung keine Lohnfortzahlung.“Deshalb fühle er sich gewissermaßen zur Impfung genötigt.
Die Eheleute sprechen davon, dass sie selbst niemanden kennen, der an Covid erkrankt ist oder war, wohl aber Verwandte hatten, die nach einer Impfung gestorben sind. „Nicht direkt, aber Wochen danach. Zum Beispiel nach einem Schlaganfall.“Ob es da wirklich einen direkten Zusammenhang gebe, könne man nicht genau sagen.
Eine Studentin aus Duisburg, die am Donnerstagabend ebenfalls zur Niederrheinhalle gekommen ist, war ein Covid erkrankt. „Es hat sich wie eine Art Grippe angefühlt, ich war vor allem sehr, sehr müde“, erzählt die 26-Jährige. Doch wenn sie genesen ist, warum dann eine Impfung? „Ich war vor sechs Monaten krank. Das zählt also nicht mehr.
Nun müsste ich jeden Tag einen Test machen lassen, um beispielsweise Vorlesungen besuchen zu dürfen. Deshalb lasse ich mich jetzt lieber impfen, um den Kopf frei zu bekommen, um wieder frei leben zu können.“Trotzdem habe sie immer noch Angst vor möglichen Nebenwirkungen. „Ich will nämlich Kinder bekommen und hoffe, dass alles gut geht.“
Angst vor Nebenwirkungen hatte bislang auch Bürsa Saglam (20). Sie, ihre Schwestern Yasemin (17) und Melike (15) sind die letzten, die das Impfzentrum am Donnerstagabend um kurz vor 20 Uhr verlassen – zusammen mit ihrer bereits zwei Mal geimpften Mutter. „Ich wollte eigentlich abwarten – wegen der mög
lichen Nebenwirkungen. Aber dann kamen die neuen Bestimmungen: 3G oder 2G. Nun hoffe ich, dass alles gut wird“, sagt die 20-jährige Dinslakenerin.
Eigentlich wollte Filiz Saglammit ihren Töchtern zum Impfzentrum nach Bottrop, weil sie dort im Moviepark arbeitet. „Doch das hat bereits am Freitag zugemacht. Im Internet habe ich dann festgestellt, dass in Wesel noch geöffnet ist. Und dann sind wir am freien Tag von Bürsa einfach zur Niederrheinhalle gefahren“, sagt sie. „Das war also alles Zufall. Gut, dass es noch geklappt hat“, freut sie sich. Bürsa, Yasemin und Melike werden ihre zweiten Spritzen nun vom Hausarzt erhalten.