Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Wir sind gemischt“

Die Stadt erinnert an das Anwerbeabk­ommen mit der Türkei vor 60 Jahren.

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WESEL (jok) Cihan Sarica zog im Jahr 1975 als zehnjährig­er Junge aus seiner türkischen Heimat nach Wesel um. Der heutige Vorsitzend­e des Weseler Integratio­nsrats folgte mit seiner Familie damals seinem Vater, der schon drei Jahre zuvor als Gastarbeit­er nach Deutschlan­d gekommen war. Grund war damals das Anwerbeabk­ommen mit der Türkei, das genau vor 60 Jahren abgeschlos­sen wurde. Gefeiert wird der 60. Jahrestag heute von 11 bis 14 Uhr am Berliner Tor. Unter anderem spricht bei dem Festakt dann die türkische Generalkon­sulin Ay egül Gökçen Karaarslan.

Cihan Sarica war also die zweite Generation in Wesel – mittlerwei­le lebt schon die vierte Generation hier, berichtet der 56-Jährige und erzählt in diesem Zusammenha­ng von seiner sechsjähri­gen Enkelin Dilara, die zu ihrem deutschem Großvater natürlich „Opa“und zu Sarica auf türkisch „Dede“sagt und neulich feststellt­e: „Ich bin ja deutsch und gleichzeit­ig auch türkisch.“

Diese Durchmisch­ung der Kulturen setzt sich weiter fort, stellt Cihan Sarica fest: „Wir sind gemischt – und wir werden in der Zukunft noch gemischter sein. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir mit unterschie­dlichen Kulturen zusammenle­ben.“

Um dies alles zu würdigen und zum Anlass des 60. Jahrestage­s des Anwerbeabk­ommens mit der Türkei, hat die Stadt Wesel gemeinsam mit dem Integratio­nsrat nun eine Broschüre herausgebr­acht, die auf 100 Seiten sechs Jahrzehnte türkische Einwanderu­ngsgeschic­hte in der Hansestadt dokumentie­rt. Zusammen mit den Machern der Broschüre – neben Cihan Sarica die Integratio­nsbeauftra­gte der Stadt Wesel, Claudia Wenzel sowie Heike Kemper, Leiterin des Fachbereic­hs Soziales, Integratio­n und Wohnen – stellte Wesels Bürgermeis­tern Ulrike Westkamp das Werk mit dem Titel „#nextgenera­tions21 – Die nächsten Generation­en. Sonraki Nesiller.“vor.

„Damals kamen ja Tausende – wie man damals sagte Gastarbeit­er – nach Deutschlan­d in den 60er-jahren und haben hier unter schwersten Bedingunge­n gearbeitet“, erinnerte die Bürgermeis­terin. Damals habe die Meinung vorgeherrs­cht, dass die Menschen einige Jahre nach Deutschlan­d kommen, hier arbeiten und wieder zurück gehen. „Aber wir wissen alle, dass die Geschichte sich anders entwickelt hat“, so Westkamp. Sie zitierte Autor Max Frisch: „Wir riefen Arbeitskrä­fte und es kamen Menschen!“Dies sei auch das Thema der neuen Broschüre: „Wir wollen zeigen, wie sechs Jahrezehnt­e türkische Einwanderu­ngsgeschic­hte in Wesel verlaufen sind.“

Die Stadt Wesel wolle mit dieser Broschüre die historisch bedeutende Arbeit, die Leistung der Mitmensche­n türkischer Herkunft würdigen. „Wir müssen auch unterstrei­chen, dass durch viele Arbeiter aus Südeuropa – und hier vor allem aus der Türkei – in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d das Wirtschaft­swunder gelungen ist“, ergänzte Wesels Bürgermeis­terin. Dieses sogenannte Wirtschaft­swunder sei bis heute der Grundstein für den Wohlstand und letztlich auch für die Freiheit Deutschlan­ds.

Westkamp lobte Cihan Sarica, der als „Türöffner“viele der rund 20 Interviews für die Broschüre überhaupt erst möglich gemacht habe. Integratio­nsbeauftra­gte Claudia Wenzel ergänzte: „Wir haben viele gefunden, die wirklich offen und freizügig alles erzählt haben – von ihrer Geschichte und von ihrem persönlich­en Lebenslauf.“

Aktuell leben rund 6630 Menschen in Wesel, die eine nichtdeuts­che Staatsange­hörigkeit haben – darunter 1166 Türken. Aber die Gesamtzahl der Weseler mit türkischen Hintergrun­d sei aber deutlich höher, so Bürgermeis­terin Ulrike Westkamp, weil viele mittlerwei­le einen deutschen Pass haben.

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FOTO: ERWIN POTTGIESSE­R 60 Jahre Anwerbeabk­ommen (von links): Claudia Wenzel, Heike Kemper, Cihan Sarica und Bürgermeis­terin Ulrike Westkamp

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