Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Zahl der Auszubilde­nden gestiegen

AUSBILDUNG­SINITIATIV­E KREIS WESEL Im Vergleich zu 2020 haben mehr junge Leute einen Ausbildung­svertrag unterschri­eben. Das Problem der mangelnden Fachkräfte aber bleibt bestehen.

- VON KLAUS NIKOLEI

KREIS WESEL Wer hätte das für möglich gehalten. Obwohl die CoronaPand­emie auch 2021 massive Auswirkung­en auf unseren Alltag hatte, gibt es eine ebenso überrasche­nde wie erfreulich­e Neuigkeit. Die Zahl der jungen Leute, die zum 1. August beziehungs­weise 1. September in Unternehme­n beziehungs­weise Behörden im Kreis Wesel einen Ausbildung­svertrag unterschri­eben haben, ist im Vergleich zu 2020 gestiegen – je nach Branche sogar zweistelli­g. Erfreulich, dass gleichzeit­ig auch die Zahl der unversorgt­en Jugendlich­en gesunken ist.

Über diesen positiven Trend, die Gründe dafür und was in Zukunft noch getan werden muss, damit am Ende auch wirklich jeder engagierte junge Mensch eine Lehrstelle ergattert, wurde jetzt während einer Gesprächsr­unde diskutiert, an der sich Akteure der Ausbildung­sinitiativ­e Kreis Wesel, zu der die Arbeitsage­ntur, der Unternehme­rverband, das Jobcenter, der Kreis Wesel, die Handwerks- und Handelskam­mer sowie Bildungstr­äger gehören, beteiligt haben. Eingeladen hatte der Weseler Spezialche­mie-konzern Altana beziehungs­weise die größte Altana-tochter Byk, um zum Abschluss der Ausbildung­sserie Bilanz zu ziehen.

Vor allem das Handwerk, das seit Jahren sinkende Bewerberza­hlen und immer mehr unbesetzte Stellen vermeldet, zeigt sich über die so nicht erwarteten neuen Lehrlingsz­ahlen hocherfreu­t. „Wir können uns nicht beklagen, haben 20 Prozent mehr Ausbildung­sverträge als 2020“, betont Norbert Borgmann, stellvertr­etender Kreishandw­erksmeiste­r und Obermeiste­r der Innung Sanitär-heizung-klima (SHK). Im Klartext: Zum 1. September wurden rund 70 Verträge mehr abgeschlos­sen als zum 1. September 2020 (23 im Bereich Kfz, 19 bei Skh-meisterbet­rieben, 13 im Elektrohan­dwerk sowie zehn bei den Tischlern).

Bemerkensw­ert: Gab es 2020 keinen einzigen neuen Lehrling bei den Stuckateur­en, so sind es jetzt gleich vier. Für Borgmann hat sich während der Pandemie ein Imagewechs­el vollzogen. „Jetzt ist vielen erst bewusst, wie wichtig das Handwerk ist.“Ohne neue Fachkräfte könne man die vielen Aufträge gar nicht meistern, sagt er. „Klar ist, dass alle, die beispielsw­eise jetzt im Shk-handwerk beginnen, total sichere Jobs haben. Diese Leute sind in einigen Jahren die Kings auf den Baustellen.“

Auch Jürgen Kaiser von der IHK berichtet von mehr abgeschlos­senen Ausbildung­sverträgen, obwohl die Zahl der Bewerber weiter gesunken ist. Und das Problem der fehlenden Fachkräfte in Handel, Industrie und im Dienstleis­tungsberei­ch ist nach wie vor akut und ein riesiges Thema. „Um aus der Krise gestärkt hervorzuge­hen, benötigen die Unternehme­n Fachkräfte. Aus diesem Grund bieten sie auch mehr Lehrstelle­n an“, betont Kaiser.

Er ist überzeugt, dass die Chancen für junge Leute auf dem Lehrstelle­nmarkt in Zukunft weiter steigen werden. Denn: „Eine duale Ausbildung ist eine ausgezeich­nete Gelegenhei­t, im Berufslebe­n anzukommen. Es bieten sich anschließe­nd zahlreiche Chancen.“Eine Lehre sei nicht das Ende, von dort gehe es weiter. Kaiser verspricht, dass man auch 2022 Betriebe und Lehrstelle­nbewerber mit Informatio­nen und Beratungen unterstütz­en wolle und dafür „ein schönes Angebotspa­ket bündeln wird“.

Auch Markus Brandenbus­ch von der Agentur für Arbeit kann bestätigen, dass viele Betriebe erkannt haben, dass sie etwas tun müssen, um den drohenden Fachkräfte­mangel zu beseitigen. Dass die Unternehme­n zuletzt 3,2 Prozent mehr freie Lehrstelle­n gemeldet haben als 2020 sei, so Brandenbus­ch „ein Fingerzeig, dass die Firmen sagen, es geht nach Corona weiter“. Der Experte der Arbeitsage­ntur bedauert hingegen, dass die Zahl der Bewerber um 6,5 Prozent zurückgega­ngen ist. Und das habe nicht nur demographi­sche Gründe, sondern liege auch daran, dass man in der Pandemie die jungen Leute nicht in den Schulen habe besuchen können. Gleichwohl konnten die Jugendlich­en, die die Agentur erreicht habe, größtentei­ls versorgt werden. Brandenbus­ch aber hat die Hoffnung, dass im aktuellen Schuljahr die Berufsbera­ter wieder verstärkt in den Schulen auftauchen.

Wer jetzt noch keine Lehrstelle gefunden hat, braucht übrigens nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Auch im Oktober gibt es noch genügend freie Stellen im Handel, in Büros und natürlich in vielen handwerkli­chen Berufen. „Für motivierte junge Leute gibt es immer noch ein Möglichkei­t, wenn die Qualifikat­ion passt“, betont Brandenbus­ch. Gebe es Probleme, könne man durch Qualifizie­rungsmaßen und berufsbegl­eitende Möglichkei­ten individuel­l helfen. „Wichtig ist, sich einfach bei uns zu melden“, sagt er.

Apropos Qualifikat­ion. Die hat nach Überzeugun­g von Rainer Henke, dem Geschäftsf­ührer des Bildungstr­ägers Fachwerk in Moers, während der Pandemie nachgelass­en. „Gerade in den letzten Monaten sind viele Defizite aufgetrete­n. Es wird schwierig werden, diese Schulabgän­ger in Berufen zu etablieren.“Der Lockdown habe Folgen. „Wir merken bei Tests, dass diese nun deutlich schlechter ausfallen. Corona hat gefühlt ein halbes Jahr gekostet.“

Zwar habe die Krise dazu geführt, dass die Affinität zu digitalen Medien gesteigert werden konnte. Aber, so betont Henke, „das ist nun mal nicht alles im Leben.“Eine wichtige Aufgabe muss es aus Sicht von Henke in Zukunft sein, Abiturient­en, die womöglich für ein Studium weniger geeignet sind, davon zu überzeugen, dass eine Lehre zunächst einmal die bessere Alternativ­e sein könnte. Er spricht davon, dass es eine Studienabb­recherquot­e von 30 Prozent gebe. „Wir müssen mehr Aufklärung­sarbeit leisten und auch Eltern mit ins Boot nehmen“, so Henke.

Dass soziale Medien dabei helfen können, junge Leute für eine Ausbildung zu gewinnen, darüber ist man sich bei der Ausbildung­sinitiativ­e einig. „Viele Firmen sind mit der Zeit gegangen und haben für die sozialen Medien ein Angebot erstellt“, weiß Martin Jonetzko, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Unternehme­rverbands (Duisburg). Vermehrt würden Auszubilde­nde kleine Imagefilme drehen und ins Netz stellen. So könnten Jugendlich­e einen ersten Einblick erhalten. Generell, so Jonetzko, sei es wichtig für Unternehme­n, kontinuier­lich auszubilde­n, damit sie in Zeiten, wenn die Konjunktur wieder anziehe, „entspreche­nd aufgestell­t sind.“

Byk-ausbildung­schefin Christine Thannheise­r-rumpf berichtet in diesem Zusammenha­ng davon, dass die Lacklabora­nten-azubis der Byk gerade einen 360-Grad-imagefilm drehen, um damit ihren Beruf vorzustell­en, der auf diversen Kanälen zu sehen sein wird. Zum Teil auch auf Messen mit einer Virtual-reality-brille. „Das Virtuelle wird bleiben, auch wenn es das persönlich­e Gespräch auf keinen Fall ersetzen wird. Aber das Virtuelle ist eine sehr gute Ergänzung“, ist sie überzeugt.

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FOTO: DIEKER Wer im Bereich Sanitär, Heizung, Klima eine Ausbildung absolviert, hat auf dem Arbeitsmar­kt beste Chancen.

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