Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Weseler Republik
Insgesamt sieben Abgeordnete vertreten im neu gewählten Bundestag auch die Interessen des Kreises Wesel. Aus dem Saarland kommen neun, aus Bremen fünf. Ergibt das einen Sinn?
Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue; es lebe die Weseler Republik! Nein, so hat Philipp Scheidemann an jenem 9. November 1918 nicht die Republik ausgerufen. Wenn man aber wollte, könnte man glauben, dass der Bundeswahlleiter an diesem Montag, den 27. September 2021, eine Art Weseler Republik ausrief. Denn: Wenn sich der frisch gewählte Bundestag konstituiert, dann sind von den 735 Abgeordneten gleich sieben aus dem Kreis Wesel dabei. Fast ein Prozent aller Parlamentarier. Das sind mehr Abgeordnete als die Freie Hansestadt Bremen stellt, und nur zwei weniger als das Saarland aufbietet.
Gewiss, Jan Dieren und Kerstin Radomski vertreten auch noch Teile Krefelds und Dirk Vöpel Oberhausen. Aber die Dichte an Parlamentariern ist dennoch ungewöhnlich. Zum Vergleich: Aus dem Kreis Kleve kommt bloß ein Mitglied des Deutschen Bundestages, Stefan Rouenhoff von der CDU. Das findet man dort nicht besonders lustig.
Mal abgesehen davon, dass der neue Bundestag schlicht zu groß ist: Was bringt AbgeordnetenNeid? Was nutzen überhaupt so viele MDB?
Dazu muss man wissen, dass die Abgeordneten nicht Vertreter ihres
Wahlkreises sind, sondern Vertreter des ganzen Volkes. Das regelt das Grundgesetz in Artikel 38. Die Parlamentarier sollen das Wohl aller im Blick behalten, nicht einzelne Partikularinteressen vertreten.
Freilich schauen in der Praxis insbesondere direkt gewählte Abgeordnete auf das Geschehen in ihrem Wahlkreis oder zumindest in ihrer Region. Das ist insofern auch unproblematisch, das gehört zu ihren Aufgaben – schließlich sind über die Wahlkreise alle Regionen Deutschlands im Parlament vertreten. Wenn die Abgeordneten ihre Wahlkreise aus dem Blick verlieren würden, würden sie nicht mehr wiedergewählt. Ein bisschen geht es ja immer auch darum: Was hat sie oder er „für uns“in Berlin erreicht?
Damit ist meistens eines gemeint: Geld. Um Zuschüsse und Förderungen, die für dieses Projekt oder dieses Bauvorhaben wie durch Zauberhand bevorzugt in die eine Region oder in die andere wandern. Markus Söder verteidigte den Csu-verkehrsminister Andreas Scheuer kürzlich auf dem Parteitag damit, dass dieser ja besonders viel Geld aus Berlin nach Bayern geschafft habe. Doch wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer. Dieses Spiel darf man nicht zu weit treiben, es fördert regionale Missgunst.
Schaden werden die sieben Abgeordnete nicht, aber zu viel sollte man auch nicht erwarten, so als Mitglied der Republik Wesel.