Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Das Stimmungsbarometer
In kaum einem anderen Us-staat sind die Verschiebungen in der politischen Landschaft Amerikas so spürbar wie in Pennsylvania. Hier könnte sich zuerst zeigen, welchen Kurs das Land nach der auf die Spitze getriebenen Spaltung durch Donald Trump einschlägt.
Der Landkreis Luzerne County war einst eine Hochburg der Demokraten. Heute ist er vielleicht keine Bastion Donald Trumps, wohl aber eine Gegend, in der Trump punkten konnte. Und es in Zukunft womöglich noch kann. Der Milliardär aus New York siegte dort zweimal in Folge, auch im Herbst vor einem Jahr, als Joe Biden die Präsidentschaft gewann. Frage an Donna Kowalczyk: Schwingt das Pendel nun wieder zurück? Haben die Leute genug von der aufgeladenen Polemik der Trump-jahre? Lotst Joe Biden das Land in ruhigeres Fahrwasser?
Donna Kowalczyk lebt ziemlich genau an der Schnittstelle von Wilkes-barre, an der sich die Stadt nicht mehr die Mühe gibt, die Fassade des Bedeutungsvollen zu pflegen. Die Fahrt zu ihr führt, quer durchs Zentrum, vorbei an den Prachtbauten der River Street, einer parallel zum breit und träge dahinfließenden Susquehanna-fluss verlaufenden Allee. Das Gebäude des Gerichts, wie in fast allen mittelgroßen amerikanischen Städten das imposanteste, lässt mit seinem gewaltigen Säulenportal an römische Tempel denken. Eine Brücke wird von auffallend großen Steinadlern geziert. In dem Teil der River Street, in dem Donna Kowalczyk wohnt, Besitzerin eines kleinen Frisiersalons, verwandelt sich der Prachtboulevard in eine gewöhnliche Kleinstadtstraße. Bescheidene Einfamilienhäuser aus Holz. An der Ecke eine schlichte Kirche. Und überall jede Menge Platz, um ein Auto zu parken. Wilkes-barre war mal Pennsylvanias „Third City“, die drittwichtigste Stadt nach Philadelphia und Pittsburgh, den Metropolen an den beiden Enden des Keystone State. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt, als ringsum reiche Anthrazit-vorkommen abgebaut wurden. In den 1950er-jahren lebten fast 90.000 Menschen in Wilkes-barre, heute sind es nicht einmal halb so viele. In der Lokalpolitik gaben die Demokraten den Ton an, auch noch lange nach Schließung der Gruben. Als dann aber Trump antrat, tat Donna Kowalczyk, was im Luzerne County etliche Wähler der Demokraten taten. Sie wechselte die Seiten. Bei Trump, sagt sie, wenn sie zurückblickt, hatte sie das Gefühl, dass er sich für Amerika ins Zeug legen und sich, wenn es sein musste, dafür auch mit dem Rest der Welt anlegen würde.
Überzulaufen zu den Republikanern, für sie war es mehr, als nur das Kreuz auf dem Stimmzettel an einer anderen Stelle zu machen. Es bedeute einen Bruch mit der eigenen Vergangenheit. Jahrelang war sie im Democratic Women's Club aktiv, in Wahlkämpfen klebte sie Plakate für die Bewerber der Demokraten. Nachdem Trump seine Kandidatur angekündigt hatte, trat sie dem Republican Women's Club bei, allein, um die Trommel für ihr Idol zu rühren. Und nun? „Im Januar bin ich aus der Republikanischen Partei ausgetreten,“sagt Donna Kowalczyk, macht eine effektvolle Pause und schiebt hinterher: „Und seit Juni bin ich wieder drin.“Als Trump auf seiner ersten Kundgebung nach dem Abschied vom Weißen Haus sprach, stand für sie fest, dass er, statt ins politische Abendrot zu reiten, die Konservativen weiter anführen würde. „Und damit bleibt es meine Partei. Nur seinetwegen.“
Im Nachbarhaus hängt noch immer, fast zehn Monate nach dem Präsidentschaftsvotum, ein blaues Transparent über der Eingangstür. „Truth over Trump“: Anstelle Trumps solle man die Wahrheit wählen. „Wir sprechen nicht mehr miteinander,“sagt Donna Kowalczyk über das Verhältnis zu ihren Nachbarn. Und Joe Biden? Was hält sie von ihm? „Er mag im Ausland beliebt sein“, antwortet die Friseurin, es ist als Tadel gemeint. „Man muss sich doch aber zuerst um die eigenen Leute kümmern.“
Brian Dugas lauscht einem Gospelchor. Auf einer Wiese am Fluss feiert die Stadt ihre Diversität. Weiße, Schwarze, Hispanics und Migranten aus Asien, Gospelgesänge und Salsa-klänge: Bei der „Multicultural Block Party“zeigt sich Wilkes-barre so bunt, als wäre es ein Stadtteil von New York oder Los Angeles. Dugas, ehemals Geschichtslehrer, war zuletzt für das Peace Corps, den Freiwilligendienst der Entwicklungshilfe, in einem Dorf in Tansania. Er engagiert sich in einer Kirche, der Unitarian Universalist Church. Und er ist Optimist, ziemlich unerschütterlich im Glauben an die oft bewiesene Fähigkeit Amerikas, sich neu zu erfinden. Frage an Brian Dugas: Welchen Kurs nehmen die USA nach der auf die Spitze getriebenen Spaltung der Ära Trump?
Nun ja, doziert der hochgewachsene Mann, vielleicht kehre unter Biden der innere Frieden zurück. Irgendwann. Margarita Rose, eine Hochschullehrerin, die neben Dugas auf der Wiese steht, spricht von einem Übergangspräsidenten, der wohl keine acht Jahre regieren werde, sondern nur vier, der aber, schon durch seine großväterliche Art, nach der ganzen Erregung vielleicht das Fieber senken könne. Illusionen machen sich beide nicht, andererseits sieht Dugas keinen Grund, an seinem aufgewühlten, zerrissenen Land zu verzweifeln. „Diese lautstarken Kontroversen, das ist doch nichts Neues. Seit es diese Republik gibt, wird vehement über Themen gestritten.“Die Sechzigerjahre, der Vietnamkrieg, da sei der Riss nicht weniger tief gewesen. Nach einer gewissen Zeit finde man wieder zueinander, weil die Alternative inakzeptabel sei. „Kurzum, Amerika bewegt sich, wenn es sich bewegen muss. Es bedarf einer Krise, damit es sich bewegt.“Den vier Jahren Trump im Oval Office, sagt Dugas, könne man auch etwas Positives abgewinnen. Ermuntert durch den Mann an der Staatsspitze, habe es der weiße Nationalismus mit seinen rassistischen Ressentiments gewagt, aus seinem Versteck zu kriechen. Immerhin liege jetzt alles auf dem Tisch. Nie zuvor, glaubt Dugas, sei der Diskurs über das Erbe der Sklaverei, über Rassentrennung und Diskriminierung so offen und ehrlich gewesen. „Vielleicht mussten wir noch einmal derart direkt, derart hässlich mit weißem Überlegenheitsdünkel konfrontiert werden, damit sich Grundlegendes ändert. Die Stunde der Wahrheit, so sehe ich das.“
Martin Dartoe nutzt das Fest auf der Wiese, um Wahlkampf zu machen, um Flugblätter zu verteilen. Als Zwölfjähriger kam er aus Liberia, damals ein Bürgerkriegsland, nach Pennsylvania, zwei Dekaden später will er Bürgermeister von Wilkes-barre werden. Beschäftigt bei einem Umzugsunternehmen, versucht er sich als Seiteneinsteiger zu profilieren, als Nichtpolitiker, der bei Menschen zu punkten hofft, die denen, die schon länger politische Ämter ausüben, nicht mehr viel zutrauen. Dartoe verspricht lokale Steuern zu senken und, so steht es in seinem Programm, Fett wegzuschneiden, wo die nach seinem Empfinden personell zu üppig ausgestattete Lokalverwaltung Fett angesetzt hat. „Ich bin der Außenseiter, der gegen die Seilschaften kämpft“– so charakterisiert er sich. Genau das habe ihm übrigens einst an Trump, dem Überraschungskandidaten, imponiert.
Amilcar Arroyo hat sich den objektiven, oft scharfen Blick des Beobachters von außen bewahrt, obwohl er seit 32 Jahren im Luzerne County lebt. Er stammt aus Peru. Eine schwere Staatsschuldenkrise, die sein Heimatland in den Ruin stürzte, ließ die Hypothekenbank, für die er arbeitete, kollabieren und ihn den Job verlieren. Er ging nach Miami, wo er ein paar Monate blieb, bis er nach Hazleton vermittelt wurde, wo er auf einer Farm Tomaten in Kisten packte. Nach Arroyos Worten waren es Zeiten, in denen die USA ihrem Ruf gerecht wurden, eine klassische Einwanderungsnation zu sein. Etwas, was sie theoretisch, ihrem Credo und ihrer Geschichte nach natürlich immer noch sind, aber längst nicht mehr in der Praxis, die eher durch Abschottung und sinkende Migrantenzahlen geprägt ist.
Arroyo also wechselte nach dem Job auf der Farm in eine Textilfabrik, und im Jahr 2003 gründete er eine Zeitung. El Mensajero, zweisprachig, englisch und spanisch. Dass er damit Erfolg hatte, lag daran, dass immer mehr Menschen mit Wurzeln in Lateinamerika, vor allem in der Dominikanischen Republik, aus New York ins beschauliche Hazleton zogen, wo es sich deutlich billiger leben ließ. Was den Kleinstadtbürgermeister, einen Republikaner namens Lou Barletta, veranlasste, harte Regeln durchzusetzen. Erstens: Nur Englisch kann in Hazleton Amtssprache sein. Zweitens: Wer illegal Eingewanderte einstellt, muss mit empfindlichen Geldbußen rechnen. Drittens: Wer an Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis vermietet, wird kompromisslos bestraft, wenn es herauskommt. „Es war die Generalprobe für Trump“, sagt Arroyo. In jenem Jahr, 2006, sei er zum ersten Mal seit seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten auf der Straße angepöbelt worden, allein wegen seines Aussehens. Damals begriff er, dass die amerikanische Toleranz, wie er sie lange erlebt hatte, kein Naturgesetz ist. Und weil Geschichte manchmal ironisch sei, ergänzt der Verleger, bestehe die Bevölkerung in Lou Barlettas Stadt heute mehrheitlich aus Latinos, während sie 2000 noch zu 95 Prozent aus Weißen bestand.
Dann Trump im Weißen Haus, in Arroyos Augen „ein Handelsreisender in Sachen Hass, Gemeinheit und Spaltung“. Wie er nach der Wahl die Niederlage leugnete und sich mit allen Tricks an der Macht zu halten versuchte, wie er seine Anhänger so lange anstachelte, bis einige von ihnen am 6. Januar das Kapitol stürmten, das hat den Mann aus Peru an die Autokraten des Kontinents erinnert, den er einst verließ. Frage an Amilcar Arroyo: Steuern die USA auf südamerikanische Verhältnisse zu? Die Antwort kommt schnell: Nein, das Fundament der Demokratie sei stabil genug, um auch einen wie Trump auszuhalten, er bewundere Amerika für die Stärke seiner Institutionen. Nach einer Weile fügt der Zeitungsmann nachdenklich hinzu: „Sagen wir so, das Gegenteil will ich mir gar nicht vorstellen, ich habe Angst davor, ich lasse den Gedanken gar nicht erst an mich heran“.
„Trump ist ein Handelsreisender in Sachen Hass, Gemeinheit und Spaltung“Amilcar Arroyo
„Seit es diese Republik gibt, wird vehement über Themen gestritten“Brian Dugas