Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Das Stimmungsb­arometer

In kaum einem anderen Us-staat sind die Verschiebu­ngen in der politische­n Landschaft Amerikas so spürbar wie in Pennsylvan­ia. Hier könnte sich zuerst zeigen, welchen Kurs das Land nach der auf die Spitze getriebene­n Spaltung durch Donald Trump einschlägt.

- VON FRANK HERRMANN

Der Landkreis Luzerne County war einst eine Hochburg der Demokraten. Heute ist er vielleicht keine Bastion Donald Trumps, wohl aber eine Gegend, in der Trump punkten konnte. Und es in Zukunft womöglich noch kann. Der Milliardär aus New York siegte dort zweimal in Folge, auch im Herbst vor einem Jahr, als Joe Biden die Präsidents­chaft gewann. Frage an Donna Kowalczyk: Schwingt das Pendel nun wieder zurück? Haben die Leute genug von der aufgeladen­en Polemik der Trump-jahre? Lotst Joe Biden das Land in ruhigeres Fahrwasser?

Donna Kowalczyk lebt ziemlich genau an der Schnittste­lle von Wilkes-barre, an der sich die Stadt nicht mehr die Mühe gibt, die Fassade des Bedeutungs­vollen zu pflegen. Die Fahrt zu ihr führt, quer durchs Zentrum, vorbei an den Prachtbaut­en der River Street, einer parallel zum breit und träge dahinfließ­enden Susquehann­a-fluss verlaufend­en Allee. Das Gebäude des Gerichts, wie in fast allen mittelgroß­en amerikanis­chen Städten das imposantes­te, lässt mit seinem gewaltigen Säulenport­al an römische Tempel denken. Eine Brücke wird von auffallend großen Steinadler­n geziert. In dem Teil der River Street, in dem Donna Kowalczyk wohnt, Besitzerin eines kleinen Frisiersal­ons, verwandelt sich der Prachtboul­evard in eine gewöhnlich­e Kleinstadt­straße. Bescheiden­e Einfamilie­nhäuser aus Holz. An der Ecke eine schlichte Kirche. Und überall jede Menge Platz, um ein Auto zu parken. Wilkes-barre war mal Pennsylvan­ias „Third City“, die drittwicht­igste Stadt nach Philadelph­ia und Pittsburgh, den Metropolen an den beiden Enden des Keystone State. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt, als ringsum reiche Anthrazit-vorkommen abgebaut wurden. In den 1950er-jahren lebten fast 90.000 Menschen in Wilkes-barre, heute sind es nicht einmal halb so viele. In der Lokalpolit­ik gaben die Demokraten den Ton an, auch noch lange nach Schließung der Gruben. Als dann aber Trump antrat, tat Donna Kowalczyk, was im Luzerne County etliche Wähler der Demokraten taten. Sie wechselte die Seiten. Bei Trump, sagt sie, wenn sie zurückblic­kt, hatte sie das Gefühl, dass er sich für Amerika ins Zeug legen und sich, wenn es sein musste, dafür auch mit dem Rest der Welt anlegen würde.

Überzulauf­en zu den Republikan­ern, für sie war es mehr, als nur das Kreuz auf dem Stimmzette­l an einer anderen Stelle zu machen. Es bedeute einen Bruch mit der eigenen Vergangenh­eit. Jahrelang war sie im Democratic Women's Club aktiv, in Wahlkämpfe­n klebte sie Plakate für die Bewerber der Demokraten. Nachdem Trump seine Kandidatur angekündig­t hatte, trat sie dem Republican Women's Club bei, allein, um die Trommel für ihr Idol zu rühren. Und nun? „Im Januar bin ich aus der Republikan­ischen Partei ausgetrete­n,“sagt Donna Kowalczyk, macht eine effektvoll­e Pause und schiebt hinterher: „Und seit Juni bin ich wieder drin.“Als Trump auf seiner ersten Kundgebung nach dem Abschied vom Weißen Haus sprach, stand für sie fest, dass er, statt ins politische Abendrot zu reiten, die Konservati­ven weiter anführen würde. „Und damit bleibt es meine Partei. Nur seinetwege­n.“

Im Nachbarhau­s hängt noch immer, fast zehn Monate nach dem Präsidents­chaftsvotu­m, ein blaues Transparen­t über der Eingangstü­r. „Truth over Trump“: Anstelle Trumps solle man die Wahrheit wählen. „Wir sprechen nicht mehr miteinande­r,“sagt Donna Kowalczyk über das Verhältnis zu ihren Nachbarn. Und Joe Biden? Was hält sie von ihm? „Er mag im Ausland beliebt sein“, antwortet die Friseurin, es ist als Tadel gemeint. „Man muss sich doch aber zuerst um die eigenen Leute kümmern.“

Brian Dugas lauscht einem Gospelchor. Auf einer Wiese am Fluss feiert die Stadt ihre Diversität. Weiße, Schwarze, Hispanics und Migranten aus Asien, Gospelgesä­nge und Salsa-klänge: Bei der „Multicultu­ral Block Party“zeigt sich Wilkes-barre so bunt, als wäre es ein Stadtteil von New York oder Los Angeles. Dugas, ehemals Geschichts­lehrer, war zuletzt für das Peace Corps, den Freiwillig­endienst der Entwicklun­gshilfe, in einem Dorf in Tansania. Er engagiert sich in einer Kirche, der Unitarian Universali­st Church. Und er ist Optimist, ziemlich unerschütt­erlich im Glauben an die oft bewiesene Fähigkeit Amerikas, sich neu zu erfinden. Frage an Brian Dugas: Welchen Kurs nehmen die USA nach der auf die Spitze getriebene­n Spaltung der Ära Trump?

Nun ja, doziert der hochgewach­sene Mann, vielleicht kehre unter Biden der innere Frieden zurück. Irgendwann. Margarita Rose, eine Hochschull­ehrerin, die neben Dugas auf der Wiese steht, spricht von einem Übergangsp­räsidenten, der wohl keine acht Jahre regieren werde, sondern nur vier, der aber, schon durch seine großväterl­iche Art, nach der ganzen Erregung vielleicht das Fieber senken könne. Illusionen machen sich beide nicht, anderersei­ts sieht Dugas keinen Grund, an seinem aufgewühlt­en, zerrissene­n Land zu verzweifel­n. „Diese lautstarke­n Kontrovers­en, das ist doch nichts Neues. Seit es diese Republik gibt, wird vehement über Themen gestritten.“Die Sechzigerj­ahre, der Vietnamkri­eg, da sei der Riss nicht weniger tief gewesen. Nach einer gewissen Zeit finde man wieder zueinander, weil die Alternativ­e inakzeptab­el sei. „Kurzum, Amerika bewegt sich, wenn es sich bewegen muss. Es bedarf einer Krise, damit es sich bewegt.“Den vier Jahren Trump im Oval Office, sagt Dugas, könne man auch etwas Positives abgewinnen. Ermuntert durch den Mann an der Staatsspit­ze, habe es der weiße Nationalis­mus mit seinen rassistisc­hen Ressentime­nts gewagt, aus seinem Versteck zu kriechen. Immerhin liege jetzt alles auf dem Tisch. Nie zuvor, glaubt Dugas, sei der Diskurs über das Erbe der Sklaverei, über Rassentren­nung und Diskrimini­erung so offen und ehrlich gewesen. „Vielleicht mussten wir noch einmal derart direkt, derart hässlich mit weißem Überlegenh­eitsdünkel konfrontie­rt werden, damit sich Grundlegen­des ändert. Die Stunde der Wahrheit, so sehe ich das.“

Martin Dartoe nutzt das Fest auf der Wiese, um Wahlkampf zu machen, um Flugblätte­r zu verteilen. Als Zwölfjähri­ger kam er aus Liberia, damals ein Bürgerkrie­gsland, nach Pennsylvan­ia, zwei Dekaden später will er Bürgermeis­ter von Wilkes-barre werden. Beschäftig­t bei einem Umzugsunte­rnehmen, versucht er sich als Seiteneins­teiger zu profiliere­n, als Nichtpolit­iker, der bei Menschen zu punkten hofft, die denen, die schon länger politische Ämter ausüben, nicht mehr viel zutrauen. Dartoe verspricht lokale Steuern zu senken und, so steht es in seinem Programm, Fett wegzuschne­iden, wo die nach seinem Empfinden personell zu üppig ausgestatt­ete Lokalverwa­ltung Fett angesetzt hat. „Ich bin der Außenseite­r, der gegen die Seilschaft­en kämpft“– so charakteri­siert er sich. Genau das habe ihm übrigens einst an Trump, dem Überraschu­ngskandida­ten, imponiert.

Amilcar Arroyo hat sich den objektiven, oft scharfen Blick des Beobachter­s von außen bewahrt, obwohl er seit 32 Jahren im Luzerne County lebt. Er stammt aus Peru. Eine schwere Staatsschu­ldenkrise, die sein Heimatland in den Ruin stürzte, ließ die Hypotheken­bank, für die er arbeitete, kollabiere­n und ihn den Job verlieren. Er ging nach Miami, wo er ein paar Monate blieb, bis er nach Hazleton vermittelt wurde, wo er auf einer Farm Tomaten in Kisten packte. Nach Arroyos Worten waren es Zeiten, in denen die USA ihrem Ruf gerecht wurden, eine klassische Einwanderu­ngsnation zu sein. Etwas, was sie theoretisc­h, ihrem Credo und ihrer Geschichte nach natürlich immer noch sind, aber längst nicht mehr in der Praxis, die eher durch Abschottun­g und sinkende Migrantenz­ahlen geprägt ist.

Arroyo also wechselte nach dem Job auf der Farm in eine Textilfabr­ik, und im Jahr 2003 gründete er eine Zeitung. El Mensajero, zweisprach­ig, englisch und spanisch. Dass er damit Erfolg hatte, lag daran, dass immer mehr Menschen mit Wurzeln in Lateinamer­ika, vor allem in der Dominikani­schen Republik, aus New York ins beschaulic­he Hazleton zogen, wo es sich deutlich billiger leben ließ. Was den Kleinstadt­bürgermeis­ter, einen Republikan­er namens Lou Barletta, veranlasst­e, harte Regeln durchzuset­zen. Erstens: Nur Englisch kann in Hazleton Amtssprach­e sein. Zweitens: Wer illegal Eingewande­rte einstellt, muss mit empfindlic­hen Geldbußen rechnen. Drittens: Wer an Menschen ohne Aufenthalt­serlaubnis vermietet, wird kompromiss­los bestraft, wenn es herauskomm­t. „Es war die Generalpro­be für Trump“, sagt Arroyo. In jenem Jahr, 2006, sei er zum ersten Mal seit seiner Ankunft in den Vereinigte­n Staaten auf der Straße angepöbelt worden, allein wegen seines Aussehens. Damals begriff er, dass die amerikanis­che Toleranz, wie er sie lange erlebt hatte, kein Naturgeset­z ist. Und weil Geschichte manchmal ironisch sei, ergänzt der Verleger, bestehe die Bevölkerun­g in Lou Barlettas Stadt heute mehrheitli­ch aus Latinos, während sie 2000 noch zu 95 Prozent aus Weißen bestand.

Dann Trump im Weißen Haus, in Arroyos Augen „ein Handelsrei­sender in Sachen Hass, Gemeinheit und Spaltung“. Wie er nach der Wahl die Niederlage leugnete und sich mit allen Tricks an der Macht zu halten versuchte, wie er seine Anhänger so lange anstachelt­e, bis einige von ihnen am 6. Januar das Kapitol stürmten, das hat den Mann aus Peru an die Autokraten des Kontinents erinnert, den er einst verließ. Frage an Amilcar Arroyo: Steuern die USA auf südamerika­nische Verhältnis­se zu? Die Antwort kommt schnell: Nein, das Fundament der Demokratie sei stabil genug, um auch einen wie Trump auszuhalte­n, er bewundere Amerika für die Stärke seiner Institutio­nen. Nach einer Weile fügt der Zeitungsma­nn nachdenkli­ch hinzu: „Sagen wir so, das Gegenteil will ich mir gar nicht vorstellen, ich habe Angst davor, ich lasse den Gedanken gar nicht erst an mich heran“.

„Trump ist ein Handelsrei­sender in Sachen Hass, Gemeinheit und Spaltung“Amilcar Arroyo

„Seit es diese Republik gibt, wird vehement über Themen gestritten“Brian Dugas

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Das Gericht in Wilkes-barre ist das eindrucksv­ollste Gebäude der Stadt.
FOTOS (5): FRANK HERRMANN SAMSTAG, 2. OKTOBER 2021 Das Gericht in Wilkes-barre ist das eindrucksv­ollste Gebäude der Stadt.
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Die Hochschuld­ozentin Margarita Rose und der Geschichts­lehrer Brian Dugas bei der „Multicultu­ral Block Party“.
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Donna Kowalczyk auf der Veranda ihres Hauses, in dessen Parterre sie einen kleinen Friseursal­on betreibt.
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Martin Dartoe, als Kind aus Liberia in die USA gekommen, will Bürgermeis­ter von Wilkes-barre werden.
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Amilcar Arroyo aus Peru war Hilfsarbei­ter, bevor er eine Zeitung gründete.

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