Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Zeitreise in den Kalten Krieg
Drei historische Bunker an einem Tag: Die Ausweichsitze von Bundes- und Landesregierung sowie der Landeszentralbank sind Ziele der Eifel-bunker-tour.
Es ist stockdunkel, als Jörg Diester die schwere Tür hinter sich schließt. Wie Donnergrollen hallt es lange nach. Das Echo ist beeindruckend. Der Raum muss so viel größer sein, als beim Betreten gedacht. „Diese wenigen 100 Meter sind der karge Rest der ehemals 17,6 Kilometer langen Anlage“, erklärt der Bunkerhistoriker und stellt eine Strahlerlampe so an einem Gitter auf, dass der Blick die lange Tunnelröhre dahinter erfassen kann. Blanker Beton, so weit das Auge reicht. Im Notfall hätte von diesem Ort aus die Bundesregierung das Land regiert.
Dunkel ist es während des gesamten Besuchs. Denn noch immer ist der Stromkreis, an dem der Ahrweiler Regierungsbunker hängt, außer Betrieb. Am liebsten würde Diester nie wieder Gästen die Gänge und Räume bei elektrischem Licht zeigen: „Im Schein der Taschenlampen ist es noch viel beeindruckender.“Die Folgen der Flutkatastrophe sind während der Drei-bunker-tour immer wieder sichtbar. Neben dem Bunker der Bundesregierung zeigt Diester an einem Tag noch die Ausweichsitze – so die offizielle Bezeichnung der Bunker für den nuklearen Notfall – von Landesregierung NRW und der Landeszentralbank Düsseldorf. Die malerische Region westlich des Rheins wies im kalten Krieg die höchste Dichte sowohl an Schutzbauwerken als auch an Atomwaffen weltweit aus.
3000 Menschen wären innerhalb von 30 Minuten aus Bonn in den Bunker der Bundesregierung mitten in den romantischen Weinbergen bei Ahrweiler evakuiert worden. Ohne Familien, versteht sich. Damit die Anreise geklappt hätte, gibt es hier die kürzeste Autobahn Deutschlands, die A573. Nur Bundeskanzler und Bundespräsident hätten im V-fall, also im Verteidigungsfall, ein Einzelzimmer mit Feldbett gehabt. Alle anderen Schlafsäle waren mit Etagenbetten ausgestattet. Während draußen der dritte Weltkrieg tobt, hätten sie hier 30 Tage lang weiterleben können. Schon während der zweiwöchigen Übungen war nicht jeder der psychischen Belastung gewachsen.
Die gesamte technische Ausrüstung entspricht dem Stand der 1960er-jahre: Wählscheibentelefone, eine Telefonzelle mit Münzfernsprecher, die Preise für Getränke in DM. An alles wurde gedacht, auch an einen Friseursalon und unterirdische Operationssäle. Zahnschmerzen wären wohl schon beim Anblick des historischen Zahnarzt-stuhls wieder verschwunden.
Nach kurzer Busfahrt begrüßt uns Harald Röhling vor seiner Doppelgarage im Wald von Urft, einem Ortsteil der Eifelgemeinde Kall. Durch die völlig unverdächtige Garage gehen wir ein paar Stufen hoch in den einstigen Ausweichsitz der Landesregierung NRW. Von hier aus sollte Nordrhein-westfalen im Krisenfall verwaltet werden. Das Schlafzimmer des Ministerpräsidenten ist ebenso noch vorhanden wie Fernschreiber-ticker mit Lochstreifen und ein voll eingerichtetes Radiostudio des WDR mitsamt Magnetbändern.
Die gesamte Bunkeranlage in Urft gehört den Röhlings: „Mein Großvater war hier jahrzehntelang für die Technik verantwortlich und wohnte mit seiner Familie in dem Haus neben dem Eingang. Wir haben die Anlage 1997 gekauft.“Seither nimmt der Informatiker die Aufgabe wahr, um die sich eigentlich offizielle Stellen kümmern müssten: Das historische Erbe des Landes NRW für die Nachwelt zu erhalten und zu pflegen.
Mehrere Rollen Toilettenpapier aus dem Landes-ausweichsitz haben es in die Ausstellung „75 Jahre NRW“im Behrensbau am Düsseldorfer Mannesmann-ufer geschafft. In Urft lagert der wohl einzige Klopapier-vorrat Nordrhein-westfalens, der während des ersten Corona-lockdowns nicht vergriffen war.
Weiter geht es zu einer ebenfalls irritierend unverdächtigen Schule in Satzvey. Wir steigen in deren Keller – und erneut treten wir durch eine dicke Schleusentür in eine Zeitkapsel. Hier sollte die Spitze der Landeszentralbank aus Düsseldorf die Funktionsfähigkeit des Zahlungsverkehrs sicherstellen. Ob die geheime Schattenwährung „BBK2“hier gelagert wurde, ist nicht belegt. In Bilderrahmen an den Wänden des ehemaligen Tresorraums sind jedoch Faksimiles der Banknoten zu sehen. Die Gestaltung dieser nie in Umlauf gebrachten Geldscheine ähnelt den alten D-mark-scheinen. Im Falle eines Flutens der Bundesrepublik mit Falschgeld durch feindliche Mächte hätten sie von heute auf morgen die bekannten D-mark-noten durch eine neuerliche Währungsreform abgelöst.
Drei Bunkeranlagen in acht Stunden zu besichtigen ist der „Bunker-overkill“, wie eine Besucherin beschreibt. „Aber so nah habe ich mich den 60er-jahren, in denen ich geboren wurde, noch nie gefühlt. Das ist der intensivste Geschichtsunterricht meines Lebens.“