Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Blau ist die Hoffnung

Berge versetzen, Wüsten begrünen und Krater fluten – am Ende dieser speziellen Schöpfungs­geschichte wird im ehemaligen Braunkohle­revier der Lausitz die größte Seenlandsc­haft Europas entstanden sein. Vorausgese­tzt, die Klimakrise trocknet den Touristent­rau

- VON NICOLE QUINT

Der rot-weiß gestreifte Leuchtturm macht gemeinsame Sache mit blendend blauem Seewasser und einer sanften Brise, damit auch im tiefsten Ostdeutsch­land, knapp 400 Kilometer von der nächsten Küste entfernt, maritime Urlaubssti­mmung aufkommen kann. Zusammen mit schwimmend­en Ferienhäus­ern, einem Sportbooth­afen und Badestränd­en gehört der kleine Leuchtturm zur Grundausst­attung des Bärwalder Sees, dem größten Binnensee Sachsens. So großartig wie hier kann die Versöhnung mit der Vergangenh­eit also aussehen. Nichts erinnert mehr daran, dass genau an dieser Stelle bis 1992 im Tagebau Bärwalde in rauen Mengen Rohkohle abgebaut wurde. Bärwalde gehörte zum Braunkohle­revier der Lausitz, einer Region zwischen Spreewald und Zittauer Gebirge, die das Energiezen­trum der DDR und damit auch eine der dreckigste­n Gegenden Ostdeutsch­lands war. Der ganze Landstrich wurde umgegraben, zurück blieb eine als Mond verkleidet­e Welt aus Geröll, Wüsten und monströsen Kratern.

Lässt sich eine derart zerstörte Landschaft jemals wieder heilen? Vielleicht. Die am meisten verspreche­nde Medizin heißt Wasser. Nach einer Idee des Landschaft­splaners Otto Rindt, die Tagebaures­tlöcher im Zentrum der Lausitz zu fluten und eine Seenkette zu schaffen, entstand Anfang der 1970er-jahre der Senftenber­ger See. Mit Sandstränd­en, waldigen Ufern und Campingplä­tzen wurde er zum Vorzeigepr­ojekt der DDR und zum Model für das heutige Renaturier­ungs-projekt. Inzwischen schillern in der Lausitz schon 125 Quadratkil­ometer Bergbaufol­geseen. Am Ende wird sich die größte von Menschen geschaffen­e Seenlandsc­haft Europas quer durch die Bundesländ­er Brandenbur­g und Sachsen erstrecken, 80 Kilometer breit und 40 Kilometer lang.

Das ist die Alchemie des Strukturwa­ndels, die das Blei der Bergbauzer­störung in das Gold einer touristisc­hen Zukunft verwandelt, damit demnächst Urlauber die Kohle ins einstige Revier bringen. Solche Aussichten färben die Hoffnung in der Lausitz blau, und es wurde an wirklich alles gedacht, damit die Region den touristisc­hen Tauglichke­itstest besteht – Häfen, Strandbars, Hotels, Eisbüdchen und Aussichtsp­lattformen. Noch können von den 35 geplanten Seen jedoch erst die Hälfte touristisc­h genutzt werden. Die anderen unterliege­n weiterhin der Bergbausan­ierung und sind großflächi­g gesperrt. Statt ins Wasser geht es alternativ auf die Route der „Lausitzer Industriek­ultur“, die zu stillgeleg­ten Brikettfab­riken und Besucherbe­rgwerken führt. Der

Stolz auf das industriel­le Erbe der Lausitz soll bewahrt, alte Anlagen, Brücken und Bagger deshalb auch erhalten werden.

Auf diese Weise erwächst dem Seenland ein Teil seiner Verführung­skraft aus der Sichtbarke­it seiner Geschichte und aus dem irritieren­den Kontrast zwischen Natur und Industrie. Das Bild von Kühltürmen, Schloten und aufsteigen­den Wasserdamp­fsäulen am Horizont hat vom Strandkorb am See aus betrachtet Fata-morgana-qualitäten, und der museal schöne Schaufelra­dbagger unweit des Berzdorfer Sees verkörpert die ganze Ambivalenz der neuen Lausitzer Landschaft. Ohne die vorherige Verwüstung durch diesen Giganten aus Stahl würden heute keine Schmetterl­inge durch das Seebiotop schaukeln und keine Wildblumen­wiesen am

Uferrand wuchern. Doch inzwischen droht der Gegend das Wasser auszugehen. Allein Flüsse wie Spree, Neiße und Schwarze Elster reichen als Wasserlief­eranten nicht mehr aus. An manchen Orten ist die Flutung schon ins Stocken geraten, und der Klimawande­l verschlimm­ert die Wasserknap­pheit weiter. Unterbleib­t die kontinuier­liche Flutung jedoch oder sinkt der Wasserspie­gel existieren­der Seen wieder zu weit ab, geht der Gegendruck verloren, der das Aufsteigen und Einsickern belasteten Grundwasse­rs verhindert. Dann drohen sinkende Böden, verunreini­gtes Trinkwasse­r, abbruchgef­ährdete Uferhänge und instabile Gebäude. Über 30.000 Hektar sind in der Lausitz nicht zugänglich, einige Flächen werden es aufgrund von Geländeein­brüchen voraussich­tlich auch dauerhaft bleiben.

War die Vorfreude auf das Seenland also voreilig? Klar ist: Die Wiederhers­tellung naturnaher Lebensräum­e aus Tagebaugru­ben ist in dieser Größenordn­ung ein wasserwirt­schaftlich­es Experiment und eine extrem teure Langzeitau­fgabe. Zur Erholung in eine vollständi­g sanierte und renaturier­te Landschaft wird man frühestens überübermo­rgen, vermutlich sogar erst am Ende dieses Jahrhunder­ts reisen können. Doch so wie nur die verletzte Auster eine Perle hervorbrin­gen kann, können in den Wunden der Lausitz wertvolle Lebensräum­e reifen. Naturschüt­zer beobachten an ehemaligen Gruben und Brachfläch­en bereits heute, wie Feldhasen, Rothirsche, Kraniche und Wölfe Gebiete zurückerob­ern.

Es ist zu wünschen, dass viele Flächen zu Naturreser­vaten erklärt werden. Wenn nicht nur die Art der Ausbeutung wechselt, könnte das Lausitzer Seenland hohe Wellen schlagen als ein Ort, der erholsamer Lebensraum statt nur Tourismusm­arkt sein will. Dann wäre Urlaub mit Zusatzsinn möglich, Ferien zur eigenen Erholung, zur Rettung der Lausitz und der Erde. Darunter sollten es die Lausitzer nicht machen, es wäre die schönste Liebeserkl­ärung an ihr Land und an sich selbst.

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FOTOS (3): THOMAS SCHNEIDER/BILDBAENDI­GER Leuchtturm der Marina am Bärwalder See mit Blick auf das Braunkohle­kraftwerk Boxberg
 ?? ?? Der Bagger 1452 ist ein Schaufelra­dbagger, der 1961 für die Braunkohle­förderung hergestell­t wurde. Er war bis 2001 im ehemaligen Tagebau Berzdorf im Einsatz.
Der Bagger 1452 ist ein Schaufelra­dbagger, der 1961 für die Braunkohle­förderung hergestell­t wurde. Er war bis 2001 im ehemaligen Tagebau Berzdorf im Einsatz.
 ?? ?? Der größte See Sachsens entstand aus der Flutung des Tagebaus Bärwalde. Seine Flutung dauerte vom 13. November 1997 bis 2009.
Der größte See Sachsens entstand aus der Flutung des Tagebaus Bärwalde. Seine Flutung dauerte vom 13. November 1997 bis 2009.

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