Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Blau ist die Hoffnung
Berge versetzen, Wüsten begrünen und Krater fluten – am Ende dieser speziellen Schöpfungsgeschichte wird im ehemaligen Braunkohlerevier der Lausitz die größte Seenlandschaft Europas entstanden sein. Vorausgesetzt, die Klimakrise trocknet den Touristentrau
Der rot-weiß gestreifte Leuchtturm macht gemeinsame Sache mit blendend blauem Seewasser und einer sanften Brise, damit auch im tiefsten Ostdeutschland, knapp 400 Kilometer von der nächsten Küste entfernt, maritime Urlaubsstimmung aufkommen kann. Zusammen mit schwimmenden Ferienhäusern, einem Sportboothafen und Badestränden gehört der kleine Leuchtturm zur Grundausstattung des Bärwalder Sees, dem größten Binnensee Sachsens. So großartig wie hier kann die Versöhnung mit der Vergangenheit also aussehen. Nichts erinnert mehr daran, dass genau an dieser Stelle bis 1992 im Tagebau Bärwalde in rauen Mengen Rohkohle abgebaut wurde. Bärwalde gehörte zum Braunkohlerevier der Lausitz, einer Region zwischen Spreewald und Zittauer Gebirge, die das Energiezentrum der DDR und damit auch eine der dreckigsten Gegenden Ostdeutschlands war. Der ganze Landstrich wurde umgegraben, zurück blieb eine als Mond verkleidete Welt aus Geröll, Wüsten und monströsen Kratern.
Lässt sich eine derart zerstörte Landschaft jemals wieder heilen? Vielleicht. Die am meisten versprechende Medizin heißt Wasser. Nach einer Idee des Landschaftsplaners Otto Rindt, die Tagebaurestlöcher im Zentrum der Lausitz zu fluten und eine Seenkette zu schaffen, entstand Anfang der 1970er-jahre der Senftenberger See. Mit Sandstränden, waldigen Ufern und Campingplätzen wurde er zum Vorzeigeprojekt der DDR und zum Model für das heutige Renaturierungs-projekt. Inzwischen schillern in der Lausitz schon 125 Quadratkilometer Bergbaufolgeseen. Am Ende wird sich die größte von Menschen geschaffene Seenlandschaft Europas quer durch die Bundesländer Brandenburg und Sachsen erstrecken, 80 Kilometer breit und 40 Kilometer lang.
Das ist die Alchemie des Strukturwandels, die das Blei der Bergbauzerstörung in das Gold einer touristischen Zukunft verwandelt, damit demnächst Urlauber die Kohle ins einstige Revier bringen. Solche Aussichten färben die Hoffnung in der Lausitz blau, und es wurde an wirklich alles gedacht, damit die Region den touristischen Tauglichkeitstest besteht – Häfen, Strandbars, Hotels, Eisbüdchen und Aussichtsplattformen. Noch können von den 35 geplanten Seen jedoch erst die Hälfte touristisch genutzt werden. Die anderen unterliegen weiterhin der Bergbausanierung und sind großflächig gesperrt. Statt ins Wasser geht es alternativ auf die Route der „Lausitzer Industriekultur“, die zu stillgelegten Brikettfabriken und Besucherbergwerken führt. Der
Stolz auf das industrielle Erbe der Lausitz soll bewahrt, alte Anlagen, Brücken und Bagger deshalb auch erhalten werden.
Auf diese Weise erwächst dem Seenland ein Teil seiner Verführungskraft aus der Sichtbarkeit seiner Geschichte und aus dem irritierenden Kontrast zwischen Natur und Industrie. Das Bild von Kühltürmen, Schloten und aufsteigenden Wasserdampfsäulen am Horizont hat vom Strandkorb am See aus betrachtet Fata-morgana-qualitäten, und der museal schöne Schaufelradbagger unweit des Berzdorfer Sees verkörpert die ganze Ambivalenz der neuen Lausitzer Landschaft. Ohne die vorherige Verwüstung durch diesen Giganten aus Stahl würden heute keine Schmetterlinge durch das Seebiotop schaukeln und keine Wildblumenwiesen am
Uferrand wuchern. Doch inzwischen droht der Gegend das Wasser auszugehen. Allein Flüsse wie Spree, Neiße und Schwarze Elster reichen als Wasserlieferanten nicht mehr aus. An manchen Orten ist die Flutung schon ins Stocken geraten, und der Klimawandel verschlimmert die Wasserknappheit weiter. Unterbleibt die kontinuierliche Flutung jedoch oder sinkt der Wasserspiegel existierender Seen wieder zu weit ab, geht der Gegendruck verloren, der das Aufsteigen und Einsickern belasteten Grundwassers verhindert. Dann drohen sinkende Böden, verunreinigtes Trinkwasser, abbruchgefährdete Uferhänge und instabile Gebäude. Über 30.000 Hektar sind in der Lausitz nicht zugänglich, einige Flächen werden es aufgrund von Geländeeinbrüchen voraussichtlich auch dauerhaft bleiben.
War die Vorfreude auf das Seenland also voreilig? Klar ist: Die Wiederherstellung naturnaher Lebensräume aus Tagebaugruben ist in dieser Größenordnung ein wasserwirtschaftliches Experiment und eine extrem teure Langzeitaufgabe. Zur Erholung in eine vollständig sanierte und renaturierte Landschaft wird man frühestens überübermorgen, vermutlich sogar erst am Ende dieses Jahrhunderts reisen können. Doch so wie nur die verletzte Auster eine Perle hervorbringen kann, können in den Wunden der Lausitz wertvolle Lebensräume reifen. Naturschützer beobachten an ehemaligen Gruben und Brachflächen bereits heute, wie Feldhasen, Rothirsche, Kraniche und Wölfe Gebiete zurückerobern.
Es ist zu wünschen, dass viele Flächen zu Naturreservaten erklärt werden. Wenn nicht nur die Art der Ausbeutung wechselt, könnte das Lausitzer Seenland hohe Wellen schlagen als ein Ort, der erholsamer Lebensraum statt nur Tourismusmarkt sein will. Dann wäre Urlaub mit Zusatzsinn möglich, Ferien zur eigenen Erholung, zur Rettung der Lausitz und der Erde. Darunter sollten es die Lausitzer nicht machen, es wäre die schönste Liebeserklärung an ihr Land und an sich selbst.