Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Geschichte zum Anhören und Erradeln
Als Teil der Liberation Route Europe erinnert jetzt ein Hörstein an der Wacht am Rhein an den Propaganda-auftritt von Kriegspremier Winston Churchill am 25. März 1945 in Büderich. Die Bilder gingen damals um die Welt.
Weselwinston Churchill ist wieder da. Gut sechsundsiebzigeinhalb Jahre nach seinem epochalen Besuch in Büderich erinnert nun ein 1,8 Tonnen schwerer Findling aus dem Gindericher Hülskens-kieswerk Pettenkaul an den Propaganda-auftritt des britischen Kriegspremiers im Polderdorf. Vom Balkon der Wacht am Rhein schaute er mit seinem Feldmarschall Bernfard Montgomery und dem Us-amerikanischen General Dwight D. Eisenhower am 25. März 1945 den alliierten Truppen bei der Überquerung des Rheins zu. Zum Entsetzen seiner Sicherheitskräfte ließ der ebenso gewiefte wie eigensinnige Politiker sich auf die rechte Seite übersetzen, krabbelte unter deutschem Artilleriebeschuss über die Trümmer der Rheinbrücke und ließ sich anderntags noch einmal am Bislicher Ufer sehen. Die Bilder gingen mit einer eindeutigen Botschaft um die Welt: Seht her, wir haben den Rhein überquert und sind auf dem Weg nach Berlin!
Es war ein blutiger Weg. Der Niederrhein war eine von vielen Stationen nach der Landung der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie. Nachgezeichnet wird er durch die Liberation Route Europe. Dies ist eine zertifizierte Kulturroute des Europarates, die Menschen, Orte und Ereignisse miteinander verbindet. So werde an die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus erinnert, sagte Wesels Bürgermeisterin Ulrike Westkamp am Dienstag bei der Übergabe des Denkmals „V-zeichen am Rhein“. V wie Victory. Churchill ließ nie eine Gelegenheit aus, mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand seine Siegesgewissheit vor Kameras zu demonstrieren. Erst recht nicht am Rhein.
Seit Anfang 2020 gehört Wesel über das Stadtarchiv dem Verein Liberation Route NRW an. Stadtarchivar Heiko Suhr vertritt die Stadt im Vorstand des deutschen Dachverbandes, der sich um die Aufstellung von Hörsteinen oder Audiospots kümmert. Davon gibt es in den Niederlanden und Deutschland mittlerweile schon mehr als 200 Stück. Sie tragen Hinweistafeln zum jeweiligen Ereignis und einen Qr-code, der zu einem Hörspiel führt. Dieses und die schriftlichen Informationen werden in Deutsch, Englisch und Niederländisch vermittelt.
Damit besonders im nahezu komplett zerstörten Wesel Kriegsgeschichte nicht nur les- und hörbar ist, gibt es sie auch zum Erradeln. Denn Wesel hat einen Flyer herausgegeben, der Interressierte auf schönen Wegen zu weiteren Spuren führt. Auf einer etwa 30 Kilometer langen Radtour werden fünf Stationen angefahren. Start ist am Großen Markt mit WillibrordiDom und historischer Rathaus-fassade. Beide Gebäude hatten damals in Trümmern gelegen. Weiter geht es zur alten Eisenbahnbrücke an der Rheinpromenade, deren Reste gleichfalls Mahnmale sind.
In Bislich erinnert die Pieta am Deich seit 1985 an die Opfer des Zweiten Weltkriegs. Hier hatten Briten ab der Nacht vom 23. auf den 24. März 1945 den Strom überquert und dann eine Behelfsbrücke (BaileyBridge) gebaut. Teile davon sind im Deichdorfmuseum Bislich zu sehen. Mit der Fähre „Keer tröch“(Saison und Fahrzeiten beachten!) geht es weiter auf die linke Rheinseite und zunächst ins Meerfeld bei Büderich.
Hier waren nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 fast 80.000 deutsche Soldaten auf blankem Acker in einem Lager als Kriegsgefangene eingepfercht. Über den Churchill-hörstein an der Wacht am Rhein geht es schließlich zu den linksrheinischen Resten der Eisenbahnbrücke am ehemaligen Fort I.
Die Stadt Wesel hat also ihren Beitritt zum Verein Liberation Route klug genutzt, um Besuchern mehr zu bieten als nur den Ankerpunkt Churchill-hörstein. Sie versteht sich als starker Partner des Nrw-vereins, will mit elf weiteren Kommunen, lokalen Geschichtsvereinen und Privatpersonen zur Idee beitragen, „eine transnationale Erinnerungskultur und touristische Angebote zu verknüpfen“. Dabei war bislang schon allerlei Zusammenarbeit nötig, was sich auch an den Gastgebern und ihren Gästen am Dienstagnachmittag ablesen ließ.
An Bord waren neben Bürgermeisterin Ulrike Westkamp und Stadtarchivar Heiko Suhr unter anderem Kulturdezernent Rainer Benien, Eike Schultz von Wesel-marketing, Vorsitzender Axel Buch und Geschäftsführer Gotthard Kirch von der Liberation Route NRW, Tobias Faasen als Geschäftsführer des an der Wacht in Büderich gerade umfangreich arbeitenden Deichverbandes Duisburg-xanten und der stellvertretende Deichgräf Erich Weisser sowie ASG-CHEF Mike Seidel mit seinen Leuten, die für die Platzierung des Steins gesorgt hatten, und Ramona Baumann als Vertreterin des Steinsponsors Hülskens.
Die Gesamtkosten für zehn Hörsteine in NRW lagen bei rund 97.000 Euro. Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat mit 77 Prozent das Projekt unterstützt.