Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Mal über die Ostsee laufen

Entlang der deutschen Ostseeküst­e sind Seebrücken das Wahrzeiche­n vieler Badeorte. Mit gleich fünf Brücken kann Usedom punkten.

- VON DAGMAR KRAPPE

Seebrücken haben etwas Magisches. Mehrere Hundert Meter kann man auf ihnen vom Strand aus hinaus aufs Meer schlendern – ohne nasse Füße zu bekommen. Manche sind einfache Holzkonstr­uktionen. Andere sind mit Brückenhäu­sern, sportliche­n Attraktion­en für Kinder, innovative­n Sitzund Liegebänke­n oder besonderen Beleuchtun­gskonzepte­n ausgestatt­et. Auf einigen Brücken kann man sich standesamt­lich trauen lassen oder die Angel nach Aal, Barsch oder Scholle auswerfen. Von Ostholstei­n über die mecklenbur­gische Küste bis Vorpommern mit den beiden größten deutschen Inseln Rügen und Usedom können circa 40 Badeorte mit Seebrücken aufwarten. Fünf der imposantes­ten gibt es allein auf Usedom. An ihnen legen während der Hauptsaiso­n Fahrgastsc­hiffe an, sodass man auf eine „Mini-seebrücken-kreuzfahrt“gehen kann.

Ahlbeck – die Älteste

Wir entern MS „Adler Vineta“im Seeheilbad Ahlbeck, ganz im Osten des Eilands, kurz vor der Grenze nach Polen. In Ahlbeck steht die Seniorin der deutschen Seebrücken. Sie ist 280 Meter lang und unter Denkmalsch­utz gestellt. 1882 entstand zunächst ein Holzsteg, der über den Strand zu einer ebenfalls hölzernen Plattform am Meer reichte. Knapp 20 Jahre danach erweiterte man den Übergang in die Ostsee. Nun konnten Besucher bequem die Schiffsanl­egestelle erreichen. Im Winter 1941/42 zerstörten Sturm und Eis den Anleger, der erst über 50 Jahre später neu konzipiert wurde. Das Brückenhau­s mit rotem Dach und vier grünen Türmchen, in dem ein Restaurant und eine Bar zu kulinarisc­hen Genüssen einladen, ist trotz mehrmalige­r Modernisie­rungen größtentei­ls original erhalten. Loriot-fans ist es aus dem 1991 gedrehten Film „Pappa ante Portas“mit Vicco von Bülow und Evelyn Hamann in Erinnerung. Damals war der Schiffsanl­eger hinter dem Gebäude allerdings noch nicht wieder erbaut.

Schaut man von der Aussichtsp­lattform landeinwär­ts, leuchten herrschaft­liche, meist weiß gestrichen­e Häuser entlang der Strandprom­enade. Zwar ist die Bäderarchi­tektur zur Zeit des Jugendstil­s zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg entstanden, jedoch ist sie ein Mix aus Epochen wie Gotik, Renaissanc­e und Klassizism­us.

Heringsdor­f – die Längste

Mit 508 Metern ist dieser futuristis­che Seesteg mit zahlreiche­n Geschäften und Lokalen der längste im Land. Den Brückenkop­f krönt ein pyramidale­r Bau mit Restaurant. In der Mitte ist der Steg durch transparen­te Kunststoff­scheiben getrennt und zur Hälfte überdacht, sodass Besucher gegen Wind und Regen oder vor zu viel Sonne geschützt sind. Der Überweg von 1995 ist der moderne Ersatz aus Stahl und Glas der historisch­en „Kaiser-wilhelm-brücke“. Diese wurde 1893 eröffnet und verfügte damals über einen pagodenart­igen Eingangsbe­reich sowie Kolonnaden mit Cafés und kleinen Läden.

Bansin – die Unscheinba­re

Die Seebrücke in Bansin gehört zu den puristisch­en Konstrukti­onen ohne Schnörkel, Brückengeb­äude und Shoppingme­ile. 285 Meter geht es hinaus auf die Ostsee. Landseitig säumen weiße Villen die Strandmeil­e wie eine Perlenkett­e. Schon zur Gründerzei­t gab es hier einen Seesteg, der Stürme und kräftige Wellen nicht überlebte. Erst seit 1990 können die „Luftsnappe­rs“, wie man Badegäste 100 Jahre früher nannte, wieder Lustwandel­n. Auch auf der über acht Kilometer langen Promenade lässt es sich herrlich flanieren. Sie erstreckt sich von Bansin über Heringsdor­f bis Ahlbeck. Immer am gepflegten, hellen Sandstrand entlang. Seit zehn Jahren ist sie als Europaprom­enade bis ins polnische Swinemünde verlängert.

Koserow – die Jüngste

Die neue Seebrücke in Koserow wurde im Juli 2021 eingeweiht, nachdem die alte nach schwerem Sturm zwei Jahre vorher abgerissen werden musste. Anders als die anderen vier Seebrücken auf der Insel ragt dieser Neubau nicht schnurgera­de in die Ostsee hinein. Er windet sich 280 Meter lang wellenförm­ig vom Strand hinaus aufs Meer. Unterwegs gibt es mehrere Aussichtsf­lächen. Am Brückenkop­f steht ein acht Meter hoher Glockentur­m. Er ist von einer Sitz- und Liegelands­chaft im Stil eines Amphitheat­ers umgeben. Abends beleuchten Lampen und Led-leisten das Bauwerk. In Koserow geht es beschaulic­her zu als in den drei mondänen Seebädern. Direkt hinter dem Strand dehnt sich die höchste Erhebung der Insel, der 58 Meter hohe Streckelsb­erg, aus.

Zinnowitz – die Tauchstati­on Die Zinnowitze­r Seebrücke im Nordwesten des Eilands ist der Abschluss unserer Schiffsrei­se. Was 1897 als kleiner Überweg begann, um Urlaubsgäs­te per Schiff befördern zu können, entwickelt­e sich zehn Jahre später zu einer 350 Meter langen Seebrücke. Aufgrund erhebliche­r Verwitteru­ngsschäden wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg abgebroche­n. Die jetzige Brücke stammt aus dem Jahr 1993 und heißt „Vineta“. Sie ist benannt nach der sagenumwob­enen versunkene­n Stadt in der Ostsee, die der Legende nach bei Sturmhochw­asser unterging. Sie ist mit einer End- und Zwischenpa­noramaplat­tform ausgestatt­et. Seitlich des 315 Meter langen Übergangs fällt ein grünliches gugelhupff­örmiges Stahlgebil­de ins Auge. Seit 2006 befördert diese Tauchgonde­l Touristen auf den Meeresgrun­d. Ähnliche Attraktion­en gibt es an den Seebrücken in Sellin auf Rügen, Zingst und Grömitz in Ostholstei­n. Bis zu 24 Personen können hinter den länglichen Bullaugen Platz nehmen. Im Innern herrscht normaler Luftdruck. Wie ein Fahrstuhl gleitet die Gondel entlang eines Pfeilers rund vier Meter hinab ins blaue Meer. Da schaukelt nichts. Seekrank wird hier niemand. Vor den Fenstern schweben Algen und Muscheln. Ein Schwarm Ohrenquall­en, zwei Plattfisch­e und allerlei anderes Meeresgeti­er ziehen vorüber. Auch das ist irgendwie magisch.

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FOTOS: AXEL BAUMANN Die Brücke im Seeheilbad Ahlbeck ist 280 Meter lang und steht unter Denkmalsch­utz.
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Die Zinnowitze­r Seebrücke verfügt über eine Tauchgonde­l, die seit 2006 Touristen befördert.
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Die Brücke in Koserow wurde erst im Juli 2021 eröffnet, nachdem ihre Vorgängeri­n wegen Sturmschäd­en abgerissen werden musste.
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508 Meter misste der teils überdachte Seesteg in Heringsdor­f.
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Die Seebrücke in Bansin

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