Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein Klima-nobelpreis
Der Deutsche Klaus Hasselmann, der Japaner Syukuro Manabe und der Italiener Giorgio Parisi bekommen den Nobelpreis für Physik. Es geht um Ordnung im Chaos: darum, was Wetter und Klima verbindet.
Aus dem Weltall erscheint die Erde als blaue Kugel, auf der Ozeane und Kontinente verteilt sind und über die Wolkenfelder ziehen. Doch je genauer man hinschaut, desto komplexer und komplizierter wird das Bild. In den Ozeanen ändert sich der Salzgehalt, helle und dunkle Landmassen nehmen Wärme anders auf. Die genaue Luftzusammensetzung verändert die Dynamik komplett. Komplexe Strömungsmuster in den Meeren und der Atmosphäre sorgen für Veränderungen. Das alles bestimmt unser Wetter, und wie sich lang- und mittelfristig unser Klima entwickelt.
Es scheinen zu viele Faktoren zu sein, um sie alle zu berechnen. Kleine Veränderungen können mit der Zeit gewaltige Folgen haben. Es wirkt chaotisch, unberechenbar und kaum zu begreifen. Und doch gibt es Ordnung im Chaos, und Vorhersagen lassen sich treffen.
Genau das haben die diesjährigen Physik-nobelpreisträger getan: Der Klimatologe Syukuro Manabe (90) wurde in Japan geboren und studierte dort. Dann aber verließ er das Land, das unter den Folgen des
Weltkrieges litt, und ging in die USA. Er griff die grundlegenden Arbeiten des schwedischen Physikers und Nobelpreisträger Svante Arrhenius auf, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Grundlagen des Treibhauseffekts beschrieben hatte. Zudem sah er schon damals die Gefahr eines Klimawandels durch das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl. Manabe erklärte im Detail, wie eine erhöhte Konzentration von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre zu steigenden Temperaturen führt. Er entwarf früh Klimamodelle und untersuchte, welche Auswirkungen Treibhausgase haben.
Der ehemalige Direktor des Hamburger Max-planck-instituts für Meteorologie, Klaus Hasselmann (89),
erweiter- rweiter te die Modelle – und erklärte, wie etwas so Begreifbares wie das Klima mit etwas so Chaotischem wie dem alltäglichen Wetter verbunden werden kann. Vereinfacht gesagt: Wenn man mit einem Hund am Strand spazieren geht, läuft der nach links und rechts oder springt umher. Die Spuren des Hundes sind chaotisch. Das entspricht dem Wetter. Und dennoch sieht man im Sand trotz aller Abweichungen von einem geraden Pfad, wie man sich mit dem Hund von Ort A zu Ort B bewegt hat. Das ist die Analogie für das Klima. Dieses chaotische „Rauschen“um den Pfad lässt sich wiederum modellieren – und führt zu besseren Klimasimulationen. Das schaffte das Fundament für Modellberechnungen, die Jahre und Jahrzehnte weit in die Zukunft reichen.
Zudem erkannte Hasselmann sogenannte Fingerabdrücke im Klima. Sei es Asche aus Vulkanausbrüchen, Veränderungen in der Strahlung der Sonne oder Treibhausgase: Ihre jeweiligen
Auswirkungen lassen sich identifizieren. Dadurch aber wird der von unseren Emissionen verursachte Klimawandel nicht nur fundiert dargestellt, sondern auch belegt.
Nicht so ganz ins Bild der Klimaforscher scheint zunächst der italienische Physiker Giorgio Parisi (73) aus Rom zu passen. Aber er entdeckte, wie scheinbar zufällige Ereignisse am Ende gewissen Regeln folgen: Die Teilchen eines Gases sind frei und bewegen sich zufällig.
Kühlt man das Gas aber schnell ab, müssen die Teilchen sich neu ordnen. Dafür haben sie verschiedene Möglichkeiten, am Ende aber steht nur ein Zustand von vielen möglichen Zuständen. Wiederholt man das Experiment, ergeben sich immer wieder andere Zustände. Nichts wiederholt sich, rein zufällig wird jedes Mal eine andere Möglichkeit Realität. Das scheint chaotisch. Und doch lässt sich diese Willkür begreifen: Parisi fand einen Weg, das Verhalten zu berechnen. Er brachte Ordnung ins Chaos. Und seine Arbeit hatte enorme Auswirkungen auf die Modelle Komplexer Systeme in der Mathematik, der Biologie und auch der Klimaforschung.
Die Entdeckungen der drei Wissenschaftler zeigen, dass „unser Wissen über das Klima auf einer soliden wissenschaftlichen Basis beruht“, sagt Thors Hans Hansson vom Nobelpreis-komitee für Physik. So setzt man kurz vor der Un-klimakonferenz im Glasgow ein politisches Signal in Zeiten, in denen weltweit einige Politiker und „Leugner“den Klimawandel in Zweifel ziehen. Vor dem warnte Hasselmann bereits in den 1980ern. Und Parisi sagte kurz nach der Ehrung: „Es ist klar, dass wir für künftige Generationen jetzt sehr schnell handeln müssen.“Es sei sehr dringend, dass auf der UNKlimakonferenz im November in Glasgow klare Entscheidungen getroffen würden.