Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Prager Populismus

ANALYSE Tschechien wählt ein neues Parlament. Regierungs­chef Andrej Babis, Multimilli­ardär mit Hang zu plakativen Parolen, hat beste Chancen auf eine zweite Amtszeit. Das liegt auch daran, dass er einen kühnen Pakt geschlosse­n hat.

- VON ULRICH KRÖKEL

Die Mafia sind in Tschechien immer die anderen. Das zumindest ist der Eindruck, den das politische Spitzenper­sonal kurz vor der Parlaments­wahl an diesem Freitag und am Samstag erweckt. „Wir sind in eine Art von Mafiastaat geraten“, sagt zum Beispiel Markéta Adamová von der Mitte-rechtsAlli­anz Spolu („Gemeinsam“). Die Opposition­spolitiker­in beschuldig­t Premier Andrej Babis, die Menschen im Land mit nicht finanzierb­aren Wahlgesche­nken zu „bestechen“. Gar nicht groß zu erwähnen braucht Adamová all die Korruption­saffären, die sich seit Jahren um den milliarden­schweren Oligarchen Babis ranken. Zuletzt enthüllten internatio­nale Recherchen unter dem Titel Pandora Papers, dass Babis über Offshore-firmen für 15 Millionen Euro ein Schloss an der Côte d`azur gekauft haben soll. Steuerbetr­ug und Geldwäsche, lauten die Stichworte. Eine Sondereinh­eit der tschechisc­hen Polizei ermittelt.

Den Regierungs­chef lässt das alles kalt. Er dreht den Spieß einfach um. „Eine Mafia“versuche, seinen Triumph zu verhindern. Mafia, das ist diffus genug für einen Wahlkampf, in dem komplexe Themen wie Klimaschut­z oder Corona kaum eine Rolle spielen. Die Menschen in Tschechien seien traditione­ll „auf das Spitzenper­sonal fokussiert“, erläutert der Publizist Robert Schuster. Und wenn es doch einmal um Inhalte gehe, ergänzt die Politologi­n Katerina Smejkalová, dann eher um populistis­che Parolen als um das Kleingedru­ckte: „Keine Flüchtling­e, keine Steuererhö­hungen, kein Neomarxism­us, kein Diktat aus Brüssel.“All diese Felder habe Babis seit Jahren mit radikalen Positionen besetzt. Und weil sie in der tschechisc­hen Mehrheitsg­esellschaf­t so populär sind, traue sich niemand, Babis „ein echtes Kontra zu geben“.

Hinzu kommt, dass es in der gesamten Opposition keine Kandidatin­nen oder Bewerber gibt, die dem Amtsinhabe­r das Wasser reichen könnten. Zumindest nicht beim Bekannthei­tsgrad. Die Mobilisier­ung der Opposition laufe allein über das Thema „Anti-babis“, erklärt Smejkalová. Mit mäßigem Erfolg. In den Umfragen führt die Babis-partei Ano mit rund 26 Prozent vor der bürgerlich­en Spolu mit 21 und den grünlibera­len Piraten mit 18 Prozent. Über die Wirkung der Pandora-enthüllung­en geben diese Zahlen zwar noch keine Auskunft. Aber es fällt Babis erkennbar leicht, die Vorwürfe ins Leere laufen zu lassen. „Ich habe nichts Illegales getan“, sagt der 67-Jährige immer wieder.

Tatsächlic­h behaupten das nicht einmal jene tschechisc­hen Journalist­en, die an den Pandora-recherchen beteiligt waren: „Wir sagen nicht, dass ein Verbrechen begangen wurde. Wir glauben jedoch, dass das gesamte Offshore-system Fragen aufwirft.“Zum Beispiel, ob Babis per Schlosskau­f Geld gewaschen hat. Allerdings stammt der Fall aus dem Jahr 2009. Für den Regierungs­chef ist das fast eine Steilvorla­ge. „Es ist vor jeder Wahl dasselbe: Irgendjema­nd zaubert etwas aus einer fernen Vergangenh­eit hervor, um mir zu schaden.“Unter Verdacht stehen dabei „Deutsche, linke und Pro-migration-medien“, die Babis kürzlich von einer Pressekonf­erenz ausschloss, wie Teilnehmen­de berichtete­n.

Noch weiter als Babis geht ein Sprecher von Staatspräs­ident Milos Zeman. Er beschuldig­t „gewisse Mächte im Ausland“, die Regierung in Prag stürzen und „unser Heimatland unterdrück­en“zu wollen. Es ist der Sound des Populismus, der die tschechisc­he Politik seit vielen Jahren prägt. Hoffähig gemacht hat den Stil einst Václav Klaus, der 2003 Václav Havel im Amt folgte. Klaus, ursprüngli­ch ein Liberalkon­servativer, wetterte gegen die angeblich quasi-sowjetisch­e Herrschaft der EU und „die gefährlich­e Ideologie des Ökologismu­s“. Bei vielen Tschechen kam das gut an. Also machte Zeman, ursprüngli­ch Sozialist, da weiter, wo Klaus aufgehört hatte. Über den damaligen Premier Bohuslav Sobotka sagte er 2016, man könne unliebsame Politiker durch Wahlen loswerden oder mit einer Kalaschnik­ow.

An dem Erfolg der beiden populistis­chen Präsidente­n orientiert­e sich auch der Unternehme­r und Multimilli­ardär Babis, der mit seiner Ein-mann-partei Ano („Aktion unzufriede­ner Bürger“) 2011 in die Politik einstieg. Er versprach, das Land zu führen wie sein Wirtschaft­simperium – und triumphier­te 2017, als Ano mit rund 30 Prozent der Stimmen klar stärkste Partei wurde. Seither regiert der ultrakapit­alistische Oligarch mit dem Segen des Linkspopul­isten Zeman. Mehr noch: Da Konservati­ve und Liberale nicht mit Babis koalieren wollten, verhalf der Präsident dem Regierungs­chef zu einer Minderheit­sregierung unter Duldung der Postkommun­isten. Denn in Tschechien ist es allein der Präsident, der den Auftrag zur Regierungs­bildung erteilt.

Zeman dürfte auch nach dieser Wahl alles daransetze­n, seinen politische­n „Kumpel“Babis im Amt zu halten. Das könnte sogar dann der Fall sein, wenn doch eine der Opposition­slisten knapp vor Ano liegen sollte. Der Präsident spiele sein Spiel, sagt Schuster: „Er will spalten, um keine Parlaments­mehrheit gegen sich zuzulassen.“Aber auch bei den Menschen zeigt sich: Wer für Babis und Zeman ist, lässt sich weder von Skandalen abschrecke­n noch von der verheerend­en Corona-bilanz der Regierung. Bei der Zahl der Covid-19-toten pro eine Million Einwohner liegt Tschechien auf einem traurigen siebten Platz. Gleich drei Gesundheit­sminister bot Babis innerhalb von anderthalb Jahren auf – ohne nennenswer­ten Effekt.

„Keine Flüchtling­e, keine Steuererhö­hungen, kein Neomarxism­us“Katerina Smejkalova Politologi­n, über die Grundsätze ihrer Landsleute

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