Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Abgerustet

Wenn der Dom fertig ist, geht die Welt unter, sagt man in Köln. Bis jetzt dreht sie sich weiter, auch wenn es mit dem Abbau des Gerüsts am Nordturm erstmals seit langer Zeit keine Baustelle mehr gibt.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

KÖLN (dpa) „Los geht`s!“, sagt Dombaumeis­ter Peter Füssenich. In 105 Meter Höhe gibt es jetzt einen Ruck. Ein riesiger Kran hat das erste Teil des 30 Meter hohen Hängegerüs­ts am Nordturm des Kölner Doms abgenommen. Es ist der heikelste Moment des Unterfange­ns. Wenn das Gerüst jetzt auch nur leicht schwanken und gegen den Turm schlagen würde, könnte das enormen Schaden verursache­n. Minuten später aber setzt das Gerüst sicher auf der Domplatte auf. Peter Füssenich lächelt. „Alles gut.“

Der schmale, bärtige Mann, der an diesem Tag einen weißen Schutzhelm trägt, ist der 19. Kölner Dombaumeis­ter. Der erste war Meister Gerhard, und er lebte von etwa 1210 bis 1271. Meister Gerhard nahm den Auftrag an, eine Kirche zu bauen, die 20.000 Menschen fassen kann – in einer Stadt, die damals 40.000 Einwohner zählte.

Trotz solcher Superlativ­e: Wer in den vergangene­n Jahren kam, um den Dom zu sehen, war oft enttäuscht: „Oh nein – was für ein Pech! Ausgerechn­et jetzt wird renoviert!“Dieser Stoßseufze­r bezog sich auf das Baugerüst am Nordturm. Für Erinnerung­sfotos nicht ideal. Zumal es auch schon so schwierig genug ist, ein Selfie vor dem Dom zu machen: So sehr man sich auch verrenkt, auf die Domplatte kniet oder gar der Länge nach hinlegt – man bekommt ihn einfach nicht richtig drauf. Das Ding ist zu groß. Die Westseite mit dem Hauptporta­l gilt als größte Kirchenfas­sade der Welt.

An diesem Donnerstag aber ist es nun endlich so weit: Nach zehn Jahren nimmt der Dom gleichsam die schützende Gesichtsma­ske ab und zeigt sich unverhüllt. Schon am frühen Morgen sieht man in mehr als 100 Metern Höhe vier kleine Gestalten auf dem Gerüst herumturne­n und hört ihr Hämmern bis nach unten. Das kommt dadurch zustande, dass sie die Befestigun­gsbolzen lösen. Eine große Menge Schaulusti­ger steht um den abgesperrt­en Bereich herum, den Blick steil nach oben gerichtet.

Das Gerüst wurde 2011 installier­t, weil es Steinschla­g gegeben hatte – nicht ungefährli­ch, da unten ständig Leute vorbeigehe­n. Ursache für den Steinabstu­rz war die Verwendung von Eisen in den sogenannte­n Filialtürm­chen, mit denen die Ecken des Turms verziert sind. „Eisen rostet, kann zu Steinspren­gungen führen, und das ist der Grund, warum wir an den ganzen Turmecken diese Eisen- gegen Edelstahl-bewehrunge­n austausche­n, die nicht mehr rosten können“, erklärt Dombaumeis­ter Füssenich. Bei der Gelegenhei­t wurden gleich auch Kriegsschä­den ausgebesse­rt und zwei mehr als drei Meter hohe Engelsfigu­ren ersetzt.

Bis zum Jahr 2023 soll nun erst einmal freie Sicht auf den Dom herrschen. Dann allerdings wird es wieder ein neues Gerüst geben. Viele fragen sich, warum das sein muss: Andere Bauwerke wie etwa Big Ben in London werden doch auch nur für ein paar Jahre eingerüste­t und erstrahlen dann auf Jahrzehnte in neuem Glanz. Warum geht das in Köln nicht auch so? Die Antwort von Peter Füssenich: „Der Kölner Dom ist ein so filigranes Bauwerk mit so vielen Oberfläche­n, Tausenden von kleinen Filialtürm­en, dass immer etwas zu tun ist. Die Kölner sagen: ,Wenn der Dom fertig ist, geht die Welt unter.' Ich kann Ihnen verspreche­n: Die nächsten Jahrzehnte passiert das auf jeden Fall nicht.“

 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Ein 30 Meter hohes Aluminiumg­erüst hing zehn Jahre lang am Nordturm des Kölner Doms in mehr als 100 Meter Höhe. Am Donnerstag wurde es abgebaut.
FOTO: OLIVER BERG/DPA Ein 30 Meter hohes Aluminiumg­erüst hing zehn Jahre lang am Nordturm des Kölner Doms in mehr als 100 Meter Höhe. Am Donnerstag wurde es abgebaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany