Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

450 Jahre Kirche von unten

1571 entwickelt­e die „Emder Synode“den Grundsatz, dass in der Kirche niemand Vorrang oder Herrschaft beanspruch­en sollte. Was bedeutet das für die Gegenwart?

- THOMAS BRÖDENFELD

Vor 450 Jahren, vom 4. bis 13. Oktober 1571, fand im ostfriesis­chen Emden die „Emder Synode“statt. Eingeladen waren Gemeinden aus dem damaligen Gebiet der Niederland­e. Sie lebten teilweise unterdrück­t von der spanischen Herrschaft, teilweise waren sie ins Ausland geflohen, so auch an den Niederrhei­n. Die Synode vom Emden entwickelt­e vor 450 Jahren Grundsätze für eine Kirchenord­nung, in der niemand „den Vorrang oder die Herrschaft beanspruch­en“sollte.

Die Verhandlun­gen der Emder Synode orientiert­en sich an den Überliefer­ungen der Bibel. Es gibt nur einen Herrn der Kirche, Jesus Christus selber. Ein autoritäre­s Papst- und Bischofsam­t widerspric­ht Leben und Wirken von Jesus und der Urgemeinde. Kirche gründet sich stets von unten nach oben, in demokratis­chen Prozessen und Abstimmung­en.

Die Beschlüsse der Emder Synode von 1571 hatten weitreiche­nde Wirkungen. Das gilt besonders für die niederländ­ische Kirche, aber auch für reformiert­e Kirchen in Deutschlan­d und weltweit. Das presbyteri­al-synodale Ordnungspr­inzip der evangelisc­hen Kirchen mit seinem antihierar­chischen Charakter hätte ohne die Emder Synode von 1571 weniger Verbreitun­g gefunden. In Erinnerung und Würdigung der Emder Synode hat die Landessyno­de 2021 der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland in einem neuen Artikel 1a der Kirchenord­nung die Grundsätze der presbyteri­al-synodalen Gemeinscha­ft festgehalt­en. Dazu gehört unter anderem, dass keine Kirchengem­einde und kein Kirchenkre­is Vorrang oder Herrschaft über einen anderen beanspruch­t und dass Angelegenh­eiten so weit wie möglich von den Kirchengem­einden selbst entschiede­n werden, bevor sich übergeordn­ete Stellen damit befassen.

In vielen Kirchen wird diskutiert, wie man den Herausford­erungen der Gegenwart begegnen kann und was dem Relevanzve­rlust von Kirche und Glaube entgegenge­setzt werden kann. In der katholisch­en Kirche wird intensiv und kontrovers über den „Synodalen Weg“gestritten, in dem es auch um Macht und Gewaltente­ilung in der Kirche und um eine gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsau­ftrag geht. Die Grundidee der Emder Synode vor 450 Jahren, dass Kirche dann Kirche Jesu Christi ist, wenn sie sich von unten her gründet und legitimier­t und ohne jeden Herrschaft­sanspruch ist, bleibt daher Auftrag für alle Christen in dieser Zeit.

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