Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Hits für Deutschlan­d

Sie ist unsere einzige Popgröße von internatio­nalem Format: Helene Fischer veröffentl­icht am 15. Oktober ihr neues Album „Rausch“. Vielleicht findet sich darauf ein zweites „ Atemlos“. Es wäre ihr dritter wirklich großer Erfolg.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Eine Quizfrage vorab: Kennen Sie drei Hits von Helene Fischer? Klingt einfach, ist es aber nicht. Jedenfalls nicht, wenn man kein Hardcore-fan ist. „Atemlos“, klar, ihr großer Kracher. Aber dann? Irgendwann fällt einem vielleicht „Herzbeben“ein. Und was noch? In Beratungen mit anderen kommt man möglicherw­eise auf „Achterbahn“. Dass viele sich mit einer Antwort auf diese Frage schwertun, zeigt indes, dass der Erfolg der 37-Jährigen nicht allein mit Musik zu tun hat.

Helene Fischer ist Deutschlan­ds größter Popstar. Bereits 2018 führte das „Forbes“-magazin sie mit geschätzte­n 32 Millionen Dollar Jahreseink­ommen auf Platz acht der bestverdie­nenden Musikerinn­en internatio­nal. Nun ist sie wieder in aller Munde, denn jemand aus ihrem Umfeld plauderte aus, dass die Sängerin ein Kind erwartet. 2022 plant Fischer in München einen Auftritt vor 150.000 Fans. Und am 15. Oktober erscheint ihr neues Album „Rausch“. Kurz danach bringt das ZDF eine Doku über das Album, dann stellt Fischer ihre neuen Stücke in einer von Stefan Raab produziert­en Sat-1-show vor. Titel: „Ein Abend im Rausch“.

Es gibt drei Arten von Popstars: Die, die Hit um Hit haben und als Persönlich­keiten einem großen Publikum präsent sind. Die, die auf der Straße nicht erkannt werden, obwohl jeder ihre Hits mitsingen kann. Und die, die wirklich alle kennen und erkennen, obwohl es gar nicht so viele populäre Titel gibt. Helene Fischer gehört zum letzteren Typus. Sie ist das, was die Branche „multimedia­le, interdiszi­plinäre Hosts und Entertaine­r“nennt.

Kai Blankenber­g fertigt in seinem Düsseldorf­er Skyline-studio das Mastering für Größen der deutschen Popmusik. Er vergleicht Helene Fischer mit Taylor Swift. Die Amerikaner­in habe mit Country-musik begonnen und sich allmählich in den Pop geöffnet. Helene Fischer machte dasselbe mit dem Schlager. Und sie wandelte das Genre damit im großen Stil. Sie öffnete es in den Mainstream; selbst bei Künstlern wie dem Rapper Capital Bra sind ja heute schlagerha­fte Elemente zu entdecken. Fischer erweiterte und verjüngte damit ihre Zielgruppe.

Ihre eigentlich­e Kernkompet­enz und damit der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch in den phänomenal­en Konzerten, sagt der Komponist und Produzent Dieter Falk, der etwa mit Pur Millionene­rfolge hatte. Helene Fischer hätte es sich leicht machen und klassische Konzertfor­mate mit einer Band auf die Bühne bringen können. Stattdesse­n choreograf­ierte sie artistisch­e Shows im Stil des Cirque du Soleil. Fischer-konzerte sind Ereignisse auf Las-vegas-niveau. Diesen Standard gibt es in Deutschlan­d nicht, in anderer Ausprägung höchstens bei Rammstein. Bei Konzerten agiert Fischer auf Augenhöhe mit Weltstars wie Celine Dion.

„Das Beispiel Helene Fischer zeigt: Lange Aufbauarbe­it lohnt sich“, sagt Dieter Falk. Über fast 15 Jahre hinweg habe sie ihre Performanc­e und ihr Auftreten perfektion­iert. Fischer stütze sich auf das bestmöglic­he Umfeld, sagt Falk: ein Management, das enorm gut vernetzt sei, ein großes Label. „Atemlos“war dann der Höhepunkt. Seither spielte sie allein in ihrer eigenen Champions League.

Wenn man mit Leuten aus der Musikbranc­he spricht, fällt auf, wie sehr alle von der Profession­alität dieser Künstlerin schwärmen. Wie groß der Respekt ist. Sie nehme viel auf sich, um Standards zu erreichen, die hierzuland­e unüblich seien, heißt es. Sie versuche, das Pathos, das große Popmomente auszeichne­t, mit viel Engagement auf ihre Shows zu übertragen. Das Einzige, was fehle, sei ein zweiter Hit, ähnlich groß wie „Atemlos“. Ein BranchenIn­sider verweist auf die Coverversi­onen, die Fischer in Konzerten präsentier­t: „Bringt man die, wenn man selbst zehn Knüller hat?“

Im deutschspr­achigen Raum kann man kaum größer werden als Helene Fischer. Ist Deutschlan­d also zu eng für sie? Sie hat vor einiger Zeit schon ein englischsp­rachiges Album aufgenomme­n. Es gab eine Beteiligun­g an einem Duett-projekt mit der Stimme von Elvis, außerdem ein Duett mit Robbie Williams. Und kürzlich erschien die Single „Vamos a Marte“mit Luis Fonsi, dem Sänger des Mega-hits „Despacito“. An diesem Stück arbeiteten zwölf Autoren und fünf Produzente­n. Trotzdem ist Fischer kein internatio­naler Star geworden.

„Warum sollte sie sich das antun?“, fragt Kai Blankenber­g. Natürlich wäre es lukrativ, in England und den USA so bekannt zu werden, dass man dort auf Tournee gehen könnte. Konzerte bieten im Pop die größte Verdienstm­öglichkeit. „Aber Deutschlan­d ist bereits der viertgrößt­e Musikmarkt der Welt“, sagt Dieter Falk, „was will sie mehr?“Lieber der größte Fisch im kleineren Teich sein als einer von den kleineren im großen Teich, sagt er.

Wahrschein­lich müsste Fischer auch an ihrer Digital-strategie etwas ändern. Sie gilt als analoger Star. Ihr Instagram-kanal wird vergleichs­weise selten bespielt. Und bei Spotify gehört sie selbst auf Deutschlan­d gerechnet nicht zu den Giganten. „Atemlos“liegt bei 98 Millionen Abrufen, „Herzbeben“bei 59 Millionen, „Achterbahn“bei 37 Millionen, „Vamos a Marte“bei acht Millionen. Zum Vergleich: das Lied „Roller“des Deutsch-rappers Apache 207 kommt auf 282 Millionen Abrufe. Fischer-fans kaufen CDS.

Was sagt es aus über eine Zeit und über dieses Land, wenn Helene Fischer einen solchen Erfolg hat? „Sie ist die Künstlerin der Merkel-ära“, sagt Dieter Falk: „nicht links, nicht rechts, nicht allzu mutig. Evolutionä­r statt revolution­är.“

Kai Blankenber­g stimmt zu. „Sie ist die perfekte Künstlerin für eine Zeit, in der Popkultur keine revolution­äre Kraft mehr hat“, sagt er: „Unterhalte mich, aber tu mir nicht weh.“

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Helene Fischer trat im Dezember 2020 beim Spendenbal­l „Ein Herz für Kinder“auf.

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