Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wenn Teilchen nicht loslassen können

Der Nobelpreis für Physik geht an die Quantenfor­scher Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger.

- VON LUDWIG JOVANOVIC

Kleinste Teilchen können miteinande­r verbunden sein. Und dieses Band kann so stark sein, dass sie sich gegenseiti­g beeinfluss­en. Über Zentimeter, Kilometer oder Lichtjahre hinweg – wenn sie miteinande­r verschränk­t sind. In der Praxis heißt das: Hat Teilchen 1 einen Zustand A, kann Teilchen 2 nur Zustand B haben. Oder anders gesagt: Wenn Zwillinge viele Kilometer entfernt sind, zieht der eine Zwilling immer ein rotes Hemd an, wenn der andere ein gelbes trägt.

Als in den 1930ern die Überlegung­en dazu bei den Pionieren der Quantenphy­sik diskutiert wurden, war Albert Einstein ein entschiede­ner Gegner dieser Idee. Die Möglichkei­t, dass sich Quanten offenbar umgehend über weite Strecken beeinfluss­en können, widersprac­h seiner Vorstellun­g vom Universum. Einstein nannte es eine „spukhafte Fernwirkun­g“. Es wurde eine alternativ­e Erklärung postuliert: Uns würden Informatio­nen fehlen, die die Zustände von Teilchen beeinfluss­en. Diese Fernwirkun­g sei darum nur scheinbar. Wenn man diese sogenannte­n „versteckte­n Variablen“entschlüss­eln könnte, ließe sich das ausschließ­en. Es gebe tatsächlic­h einen lokalen Zusammenha­ng von Ursache und Wirkung, den wir nur noch nicht verstehen würden. Aber keine „spukhafte Fernwirkun­g“. Die Diskussion­en indes sollten anhalten. Beide Denkweisen stritten heftig um ihre jeweilige Deutung der Quantenphy­sik,

Andere Wissenscha­ftler wie John Bell stellten in den 1960ern dann Berechnung­en an, wie man in Experiment­en einen Nachweis für das eine oder andere erbringen könnte. Und eben das haben die drei Preisträge­r Alain Aspect (75), Anton Zeilinger (77) und John Clauser (79) geschafft. In komplizier­ten Versuchsau­fbauten konnten sie die Möglichkei­t „versteckte­r Variablen“immer weiter ausschließ­en. Die „spukhafte Fernwirkun­g“gab es tatsächlic­h.

Zumindest auf Quantenebe­ne.

Denn dort stellt sich die Welt etwas anders dar als in unserer alltäglich­en Erfahrung. Quanten an sich haben keinen definierte­n Zustand. Vielmehr haben sie diverse Möglichkei­ten, die alle eine eigene Wahrschein­lichkeit haben. Erst bei einer Messung oder einem Experiment werden sie schlussend­lich gezwungen, einen Zustand einzunehme­n. Beim Zwillingsb­eispiel sind alle Hemden im Schrank zunächst grau. Erst wenn einer der beiden ein Hemd rausnimmt, erhält es eine Farbe. Wenn zwei Teilchen aber verschränk­t sind, bestimmt der Zustand des einen Teilchens auch den Zustand des anderen. Eben wie das gelbe Hemd des einen Zwillings, das rote des anderen vorgibt.

Verletzt das nicht Einsteins Relativitä­tstheorie, nach der die Lichtgesch­windigkeit die Obergrenze ist? Die Informatio­nen der verschränk­ten Teilchen müssten sich dann doch schneller bewegen. Nicht ganz. Um in dem Beispiel zu bleiben: Wenn der eine Zwilling ein rotes Hemd trägt, weiß er nichts von dem gelben Hemd des anderen. Dazu müsste der erst ein Foto schicken oder anrufen. Und das geht nicht schneller als das Licht.

Und dennoch entzieht sich die Quantenver­schränkung dem normalen Menschenve­rstand. Zumal die Möglichkei­ten weiter reichen: Über die Verschränk­ung lassen sich Quanten quasi kopieren. Umgehend von einem Teilchen zu einem anderen. Man spricht dann von Quantentel­eportation, weil ein Teilchen scheinbar von einem Ort zu einem anderen gesprungen ist. Und unter anderem diese Möglichkei­ten der Verschränk­ung bietet viele Optionen für Quantencom­puter – und wie sie Daten verarbeite­n. Aus einer theoretisc­hen Diskussion in den 1930ern ist so heute eine technologi­sche Forschung geworden. Für die Computer der Zukunft, die deutlich schneller sein werden, als es die zurzeit benutzte klassische Chiptechni­k jemals sein könnte.

 ?? FOTO: JONAS EKSTROMER/DPA ?? Der Nobelpreis für Physik geht an Alain Aspect (oben, v. l.), John F. Clauser und Anton Zeilinger. Sie untersucht­en verschränk­te Teilchen.
FOTO: JONAS EKSTROMER/DPA Der Nobelpreis für Physik geht an Alain Aspect (oben, v. l.), John F. Clauser und Anton Zeilinger. Sie untersucht­en verschränk­te Teilchen.

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