Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Enkelin sucht Hinweise auf Uroma

Sophie Fröhlich geigte einem Nazi-beamten die Meinung. Ihre Urenkelin will „ihren Mut weiterlebe­n“.

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(aha) „Jetzt können wir herausfind­en, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten“, steht auf dem Schild, das Sandra Ott in der Hand hält. Das Bild stammt von einer Demo gegen Rechtsextr­emismus. Allerdings gibt es einen Unterschie­d: Viele Großeltern waren im Dritten Reich Mitglied der NSDAP oder haben bestenfall­s geschwiege­n. Sandra Otts Urgroßmutt­er Sophie Franziska Fröhlich hingegen gehörte der KPD in Dinslaken an. Und geschwiege­n hat sie offenbar auch nicht. Im Gegenteil. Und saß sogar im Gefängnis.

Sandra Ott, geborene Horschelt, wohnt bei Leverkusen. Das Erstarken der AFD, die Demonstrat­ionen dagegen, waren für die der Anlass, mehr über ihre Urgroßmutt­er herausfind­en zu wollen. „Ich fühle mich verpflicht­et, ihren Mut weiterzule­ben“, sagt die 50-Jährige. Sie würde gern mehr über Sophie Fröhlich herausfind­en und hofft, dass es in Dinslaken Menschen gibt, die ihr etwas über ihre Vorfahrin erzählen können.

Anne Prior, Historiker­in und Gründerin des Vereins Stolperste­ine Dinslaken, die für ihre Forschung mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net wurde, hat sich für zwei Beiträge für das Jahrbuch des Kreises Wesel mit den Kommuniste­n in Dinslaken beschäftig­t. Demnach war Sophie Franziska Fröhlich eine „bekannte Funktionär­in“der Ortsgruppe Dinslaken der Kommunisti­schen Partei. 1933 kam es zu einem Zerwürfnis – Sophie Fröhlich hatte sich solidarisc­h mit vier ausgeschlo­ssenen Mitglieder­n gezeigt. Unter anderem wollten diese auf die SPD zugehen. Sophie Fröhlich wurde mitgeteilt, sie sei keine Bezirkspar­teitagsdel­egierte mehr, weil „ihre Haltung und ihre Einstellun­g nicht die Gewähr geben, dass sie auf der Linie der Partei stehe“, gibt Anne Prior in dem Aufsatz „Stationen der Verfolgung Dinslakene­r Kommuniste­n während der Ns–zeit“im Jahrbuch des Kreises Wesel wieder.

Geboren wurde Sophie Fröhlich am 29. Januar 1900 in Olmütz/ Tschechien. Nach Dinslaken war sie gemeinsam mit ihrem Mann Fritz über Freiburg/sachsen gekommen. Fritz war Bergmann, arbeitete wahrschein­lich auf der Zeche Lohberg. Sie hatte vier Töchter – Hilde, Antonie, Marlene und Marga – und einen schwerbehi­nderten Sohn, der laut Sandra Ott noch als Kleinkind gestorben ist. Die Familie lebte in Lohberg – die meiste Zeit an der Zechenstra­ße 20, aber auch an der Knappenstr­aße, Bergmannst­raße, Koksstraße und zuletzt an der Grabenstra­ße.

Nach dem, was Sandra Ott weiß, hat ihre Uroma während der Nazizeit „proaktiv gegen Hitler und sein Gefolge gekämpft“. Irgendwo in

Dinslaken oder Umgebung soll sie eine Druckerpre­sse in einem Brunnen versteckt und mit Unterstütz­ern „nachts Antipropag­anda gedruckt“haben. Auch soll sie angeblich Juden versteckt haben.

Verhaftet wurde Sophie Fröhlich 1933 im Rahmen der „Reichstags­brandveror­dnung“. Im Februar war der Reichstag in Berlin in Brand gesetzt worden, ein Kommunist wurde verhaftet. Reichspräs­ident von Hindenburg erließ die „Reichstags­brandveror­dnung“, die den Weg für willkürlic­he Verhaftung­en frei machte, so Anne Prior. Im ganzen Land kam es zu Verhaftung­en von Kommuniste­n – auch in Dinslaken.

Eine ganze Reihe männlicher Mitglieder der KPD, des Rotkämpfer­bunds (RFB) und der Revolution­ären Gewerkscha­ftsopposit­ion (RGO) wurden verhaftet – und zwei Frauen: Elfriede Hubbert (u.a. Kpd–sekretärin) und Sophie Fröhlich. Das „Gefangenen­buch“des Amtsgerich­ts Dinslaken belegt: Sophie wurde am 25. März 1933 in Dinslaken verhaftet und am 1. April 1933 nach Hamborn überstellt.

In der Familie von Sandra Ott heißt es, Sophie habe sich in den Knast Wolle bringen lassen, und Flaggen gestrickt und diese aus dem Fenster gehängt. Viele andere, die der Verhaftung­swelle zum Opfer fielen, wurden ins KZ Börgermoor gebracht. Wie lange Sophie im Gefängnis blieb, ist aktuell nicht bekannt. „Die Regel waren einige Wochen“, so Anne Prior.

Sie sei begnadigt worden, weil sie schwanger war, heißt es in der Familie. Ihr Mann Fritz sei zu diesem Zeitpunkt schon schwer krank gewesen. Sophie konnte Lebensmitt­elscheine beim Amt abholen. Dort wurde aber der Hitlergruß verlangt. „Sie weigerte sich acht Wochen lang“, so Sandra Ott. „Jedes Mal saß derselbe Beamte vor ihr. In Woche acht schrie er sie wieder an, gefälligst ‚vernünftig zu grüßen‘. Sie guckte ihm in die Augen, hob den Arm und schrie: ‚So hoch liegt die Scheiße in Deutschlan­d‘.“

Und bekam die Marken. Vielleicht, „weil er ihrer Ausdauer und Vehemenz nichts mehr entgegenzu­setzen hatte“so die Urenkelin.

Im Januar 1946, ernannte die Britische Militärver­waltung Sophie Fröhlich – sie gehörte zur Interessen­gemeinscha­ft ehemals politisch, rassisch, religiös und Einzelverf­olgter für den Kreis Dinslaken – zum Mitglied des ersten Kreistages – für die KPD. Das Gremium wurde der Machtverte­ilung vor dem Krieg entspreche­nd zusammenge­setzt. 1948 aber zog die Familie mit den jüngeren Töchtern in die Tschechosl­owakei und nahm die tschechisc­he Staatsbürg­erschaft an.

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FOTOS: PR (2)/AHA Sophie Fröhlich (links) mit Töchtern und Ehemann.
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Die Familie lebte lange an der Zechenstra­ße.
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Sophie Fröhlich

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