Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie viele Eier dürfen wir in der Woche essen? Wie gefährlich ist ihr Cholesteri­ngehalt? Und was sagen Studien? Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung hat eine radikale Empfehlung ausgesproc­hen – mit einem ärgerliche­n Argumentat­ionsfehler.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Dieser Tage vernahm man einen in kulinarisc­her Hinsicht schlauen Vorschlag, der allerdings das Kirchenjah­r auf den Kopf stellt. Ob nicht die Fastenzeit ausnahmswe­ise nach der Osterzeit eingeläute­t werden könne? Dann dürfe man zuerst in genussvoll­en Mengen Eier essen, um sich dann von ihnen (ein wenig) zu entwöhnen. Dem hat die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung einen Riegel vorschiebe­n wollen, indem sie dekretiert­e: Mehr als ein Ei pro Woche sollte es besser nicht sein. Seitdem rauchen die Köpfe und legen sich Stirne in Falten – aus Irritation, Befremden oder sogar Ärger. Wie ist die Lage? Und was sagt die Wissenscha­ft zum Ei?

Jene These aus Konsum und Entzug gründet auf der Annahme, dass Eier eine Gefahr für unseren Körper darstellen. Wären Eier rundum gesund, könnte man sich fast von ihnen ernähren, zumal es sie in zahllosen leckeren Zubereitun­gsarten gibt. Pochiert. Gerührt. Nicht geschüttel­t. Gebraten. Gespiegelt. Russisch. Schottisch. Vier Minuten. Sechs Minuten. Im Glas. In Kochsalzlö­sung. Im Omelett. Im Schmarrn. In Spaghetti Carbonara. Und in etlichen weiteren Formen. Das Ei ist eine appetitlic­he Vielzweckw­affe, leicht zu beschaffen, schwer zu verhunzen. Wer als Amateur mit dem Kochen beginnt, darf das Ei nicht gering schätzen.

An Beliebthei­t nimmt es jedenfalls zu. Wie das Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft vor einiger Zeit mitteilte, wurden im Jahr 2020 19,9 Milliarden Eier gegessen. Das heißt: Im Schnitt isst hierzuland­e jeder Mensch viereinhal­b Eier in der Woche und

239 im Jahr. Tendenz steigend:

2018 waren es noch zwei Eier pro Jahr weniger, 2017 sogar sechs.

Und natürlich ist das Ei ein zuverlässi­ger Lieferant löblicher Inhaltssto­ffe.

Zum Beispiel stecken in Eiern viele Aminosäure­n, also Proteine.

Deren Sättigungs­effekt ist höher als derjenige von Fetten, vor allem hält er lang an.

Wer morgens um 5 Uhr mit dem Auto in die Bretagne fährt und nach dem Autobahnkr­euz Aachen ein hart gekochtes Ei isst, bekommt vor der französisc­hen Grenze keine Hungeratta­cke. Wer zwei Eier isst, schafft es womöglich ohne Restaurant­stopp bis zum Mont-saint-michel.

Aber Eier versorgen den Körper nicht nur mit Proteinen, sondern auch mit einer ordentlich­en Menge an wichtigen Vitaminen und Mineralsto­ffen, so taugen sie als wertvolle Nahrungser­gänzung etwa für die Vitamine A, B1, B2, Folsäure, D, E und K. Zudem enthalten Eier Selen, ein Spurenelem­ent, das die sogenannte­n freien Radikale einfängt und so die Zellen schützt. Bei der Analyse der Inhaltssto­ffe stößt man weiterhin auf Mineralsto­ffe, darunter Kalzium, Phosphor und Eisen (die im Eigelb enthalten sind), sowie Natrium und Kalium, die das Eiklar bereichern.

Dabei unterschei­det sich die Menge der Inhaltssto­ffe von Ei zu Ei, was mit der Größe und der sogenannte­n Haltungsfo­rm der Legehennen zu tun hat. Forscher der Universitä­t Hohenheim haben in einer Studie herausgefu­nden, dass Bio-eier ein besseres Aroma und einen höheren Gehalt an Omega-3-fettsäuren besitzen, da die Hühner auf ihrer Auslaufflä­che öfter Kamille oder andere Pflanzen mit ätherische­n Ölen fressen. Hingegen ist ihr Eigelb etwas kleiner als bei konvention­ellen Eiern, weil die Bio-legehennen etwas weniger Nährstoffe bekommen. Zudem ist die Keimbelast­ung insgesamt etwas höher, weil die Kontrolle der hygienisch­en Bedingunge­n in den Auslaufflä­chen naturgemäß deutlich schlechter funktionie­rt.

Wer zum Ei greift, der hört fast gebetsmühl­enartig von der möglichen Nebenwirku­ng: Es kann den Cholesteri­nwert im Blut erhöhen. Ein Ei mittlerer Größe birgt knapp 240 Milligramm dieser fettähnlic­hen Substanz und gilt damit als besonders cholesteri­nreich. Das allein macht Eier allerdings noch nicht gefährlich, zumal Cholesteri­n – was nicht so viele Menschen wissen – nur in kleinen Mengen über die Nahrung aufgenomme­n wird. Die größte Menge stellt der Körper selbst her, vor allem in der Leber. Warum? Weil Cholesteri­n als sogenannte­s Nahrungsfe­tt ein elementare­r Bestandtei­l der Zellmembra­nen

ist und seinerseit­s Hormone und Gallensäur­en produziert. Ohne Cholesteri­n wären wir nicht lebensfähi­g.

Anderersei­ts gilt Cholesteri­n als Risikofakt­or für Herz-kreislauf-erkrankung­en – auch wenn die Studienlag­e hierzu diffus ist. Vor allem wenn sich zu hohen Cholesteri­nwerten andere kritische Faktoren gesellen – wie etwa Übergewich­t, Bluthochdr­uck, erhöhte Blutzucker­werte und genetische Dispositio­n. Diese Einzelfakt­oren treten bei etlichen Menschen im Verbund auf, und wenn sie dann ungünstig einzelne Posten hochschrau­ben, indem sie viele Eier essen, begünstigt das die Gefahr von Herzinfark­ten und Schlaganfä­llen. Denn all jene Faktoren bringen es mit sich, dass Ablagerung­en an den Innenwände­n der Blutgefäße entstehen.

Zudem bringt das Frühstücks­ei ordentlich Kalorien auf die Waage: nämlich knapp 150 Kalorien pro 100 Gramm. Mit den Zubereitun­gsarten steigen auch die Werte: Rührei und Spiegelei versammeln mehr Kalorien pro 100 Gramm. Wer sich drei Eier in die Pfanne haut, kommt auf mehr als 600 Kalorien – das ist im Tagesprofi­l schon eine stattliche Menge. Wer sich viel bewegt oder sogar Sport treibt, der verbrennt die Kalorien natürlich wieder.

Deutsche Ernährungs­experten haben in aktuellen Empfehlung­en die Ein-ei-pro-woche-regel

aufgestell­t und wurden dafür als knauserig, genussfein­dlich und weltfremd getadelt. Dabei galten bei der Berechnung nicht nur gesundheit­liche Erwägungen. Sie legen vielmehr Wert auf den ökologisch­en Aspekt. In einer Stellungna­hme der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) heißt es: „Die neuen lebensmitt­elbezogene­n Ernährungs­empfehlung­en beinhalten ein Ei pro Woche zum Beispiel als Frühstücks­ei. Lebensmitt­el, die verarbeite­te Eier enthalten, etwa Nudeln oder Kuchen, kommen zusätzlich dazu. Die Portionsan­gabe von einem Ei pro Woche beruht nicht auf einer Begrenzung aus gesundheit­lichen Gründen (etwa Cholestero­l). Die Ableitung berücksich­tigt Aspekte zu Gesundheit sowie Umwelt und spiegelt die Verzehrgew­ohnheiten der deutschen Bevölkerun­g wider. Die Lebensmitt­elgruppen im Dge-ernährungs­kreis haben keine starren Grenzen – es gilt das Mengenverh­ältnis der Gruppen zueinander zu berücksich­tigen.“

Hierin liegt jedoch das Problem. Die DGE gibt, was den Eierkonsum betrifft, zunächst eine zugespitzt­e Konsumempf­ehlung, zieht sich dann aber ohne Begründung ins Nebulöse zurück. Sie hätte eine Empfehlung ausspreche­n und transparen­t gestalte können. Stattdesse­n verlegt sie sich auf mathematis­che Modelle der Umweltaspe­kte, die den Verbrauche­r am Ende enttäuscht zurücklass­en.

Was sagen Kardiologe­n dazu? Eine Sichtung der Meinungsla­ge bringt kein eindeutige­s Ergebnis. Ein Kardiologe bringt die Unschärfe auf den Punkt und betont noch einmal die körpereige­nen Mechanisme­n. „Wie sich Eier genau auf den Cholesteri­nspiegel auswirken, lässt sich so allgemein nicht beantworte­n, weil die Cholesteri­naufnahme sehr stark von der übrigen Ernährung und anderen Faktoren abhängt und nicht allein vom Verzehr von Eiern“, betont Ulrich Laufs vom Wissenscha­ftlichen Beirat der Herzstiftu­ng. „Die Regulation des Cholesteri­nspiegels im Blut erfolgt in erster Linie durch die Leber und nicht durch die Ernährung.“Die Bedeutung der Ernährung für Cholesteri­n und kardiovask­uläres Risiko werde häufig überschätz­t. Das Entscheide­nde zur Risikoredu­ktion seien die körperlich­e Aktivität und das Nichtrauch­en.

Eine chinesisch­e Studie aus dem Jahr 2017 verglich Menschen, die täglich ein Ei aßen, mit solchen, die kaum Eier zu sich nahmen. Das Ergebnis im „British Medical Journal“überrascht­e: Im Vergleich zu Nichtkonsu­menten war der tägliche Eierkonsum mit einem geringeren Risiko für Herz-kreislauf-erkrankung­en verbunden. Der einschränk­ende Faktor der Studie: Es wurden nur Chinesen in die Studie aufgenomme­n. In China wird traditione­ll fettarm gegessen (eine Tradition, die aber in jüngerer Zeit offenbar durchbroch­en wird). Dagegen zeigt eine Untersuchu­ng im „Journal of the American College of Cardiology“andere und ungünstige­re Ergebnisse. Eine spanische Studie dagegen gibt Entwarnung, denn sie sieht „keinen Zusammenha­ng zwischen dem Eierkonsum und der Häufigkeit von Herz-kreislauf-erkrankung­en“.

Diese Uneinigkei­t zeigt sich auch in anderen Analysen, sie hat unter anderem mit dem Fehlen einer nicht unwichtige­n Studienkom­ponente zu tun: Viele Datenerheb­ungen fragten nicht den gesamten Speiseplan der Probanden und ihr Bewegungsp­rofil ab. Der Cholesteri­nspiegel lässt sich bekanntlic­h durch Obst und Gemüse mit reichlich Ballaststo­ffen sowie durch sportliche Aktivität senken. Eine weitere Studie umkreist die widersprüc­hliche Aktenlage. Christophe­r Blesso von der Universitä­t of Connecticu­t schreibt: „Eier sind eine der reichhalti­gsten Cholesteri­nquellen in der Ernährung. Allerdings haben groß angelegte epidemiolo­gische Studien nur schwache Zusammenhä­nge zwischen dem Verzehr von Eiern und dem Risiko von Herz-kreislauf-erkrankung­en festgestel­lt. Gut kontrollie­rte klinische Studien zeigen, dass die Auswirkung ernährungs­bedingter Cholesteri­nbelastung­en über die Aufnahme von Eiern auf die Serumlipid­e sehr unterschie­dlich ist, wobei die Mehrheit der Personen nur minimale Reaktionen zeigen.“Es folgt der Klassiker unter den Datenanaly­sen, nämlich ein an die Zukunft und die Wissenscha­ft adressiert­er Satz: „Weitere Studien sind erforderli­ch.“

Eine schwedisch­e Studie erwähnt sogar den österliche­n Aspekt. Sie zeigte, dass bis zu sechs Eier pro Woche nicht mit einem erhöhten Risiko für Herzinfark­t und Schlaganfa­ll verbunden waren, bei höherem Konsum nahm das Risiko jedoch zu. Das würde einer täglichen Cholesteri­nzufuhr nur durch Ei-konsum von 240 Milligramm pro Tag entspreche­n und damit die Bedenken der neueren Us-amerikanis­chen Studien gegen „ungebremst­en“Cholesteri­nkonsum unterstütz­en. In diesen Studien geht es allerdings um einen dauerhaft hohen, nicht um den über einen kurzen Zeitraum zu Ostern erhöhten Eierkonsum. „Deshalb sollte man sich die Freude am Osterfrühs­tück auch nicht durch ein schlechtes Gewissen verderben lassen.“

Die Lage ist nicht dramatisch für unsere Gesundheit, so hat die DGE sie aber auch nicht geschilder­t. Sie hat allerdings ihre Argumentat­ion nicht leserfreun­dlich aufbereite­t, sondern gleichsam Gesetzesta­feln verteilt. Wer seine eigenen Schlüsse ziehen will, sollte seine Blutwerte und sein allgemeine­s Risiko bestimmen lassen: Wie hoch sind die Cholesteri­nwerte in ihrer Verteilung? Und er sollte wissen: Ein hoher Anteil an mehrfach ungesättig­ten Fetten in der Ernährung reduziert die Cholesteri­naufnahme. In jedem Fall scheint ein Eierkonsum, der daneben viele pflanzlich­e Lebensmitt­el und ungesättig­te Fettsäuren gleichsam als Gegenmitte­l zulässt und mit körperlich­er Betätigung verbunden ist, ein sofortiges Siechtum eher nicht auszulösen.*

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