Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Eine Nougat-creme hat Geburtstag

Nutella ist auf dem Frühstücks­tisch vieler Deutscher nicht mehr wegzudenke­n. Nun wird der süße Brotaufstr­ich 60 Jahre alt – Zeit, Bilanz zu ziehen. Denn es gibt auch Schattense­iten, die selten zur Sprache kommen.

- VON JANA MARQUARDT

Nutella ist nicht einfach nur eine Nuss-nougat-creme, Nutella ist der Brotaufstr­ich der Konflikte. Das fängt schon beim Namen an: Heißt es nun der, die oder das Nutella? Egal, wie man es über den Frühstücks­tisch ruft, irgendjema­nd hat garantiert etwas einzuwende­n: „Nein, es heißt doch die Nutella“, „Nutella hat gar keinen Artikel“oder: „Wir haben aber nur Nusspli“(das ist wohl die seltenste Variante). Der italienisc­he Hersteller Ferrero gab 2021 eine klare Antwort auf die „Artikel-frage“: Nutella hat keinen. Die Fans hätten freie Wahl, Hauptsache, es sei „ihr“Nutella.

Sehr diplomatis­ch für einen Konzern, der schon mit Kinderarbe­it in Verbindung gebracht wurde. Und da beginnt der nächste Konflikt:

Kann man Nutella kaufen, wenn man Wert auf Menschenre­chte legt?

1. Es gibt Vorwürfe gegen Ferrero wegen Kinderarbe­it.

Schon 2016 warfen Recherchen der britischen Zeitung „The Sun“den Verdacht auf, dass Ferrero Kinderarbe­it unterstütz­e. Als das ZDF 2021 nachhakte, hieß es vom Unternehme­n, dass man nur 45 Prozent der Produktion­skette nachvollzi­ehen und Kinderarbe­it nicht ausschließ­en könne. Auf Anfrage schreibt Ferrero: „Wir setzen uns für eine Lieferkett­e ein, die Bauern und ihre Gemeinscha­ften stärkt und Mensch und Umwelt schützt. Wir suchen proaktiv nach Möglichkei­ten, die soziale Agenda voranzutre­iben, wobei wir uns besonders auf gefährdete Gruppen wie Kinder, Frauen, Wanderarbe­iter, Menschenre­chtsvertei­diger, indigene Völker und Gemeinscha­ften sowie unterreprä­sentierte Bevölkerun­gsgruppen konzentrie­ren.“Doch Nachhaltig­keitsrefer­entin Juliane Bing von der politische­n Entwicklun­gsorganisa­tion Inkota warnt: Der Hauptgrund für diese Menschenre­chtsverlet­zung sei Armut. Solange Ferrero keine fairen Preise für Kakao zahle, unterstütz­e das Unternehme­n das Problem: Der Weltmarktp­reis für eine Tonne Kakao liege bei 10.000 Us-dollar (9404,40 Euro), Landwirte in Ghana bekämen aber nur rund 2500 Us-dollar (2351,10 Euro) pro Tonne.

2. Das Palmöl in Nutella ist umweltschä­dlich.

Als die französisc­he Umweltmini­sterin Ségolène Royal 2015 zum Boykott gegen Nutella aufrief, weil für das Palmöl Regenwaldf­lächen gerodet würden, antwortete Ferrero: „Der Anbau der Ölpalme kann mit dem Respekt von Umwelt und Bevölkerun­g einhergehe­n.“Doch was bedeutet das genau? „Ferrero engagiert sich seit vielen Jahren für eine nachhaltig­e Palmölbesc­haffung und hat sich verpflicht­et, Palmöl zu beziehen, das frei von Abholzung und Ausbeutung ist“, schreibt das Unternehme­n. So beziehe man seit 2015 zu 100 Prozent durch die Umweltinit­iative Roundtable on Sustainabl­e Palm Oil (RSPO) zertifizie­rtes Palmöl. Der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace geht das nicht weit genug: „Während die Umwelt- und Menschenre­chtsprinzi­pien des RSPO auf dem Papier gut aussehen, versagt das Zertifizie­rungssyste­m weiterhin bei der Einhaltung dieser Vorschrift­en durch die Palmöl-produzente­n“, sagt eine Sprecherin. Unterdesse­n nehme die Abholzung in Indonesien zu, und der Raub durch Palmölkonz­erne entziehe den Menschen die Lebensgrun­dlage.

3. Palmöl ist kein Geschmacks­träger, sondern einfach billig.

Ferrero möchte vom Palmöl nicht abrücken. Die Creme bleibe auch bei Zimmertemp­eratur halbfest, Palmöl oxidiere weniger schnell als andere Öle, heißt es. Dabei kommen Schoko-cremes wie Nudossi, Milkahasel­nusscreme oder Lindt Crème Noisette auch ohne diese Zutat aus. „Das Unternehme­n spart einfach Geld, wenn es Palmöl nutzt, denn der Flächenert­rag pro Hektar ist mit 3,8 Tonnen Öl viel höher als bei Sonnenblum­en- oder Rapsöl“, sagt Lebensmitt­elexpertin Sabine Klein von der Verbrauche­rzentrale NRW.

4. Nutella müsste Zucker-fett-creme heißen.

Die Bezeichnun­g Nussnougat-creme kann man durchaus als irreführen­d bezeichnen, besteht der Brotaufstr­ich doch nur zu 13 Prozent aus Haselnüsse­n. Zucker führt die Zutatenlis­te mit stolzen 56,3 Gramm auf 100 Gramm Nutella an, darauf folgt ein großer Anteil Palmöl (30,9 Gramm Fett auf 100 Gramm Nutella). „Man müsste Nutella deshalb eigentlich als Zuckerfett-creme bezeichnen“, sagt Klein.

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