Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Showdown in Nahost
ANALYSE Es gibt kaum ein Entrinnen aus der Logik von Schlag und Gegenschlag. Nach dem massiven Angriff Irans hat Israel für eine Reaktion jetzt mehrere Optionen, die alle mit großen Risiken verbunden sind.
Man muss Benjamin Netanjahu nicht mögen. Aber eines schafft der israelische Ministerpräsident immer wieder: Aus den vertracktesten Situationen findet er oft einen Ausweg, der ihn an der Macht lässt. Seine brutale Kriegsführung in Gaza hat Israel international isoliert, auch wenn der Grund dafür im mörderischen Angriff der Hamas auf Zivilisten im jüdischen Staat lag. Die Konfrontation mit dem Iran, der auch bei den gemäßigten arabischen Staaten zu Recht gefürchtet wird, hat das Land wieder zu einem gefragten Partner gemacht. Der militärische Angriff des Mullah-regimes auf Israel, einmalig in der Geschichte des Nahost-konflikts, kommt einer Kriegserklärung gleich. Jetzt hat es Netanjahu in der Hand, wie er reagiert. Sein Hauptaugenmerk wird darauf liegen, wie er seine Macht erhalten kann, national wie international. Drei Szenarien sind möglich.
Demonstrative Zurückhaltung
Verzichtet Israel auf einen Gegenschlag, dürfte das am ehesten dem Wunsch der Verbündeten und der gemäßigten arabischen Staaten entsprechen. Die Gefahr einer direkten Konfrontation und einer Eskalation wäre gebannt. Israel könnte seine Beziehungen zu arabischen Staaten wie den Emiraten, Oman, Saudi-arabien oder Marokko intensivieren. Es wäre in der Lage, ein Bündnis gegen den Iran zu schmieden und das Regime zu isolieren. Und es würde Netanjahu international rehabilitieren – trotz der von Israel verursachten hohen zivilen Opferzahl im Gaza-krieg. Das müsste eigentlich für den israelischen Premier verlockend sein.
Doch eine solche Strategie hätte für den Hardliner auch gewaltige Nachteile. Zum einen steht Netanjahu unter dem Druck seiner rechtsradikalen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-gvir. Die drohen, die Koalition zu verlassen, wenn sich ihr Chef nicht zu einer harten Reaktion durchringen kann. Auch kann sich Netanjahu nicht sicher sein, ob er damit den Iran zu neuen Provokationen einlädt. Immerhin hat Teheran den Krieg begonnen, die moralisch fragwürdige Tötung der iranischen Generäle in Damaskus rechtfertigt keinen Angriffskrieg. Die Attacke Irans bliebe damit ohne Folgen. Gut möglich, dass Hisbollah und Huthi das als Aufforderung verstehen, die Schlagzahl gegen Israel zu erhöhen. Auch könnte Teheran testen, wie weit es gegen den zionistischen Erzfeind gehen darf. Immerhin ist die Vernichtung Israels das Staatsziel der Mullahs. Auch die erneute internationale Unterstützung für den jüdischen Staat ist überschaubar. Die arabischen Länder haben Eigeninteressen, in den Augen des globalen Südens bleibt Israel der Aggressor und Apartheidsstaat.
Unterm Strich liegt die demonstrative Zurückhaltung eher nicht im Interesse Netanjahus. Denn auch den Westen dürfte er nur bei einem unverhältnismäßigen Angriff auf den Iran verlieren. Und die jetzige günstige internationale Konstellation dürfte kaum anhalten. Netanjahu wird also das jetzt schon berühmte Diktum von Us-präsident Joe Biden in Bezug auf die erfolgreiche Verteidigung des iranischen Raketenangriffs („Nimm das als Sieg“) wohl nicht annehmen.
Begrenzter Gegenschlag
Das ist die wahrscheinlichste Option, die das Kriegskabinett ziehen wird. In ihm ist auch Oppositionsführer Benny Gantz, der frühere israelische Generalstabschef vertreten. Der Ex-militärchef hat sich ebenfalls für eine Bestrafung Teherans ausgesprochen. Diskutiert wird intensiv, wie die ausfallen könnte, ohne einen Flächenbrand auszulösen.
Es liegt dann in der Deutungshoheit Netanjahus, wie er einen solchen Schlag, etwa gegen Stellungen des Irans im Ausland oder auf symbolische Infrastruktur, der Öffentlichkeit verkauft. Die Mehrheit der Israelis ist zwar mit ihrem Premier unzufrieden, aber sie befürwortet gleichfalls eine scharfe Reaktion auf den Angriff Teherans.
Das Risiko eines begrenzten Schlags liegt darin, wie der Iran diese Aktion bewertet. Kommen wichtige Personen bei einem israelischen Angriff ums Leben, dürfte er sich erneut gezwungen sehen zu antworten. Dann könnte es zu einer gefährlichen Eskalation kommen, obwohl beide Staaten das nicht wollen, und erst recht nicht deren Verbündeten. Die einzige Kraft, der ein solches Ergebnis gelegen käme, wäre die Hamas. Der Planer des Massakers der Terrororganisation in Israel, der Kommandeur Yahya Sinwar, wollte mit seiner Aktion genau dies erreichen: Einen Flächenbrand in Nahost, der neue Perspektiven für die Palästinenser eröffnet, auch wenn zuvor Zehntausende sterben müssen.
Die Antwort der Israelis muss deshalb gut gewählt sein, sollte der Plan Netanjahus aufgehen. Sie muss Teheran treffen, ohne die Mullahs zu sehr zu reizen. Sie muss die Verbündeten bei Laune halten, damit nicht abermals eine Isolierung Israels droht. Und sie darf nicht bei den eigenen Hardlinern als Alibi-veranstaltung daherkommen, weil sie dem Iran nicht wirklich wehtut. Eine fast unlösbare Aufgabe für Netanjahu.
Massive Vergeltung
Angeblich hat der Iran im Schatten des Angriffs vom 7. Oktober sein Atomprogramm weiter vorangetrieben. Auch die Drohnenkraft der iranischen Streitkräfte ist inzwischen legendär. Bei einem verheerenden Angriff Israels wären die Zentren der Urananreicherung etwa in Natanz oder die Drohnenproduktion mögliche Ziele. Durch den Angriff auf israelisches Staatsgebiet hätte Netanjahu einen Anlass, das Atompotenzial des Iran konkret zu treffen oder auch zu vernichten. Allerdings sind viele Produktions- und Forschungszentren inzwischen unterirdisch. Ob sie mit einem Schlag zu zerstören sind, ist zumindest fraglich, wenn nicht sogar unmöglich. Behält der Iran aber seine nukleare Kapazität, müsste er schon aus Gründen der Selbsterhaltung voll zurückschlagen.
Ein verheerender Schlag gegen Militärkapazitäten des Mullah-regimes ist also die riskanteste aller Optionen, die Netanjahu besitzt. Schon in früheren Zeiten hat der israelische Ministerpräsident auf einen solchen Angriff verzichtet, obwohl die Armee minutiös alles vorbereitet hatte und direkt hätte losschlagen können. Netanjahu ist kein Hasardeur. Vermutlich wird er auf diese Option deshalb verzichten, auch wenn ihn seine rechtsradikalen Kabinettspartner dazu drängen. Der gewiefte Taktiker möchte nicht als der Totengräber des jüdischen Staates in die Geschichte eingehen.