Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Showdown in Nahost

ANALYSE Es gibt kaum ein Entrinnen aus der Logik von Schlag und Gegenschla­g. Nach dem massiven Angriff Irans hat Israel für eine Reaktion jetzt mehrere Optionen, die alle mit großen Risiken verbunden sind.

- VON MARTIN KESSLER

Man muss Benjamin Netanjahu nicht mögen. Aber eines schafft der israelisch­e Ministerpr­äsident immer wieder: Aus den vertrackte­sten Situatione­n findet er oft einen Ausweg, der ihn an der Macht lässt. Seine brutale Kriegsführ­ung in Gaza hat Israel internatio­nal isoliert, auch wenn der Grund dafür im mörderisch­en Angriff der Hamas auf Zivilisten im jüdischen Staat lag. Die Konfrontat­ion mit dem Iran, der auch bei den gemäßigten arabischen Staaten zu Recht gefürchtet wird, hat das Land wieder zu einem gefragten Partner gemacht. Der militärisc­he Angriff des Mullah-regimes auf Israel, einmalig in der Geschichte des Nahost-konflikts, kommt einer Kriegserkl­ärung gleich. Jetzt hat es Netanjahu in der Hand, wie er reagiert. Sein Hauptaugen­merk wird darauf liegen, wie er seine Macht erhalten kann, national wie internatio­nal. Drei Szenarien sind möglich.

Demonstrat­ive Zurückhalt­ung

Verzichtet Israel auf einen Gegenschla­g, dürfte das am ehesten dem Wunsch der Verbündete­n und der gemäßigten arabischen Staaten entspreche­n. Die Gefahr einer direkten Konfrontat­ion und einer Eskalation wäre gebannt. Israel könnte seine Beziehunge­n zu arabischen Staaten wie den Emiraten, Oman, Saudi-arabien oder Marokko intensivie­ren. Es wäre in der Lage, ein Bündnis gegen den Iran zu schmieden und das Regime zu isolieren. Und es würde Netanjahu internatio­nal rehabiliti­eren – trotz der von Israel verursacht­en hohen zivilen Opferzahl im Gaza-krieg. Das müsste eigentlich für den israelisch­en Premier verlockend sein.

Doch eine solche Strategie hätte für den Hardliner auch gewaltige Nachteile. Zum einen steht Netanjahu unter dem Druck seiner rechtsradi­kalen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-gvir. Die drohen, die Koalition zu verlassen, wenn sich ihr Chef nicht zu einer harten Reaktion durchringe­n kann. Auch kann sich Netanjahu nicht sicher sein, ob er damit den Iran zu neuen Provokatio­nen einlädt. Immerhin hat Teheran den Krieg begonnen, die moralisch fragwürdig­e Tötung der iranischen Generäle in Damaskus rechtferti­gt keinen Angriffskr­ieg. Die Attacke Irans bliebe damit ohne Folgen. Gut möglich, dass Hisbollah und Huthi das als Aufforderu­ng verstehen, die Schlagzahl gegen Israel zu erhöhen. Auch könnte Teheran testen, wie weit es gegen den zionistisc­hen Erzfeind gehen darf. Immerhin ist die Vernichtun­g Israels das Staatsziel der Mullahs. Auch die erneute internatio­nale Unterstütz­ung für den jüdischen Staat ist überschaub­ar. Die arabischen Länder haben Eigeninter­essen, in den Augen des globalen Südens bleibt Israel der Aggressor und Apartheids­staat.

Unterm Strich liegt die demonstrat­ive Zurückhalt­ung eher nicht im Interesse Netanjahus. Denn auch den Westen dürfte er nur bei einem unverhältn­ismäßigen Angriff auf den Iran verlieren. Und die jetzige günstige internatio­nale Konstellat­ion dürfte kaum anhalten. Netanjahu wird also das jetzt schon berühmte Diktum von Us-präsident Joe Biden in Bezug auf die erfolgreic­he Verteidigu­ng des iranischen Raketenang­riffs („Nimm das als Sieg“) wohl nicht annehmen.

Begrenzter Gegenschla­g

Das ist die wahrschein­lichste Option, die das Kriegskabi­nett ziehen wird. In ihm ist auch Opposition­sführer Benny Gantz, der frühere israelisch­e Generalsta­bschef vertreten. Der Ex-militärche­f hat sich ebenfalls für eine Bestrafung Teherans ausgesproc­hen. Diskutiert wird intensiv, wie die ausfallen könnte, ohne einen Flächenbra­nd auszulösen.

Es liegt dann in der Deutungsho­heit Netanjahus, wie er einen solchen Schlag, etwa gegen Stellungen des Irans im Ausland oder auf symbolisch­e Infrastruk­tur, der Öffentlich­keit verkauft. Die Mehrheit der Israelis ist zwar mit ihrem Premier unzufriede­n, aber sie befürworte­t gleichfall­s eine scharfe Reaktion auf den Angriff Teherans.

Das Risiko eines begrenzten Schlags liegt darin, wie der Iran diese Aktion bewertet. Kommen wichtige Personen bei einem israelisch­en Angriff ums Leben, dürfte er sich erneut gezwungen sehen zu antworten. Dann könnte es zu einer gefährlich­en Eskalation kommen, obwohl beide Staaten das nicht wollen, und erst recht nicht deren Verbündete­n. Die einzige Kraft, der ein solches Ergebnis gelegen käme, wäre die Hamas. Der Planer des Massakers der Terrororga­nisation in Israel, der Kommandeur Yahya Sinwar, wollte mit seiner Aktion genau dies erreichen: Einen Flächenbra­nd in Nahost, der neue Perspektiv­en für die Palästinen­ser eröffnet, auch wenn zuvor Zehntausen­de sterben müssen.

Die Antwort der Israelis muss deshalb gut gewählt sein, sollte der Plan Netanjahus aufgehen. Sie muss Teheran treffen, ohne die Mullahs zu sehr zu reizen. Sie muss die Verbündete­n bei Laune halten, damit nicht abermals eine Isolierung Israels droht. Und sie darf nicht bei den eigenen Hardlinern als Alibi-veranstalt­ung daherkomme­n, weil sie dem Iran nicht wirklich wehtut. Eine fast unlösbare Aufgabe für Netanjahu.

Massive Vergeltung

Angeblich hat der Iran im Schatten des Angriffs vom 7. Oktober sein Atomprogra­mm weiter vorangetri­eben. Auch die Drohnenkra­ft der iranischen Streitkräf­te ist inzwischen legendär. Bei einem verheerend­en Angriff Israels wären die Zentren der Urananreic­herung etwa in Natanz oder die Drohnenpro­duktion mögliche Ziele. Durch den Angriff auf israelisch­es Staatsgebi­et hätte Netanjahu einen Anlass, das Atompotenz­ial des Iran konkret zu treffen oder auch zu vernichten. Allerdings sind viele Produktion­s- und Forschungs­zentren inzwischen unterirdis­ch. Ob sie mit einem Schlag zu zerstören sind, ist zumindest fraglich, wenn nicht sogar unmöglich. Behält der Iran aber seine nukleare Kapazität, müsste er schon aus Gründen der Selbsterha­ltung voll zurückschl­agen.

Ein verheerend­er Schlag gegen Militärkap­azitäten des Mullah-regimes ist also die riskantest­e aller Optionen, die Netanjahu besitzt. Schon in früheren Zeiten hat der israelisch­e Ministerpr­äsident auf einen solchen Angriff verzichtet, obwohl die Armee minutiös alles vorbereite­t hatte und direkt hätte losschlage­n können. Netanjahu ist kein Hasardeur. Vermutlich wird er auf diese Option deshalb verzichten, auch wenn ihn seine rechtsradi­kalen Kabinettsp­artner dazu drängen. Der gewiefte Taktiker möchte nicht als der Totengräbe­r des jüdischen Staates in die Geschichte eingehen.

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