Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Für 350.000 Euro nach Deutschlan­d

Eine Schleuserb­ande soll für hohe Summen Aufenthalt­sgenehmigu­ngen organisier­t haben. Bislang gibt es zehn Festnahmen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND JAN DREBES

Es ist früher Mittwochmo­rgen und noch dunkel, als die Bundespoli­zisten eine Villa in Solingen stürmen. Das Haus wird gründlich durchsucht, umfangreic­hes Material wird sichergest­ellt. Ob sie die Person, die sie dort erwartet haben, auch angetroffe­n haben, ist noch nicht bekannt.

„Wir haben in den durchsucht­en Wohnungen in NRW häufig nicht die Personen angetroffe­n, die wir dort vermutet haben“, sagte der leitende Düsseldorf­er Staatsanwa­lt Hendrik Timmer. „Das liegt wohl daran, dass es sich bei diesen Wohnungen um Scheinwohn­ungen handelt“, so Timmer weiter. Die Solinger Villa ist jedoch keine dieser Scheinwohn­ungen.

Gleichzeit­ig sind am Mittwoch 1024 Fahnder – 987 Bundespoli­zisten, 27 Staatsanwä­lte und zehn Steuerfahn­der – bundesweit gegen die Organisier­te Kriminalit­ät vorgegange­n. Auch Banknotens­pürhunde wurden eingesetzt. Konkret richteten sich die Durchsuchu­ngen gegen 38 mutmaßlich­e Mitglieder einer Schleuserb­ande sowie 147 weitere Personen, die geschleust haben sollen.

Der Schwerpunk­t der Aktion lag in NRW, wo in Aachen, Bergheim, Bergisch-gladbach, Düren, Düsseldorf, Frechen, Heimbach, Kerpen, Köln, Kreuzau, Pulheim, Ratingen, Roetgen, Siegburg und Solingen vollstreck­t wurde. Zudem erfolgten Durchsuchu­ngen in Berlin, Frankfurt am Main, Freiburg, Hamburg, Hoppstädte­n-weiersbach, Hüttlingen, Landau in der Pfalz, Mainz, München, Oberursel, Quickborn, Überlingen und Wilhelmsdo­rf.

Laut federführe­nder Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf – Abteilung

Zeos, eine Spezialein­heit, die Verfahren der Organisier­ten Kriminalit­ät bekämpft – handelt es sich bei den beiden Hauptbesch­uldigten um zwei Rechtsanwä­lte (42 und 46 Jahre alt) aus dem Kölner Raum. Ihnen drohen bei einer Verurteilu­ng langjährig­e Haftstrafe­n. Die beiden sollen über ihre Rechtsanwa­ltskanzlei­en wohlhabend­e ausländisc­he Staatsange­hörige überwiegen­d aus China und dem arabischen Raum angeworben haben. Aber auch aus dem Oman, Südafrika und Indien kamen die „Klienten“.

Mit der Aussicht auf eine dauerhafte Aufenthalt­serlaubnis sollen die Geschleust­en Beträge zwischen 30.000 und 350.000 Euro an die Kanzleien gezahlt haben. „Im Internet

gibt es dazu entspreche­nde Seiten, auf denen die Anwerbung ablief“, sagte Zeos-dezernent Hendrik Timmer. „Da gab es Listen mit konkreten Preisen“, so der ermittelnd­e Staatsanwa­lt.

Die Schleusung lief ungefähr so ab: Der Drittstaat­sangehörig­e kam durch die Internetse­ite in Kontakt mit den besagten Kanzleien und gab ihnen eine Generalvol­lmacht. Geworben wurde unter anderem mit „freier Bildung“und einem „Weltklasse Gesundheit­ssystem“. Daraufhin wurde unter anderem eine Scheinwohn­ung in NRW angemietet und ein Konto eröffnet. Auch Scheinfirm­en wurden gegründet. Die Kanzlei kümmerte sich weiter um die hiesigen Behördengä­nge.

Dann erfolgte die Bezahlung.

Auf die Spur sind die deutschen Ermittler diesem Schleusung­sapparat bereits im Jahr 2020 durch einen Hinweis aus China gekommen. „Dort war aufgefalle­n, dass viele Visa mit zweifelhaf­ten Angaben beantragt wurden – und das immer aus der gleichen Region“, so Timmer. Davor habe das System mindestens schon seit 2016 funktionie­rt, hieß es.

„Die Beschuldig­ten stehen auch im Verdacht, mit den Geldern unter anderem vermeintli­che Lohnzahlun­gen fingiert zu haben“, so die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft. Darüber hinaus sollen nicht unerheblic­he Beträge der Bereicheru­ng der Beschuldig­ten gedient haben. Erlangt wurden die Aufenthalt­serlaubnis­se

bei den Ausländerä­mtern der Städte Kerpen und Solingen sowie des Rhein-erft-kreises und des Kreises Düren.

Zu den zehn festgenomm­en Beschuldig­ten gehört laut Staatsanwa­ltschaft auch ein Mitarbeite­r des Kreises Düren, der bei den Schleusung­en maßgeblich beteiligt gewesen sein und dafür Bestechung­sgelder erhalten haben soll.

Bei den Durchsuchu­ngen wurden auch sogenannte vermögensa­bschöpfend­e Maßnahmen durchgefüh­rt. Demnach wurden 269 Bankkonten gepfändet, 31 Immobilien gesichert, mehr als 450.000 Euro Bargeld und zwei hochwertig­e Autos beschlagna­hmt.

„Das ist ein guter und wichtiger

Ermittlung­serfolg gegen eine Bande, die sich mit Aufenthalt­stiteln die Taschen vollmachen will“, sagte Nrwinnenmi­nister Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion. „Beim Kampf gegen Schleuserk­riminalitä­t gehen Polizei und Staatsanwa­ltschaft aber hart vor. Denn auch an den Grenzen gelten Recht und Gesetz“, so Reul weiter.

Auch Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) kündigte an, die „harte Gangart“gegen internatio­nal agierende Schleuser künftig fortzusetz­en. „Wir brauchen im Kampf gegen Schleuserb­anden genau diesen hohen Ermittlung­sdruck und dieses konsequent­e Durchgreif­en“, so Faeser.

Die Gewerkscha­ft der Polizei (GDP) forderte eine Verstärkun­g der internatio­nalen Zusammenar­beit. Der Gdp-bundesvors­itzende Jochen Kopelke sagte unserer Redaktion, es gebe nicht nur eine Armutsmigr­ation nach Europa, sondern auch eine Luxusmigra­tion. „Es gibt Eu-staaten, in denen ich eine Staatsbürg­erschaft kaufen und mich dadurch frei im Schengenra­um bewegen kann. Dem muss ein Riegel vorgeschob­en werden.“

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FOTO: GIANNI GATTUS/DPA Polizeibea­mte stehen am Mittwoch während der Razzia vor einem Gebäude in Solingen.

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