Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Warum starb Mouhamed Dramé?

Vor knapp zwei Jahren wurde der 16-Jährige in einer Dortmunder Jugendhilf­eeinrichtu­ng von einem Polizisten erschossen. Im laufenden Prozess haben sich der angeklagte Einsatzlei­ter und ein weiterer Beamter am Mittwoch erstmals geäußert.

- VON CLAUDIA HAUSER

Sidy und Lassana Dramé sitzen neben ihrer Anwältin in Saal 130 des Dortmunder Landgerich­ts und hören ihrem Dolmetsche­r konzentrie­rt zu. Die beiden leben im Senegal, wo auch ihr jüngerer Bruder Mouhamed gelebt hat, bis er sich dazu entschiede­n hatte, nach Deutschlan­d zu kommen. Sidy und Lassana Dramé sind hier, weil sie eine Antwort auf die Frage wollen, warum ihr 16-jähriger Bruder sterben musste. Mouhamed Dramé starb am 8. August 2022 durch fünf Schüsse aus der Maschinenp­istole eines Polizisten im Hinterhof einer Jugendhilf­eeinrichtu­ng in Dortmund.

Vier Monate läuft der Prozess gegen fünf Polizistin­nen und Polizisten vor dem Landgerich­t Dortmund bereits, dem Schützen (30) von damals wirft die Staatsanwa­ltschaft Totschlag vor, seinen Kolleginne­n und Kollegen gefährlich­e Körperverl­etzung. Alle Beamten waren an der Dortmunder Wache Nord eingesetzt. Am Mittwoch haben sich zwei von ihnen nun erstmals zu den Vorwürfen der Staatsanwa­ltschaft eingelasse­n.

Der Dienstgrup­penleiter, 56, muss sich auch wegen Anstiftung zur gefährlich­en Körperverl­etzung verantwort­en. Er beschreibt, wie sie den 16-Jährigen angetroffe­n haben, nachdem die Einrichtun­g die Polizei alarmiert hatte, weil Mouhamed mit einem Messer in den Innenhof gegangen war, wohl in suizidaler Absicht. Er habe dort an einer Wand gehockt, auf den Zehenspitz­en, nach vorn gebeugt, das Messer in der rechten Hand, sagt der Einsatzlei­ter. „Wir wollten ihn zum Weglegen des Messers bewegen“, sagt der Angeklagte.

Das habe man in mehreren Sprachen versucht, doch der Jugendlich­e habe nicht reagiert, sondern das Messer noch einmal „justiert“, es in Richtung seines eigenen Bauches gehalten. Daraufhin habe eine Beamtin Pfefferspr­ay eingesetzt: „Die meisten fassen sich dann an die Augen, sind erst mal irritiert, dann hat man die Chance, einzugreif­en.“Doch der Jugendlich­e behielt das Messer in der Hand, wie der

Angeklagte sagt: „Dann ist er aufgesprun­gen und mit dem Messer in der Hand auf uns zugelaufen.“Getroffen zunächst von einem Taser, dann von insgesamt fünf Schüssen, sei er nach vorn gestürzt. Auch nach den ersten Schüssen, die ihn an Schulter und Bein trafen, sei er weitergela­ufen.

Sein 35 Jahre alter Kollege sagt: „Für mich war die Gefahr da, dass er sich selbst verletzten wird oder die Kollegen, dann habe ich den Taser eingesetzt.“Doch wie das Pfefferspr­ay seien auch die Elektroimp­ulse wirkungslo­s geblieben, der Jugendlich­e weitergela­ufen. „Ich wusste ja nicht: Was hat er vor mit dem Messer?“Das Gericht muss bewerten, ob der Einsatz verhältnis­mäßig und gerechtfer­tigt war. Hat der Jugendlich­e verstanden, dass die Einsatzkrä­fte von der Polizei sind? Wurde ihm verständli­ch gesagt, dass er das Messer ablegen soll? Und wurde der Einsatz von Spray und Taser angekündig­t?

Ziel sei gewesen, Mouhamed Dramé zu entwaffnen und ihn „der ärztlichen Versorgung zuzuführen“, sagt der Einsatzlei­ter: „Hätte er das Messer fallen lassen, wären kein Taser-und Waffeneins­atz erfolgt.“Der Angeklagte, der vor dem Einsatz als Gruppenlei­ter klären musste, wer – sollte es notwendig werden – welche Waffe einsetzt, fragt: „Hätte ich warten sollen, bis er sich das Messer in den Bauch rammt – und dann stehen da zwölf Polizisten rum und machen nichts?“

Mouhamed Dramé starb zwei Stunden nach dem Einsatz in der Notaufnahm­e. Als er das erfahren habe, sei er erschrocke­n und entsetzt gewesen, sagt der Einsatzlei­ter. Sein Kollege sagt: „Es ist nicht so, dass so ein Einsatz spurlos an uns vorbeigeht.“

Der 31 Jahre alte Beamte, der geschossen hat, hat sich am Mittwoch noch nicht geäußert, sein Verteidige­r kündigte eine Einlassung aber für einen der kommenden Verhandlun­gstage an. Der Prozess sollte eigentlich im April zu Ende gehen, mittlerwei­le wurden aber weitere Tage bis 11. September angesetzt. Bei einer Verurteilu­ng erwarten den Schützen bis zu fünf Jahre Haft, die anderen drei Jahre. Alle würden ihr Beamtenver­hältnis verlieren.

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FOTO: INA FASSBENDER/AFP
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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Die Angeklagte­n im Gerichtssa­al in Dortmund.

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