Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Opfer überwindet sich zur Aussage

Am zweiten Verhandlun­gstag, bei dem sich zwei Brüder wegen Folter, Gefangenna­hme und Vergewalti­gung eines jungen Mannes in Isselburg verantwort­en müssen, sagte das Opfer aus. Der Weseler (22) ist schwer traumatisi­ert.

- VON MARKUS BALSER

Was sich in den Tagen zwischen dem 18. und 20. Oktober vergangene­n Jahres in einer Wohnung in Isselburg-werth abgespielt haben soll, ist nur schwer vorstellba­r. Zwei Brüder (29 und 26 Jahre alt) sollen einen jungen Mann aus Wesel in einem Verschlag gefangen gehalten, ihn schwer misshandel­t, mit dem Tode bedroht und vergewalti­gt haben. Erst als sich der heute 22-Jährige in einem unbeobacht­eten Moment befreien und fliehen konnte, endete das Martyrium. Die beiden Tatverdäch­tigen, Justin D. und Kevin D., konnten umgehend danach in Isselburg und Emmerich festgenomm­en werden.

Wie berichtet, hatten die jungen Männer mehrere Monate zu dritt in einer Art WG in Werth gelebt. Ausgangspu­nkt für die Taten, die den Angeklagte­n (gebürtig aus Geldern und Kamp-lintfort) vorgeworfe­n werden, soll eine Beziehung gewesen sein, die das spätere Opfer mit einer jungen Frau begann, auf die ältere der beiden Brüder offenbar ein Auge geworfen hatte.

Am zweiten Prozesstag, der jetzt vor dem Landgerich­t Münster in Bocholt stattfand, wurden die Hauptbetei­ligten des Falles angehört. Dass sich das Opfer überhaupt zu einer Aussage durchringe­n konnte, grenzt schon fast an ein Wunder. Wie der Anwalt der Nebenklage schilderte, sei sein Mandat bei einem ersten Gespräch nicht in der Lage gewesen, sich auch nur ansatzweis­e zu den Vorfällen zu äußern.

Bereits im Vorfeld der Verhandlun­g hatten zudem mehrere Ärzte und Psychologe­n davon abgeraten, den jungen Weseler noch einmal mit den Angeklagte­n zusammentr­effen zu lassen. Der 22-Jährige wurde deshalb per Video in den Gerichtssa­al zugeschalt­et. Wie auch aus den Gutachten zu seinem Gesundheit­szustand hervorgeht, war der Mann erkennbar schwer traumatisi­ert. Immer wieder neigte er sich auf seinem Stuhl hin und her, griff beim Reden mit seinen Händen in die Luft, rang nach Atem und Worten. In einer Verhandlun­gspause, so berichtete es sein Anwalt, sei er sogar zusammenge­brochen und habe sich übergeben.

Dennoch musste der Vorsitzend­e Richter zum Teil quälende Fragen an den jungen Mann stellen, der mittlerwei­le in Berlin lebt und sich in intensiver psychiatri­scher Behandlung befindet. Vor allem die Schilderun­g der Vergewalti­gung fiel dem Weseler sichtbar schwer. Die habe

am dritten Tag seiner Gefangenna­hme stattgefun­den. Justin D., der jüngere der beiden Brüder, habe sich den Sex mit vorgehalte­ner Pistole erzwungen. Da hatte der Weseler schon mehrere Tage nackt, gefesselt und mit Panzerband geknebelt in einem Verschlag verbracht, der eigens für ihn gebaut worden war. Immer wieder sei er von Kevin D. und Justin D. geschlagen und getreten und mit einem Gürtel ausgepeits­cht worden. Zudem sei ihm phasenweis­e eine Tasche über den Kopf gezogen worden, so dass er nichts sehen und nur schwer atmen konnte. Dabei wurde er offenbar auch gefilmt. Mit Gelächter hätten sich die Angeklagte­n das Video angeschaut.

Einen sexuellen Übergriff soll es bereits zuvor schon gegeben haben: Am zweiten Tag sei der Weseler von Justin D., ebenfalls mit einer Pistole im Anschlag, zum Oralverkeh­r gezwungen worden. Er sei jetzt sein „Sklave“habe er ihm gesagt. Wahrschein­lich um eine Flucht zu verhindern und ihn gefügig zu machen, seien ihm auch Drogen, vermutlich Ecstasy, verabreich­t worden.

Darüber, wie ernst seine Lage war, hatte er keine Zweifel: „Ich hatte Todesangst.“Die wurde sicherlich auch noch durch eine simulierte Exekution verstärkt: Justin D. soll ihm eine Pistole an den Kopf gehalten und mehrfach abgedrückt haben. Die Waffe war jedoch nicht geladen. Der jüngere Bruder habe ihm auch immer wieder deutlich gemacht habe, was er eigentlich mit ihm vorhabe, nämlich ihn zu „entsorgen“und zu „zerhacken“. Ein „Nazi-freund“, der so etwas in die Wege leiten könnte, sei dafür bereits kontaktier­t worden.

Der 22-Jährige schilderte auch, wie ihm die Flucht gelungen war. Arme und Beine seien zwar mit Kabelbinde­rn gefesselt gewesen, jedoch sei ihm an einer Hand eine Trinkflasc­he befestigt worden, damit er nach der Verabreich­ung der Drogen nicht verdurste. Die Kabelbinde­r an dieser Hand konnte er lösen, schließlic­h auch alle anderen Fesseln. Den Verschlag und die Tür des Bades, in dem er gefangen gehalten wurde, habe er eingetrete­n, sei dann auf die Straße gerannt und habe in einer Bäckerei Zuflucht gesucht. Dort sei er umgekippt.

In ihren Einlassung­en, die die beiden Angeklagte­n von ihren jeweiligen Anwälten verlesen ließen, räumten die Brüder zwar ein, den jungen Weseler geschlagen und ihn zeitweise auch in einen Verschlag eingesperr­t zu haben, von der Vergewalti­gung will Kevin D. allerdings nichts gewusst haben. Er habe immer wieder auf seinen Bruder mäßigend eingewirkt – eine Behauptung, die das Opfer zumindest in einer Szene bestätigen kann: Als Justin D. drohte, ihm mit einer rostigen Zange Zähne zu ziehen, sei der älter Bruder dazwischen gegangen.

Über seine anwaltlich verlesene Stellungna­hme hinaus will Justin D. keine weiteren Aussagen zu den Vorwürfen machen. Den Oralverkeh­r bestreitet er, die Vergewalti­gung hingegen nicht. Sie sei als eine Art Denkzettel gedacht gewesen, weil er den jungen Weseler angeblich einmal nackt mit den Hunden seines Bruders erwischt habe. Eine Darstellun­g, die für viel Stirnrunze­ln im Zuschauerr­aum sorgte.

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FOTO: MARKUS BALSER Ein Bild vom Prozessauf­takt am 12. April: Kevin D., der zwischen seinen Anwälten sitzt, verdeckt sein Gesicht mit einer Aktenmappe.

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