Rheinische Post - Xanten and Moers
Demenz ist oft noch mit Scham besetzt
Albert Sturtz unterstützt als Fachberater die Angehörigen von an Demenz erkrankten Menschen mit Rat und Tat.
KAMP-LINTFORT Die Betreuung und Pflege eines Menschen mit Demenz kann kräftezehrend sein. Angehörige fühlen sich in der Situation überlastet, hilflos und allein gelassen. Wie soll es weitergehen, wenn die erkrankte Mutter alle gut gemeinten Vorschläge abwehrt? Oder der Vater nicht wahrhaben will, dass er nicht mehr alles allein bewältigen kann, so wie es früher war? Und wie kann man ihn überzeugen, doch zum Arzt zu gehen? Albert Sturtz kennt diese Fragen. Seit mehr als 20 Jahren befasst er sich mit dem Thema Demenz, seit 2001 begleitet und betreut er als Fachberater im Auftrag der Grafschafter Diakonie vor allem Angehörige von an Demenz erkrankten Menschen zunächst in Moers, seit 2004 dann am kompletten linken Niederrhein – und damit auch in Kamp-Lintfort.
„Viele betroffene Familien begleite ich schon über mehrere Jahre. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, um individuelle Lösungen zu finden. Denn es gibt kein Handbuch für Menschen“, sagt der Fachberater. Eines müsse jedoch immer klar sein: Es sind die Angehörigen, die sich auf das Krankheitsbild einstellen müssen. „Der Betroffene kann das nicht“, betont er. Demenz sei heute zwar kein Tabu-Thema mehr. „Es ist in unserer Gesellschaft angekommen. Filme wie ,Honig im Kopf ’ von Til Schweiger oder Projekte wie die Schlosstheater-Kampagne ,Erinnern – Vergessen. Kunststücke Demenz’ haben dazu beigetragen“, berichtet er. Dennoch gebe es Menschen, für die das Thema noch immer mit Scham besetzt sei.
Und mancherorts müsse noch stark an den notwendigen Strukturen gearbeitet werden. Kamp-Lintfort habe sich mit dem Arbeitskreis Demenz – als einzige Kommune im Kreis Wesel – auf den Weg gemacht, vor allem durch verschiedene konzertierte Aktionen. In der Mehrzahl
der Fälle seien es die Angehörigen, Nachbarn oder Vermieter, die sich an die Fachberatung Demenz wenden. „Die Betroffenen, die von sich aus zu mir kommen, kann ich an einer Hand abzählen. Oft ist es die Angst vor Entmündigung“, berichtet Albert Sturtz. Er rät Angehörigen: „Der erste Weg muss immer zum Facharzt führen, sobald der Verdacht auf Demenz besteht.“
Der Fachberater aus Moers hat eine Zwölf-Punkte-Checkliste entwickelt, die Angehörigen als ein erster Leitfaden dienen kann. Wie Familienmitglieder aber Strategien entwickeln, mit der Situation einfühlsam umzugehen und fertig zu werden, dabei hilft Albert Sturtz persönlich – in den Beratungsräumen der Grafschafter Diakonie in Moers, auf Hausbesuchen oder in Gesprächskreisen. Letztere können zurzeit wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Dort haben Angehörige aber Gelegenheit zum Austausch über das Leben mit einem an Demenz erkrankten Menschen. Sie lernen voneinander und unterstützen sich gegenseitig. „Sie sind ja Experten in eigener Sache“, sagt Sturz, der die Gesprächskreise moderiert. Priorität habe immer, die Lebensqualität des Betroffenen so lange wie möglich hoch zu halten. „Er soll in seinem häuslichen Umfeld bleiben können“, betont der Fachberater.
Er unterstützt die Angehören in allen Fragen, die sich bei der Versorgung eines Demenzerkrankten ergeben – von den Pflegeversicherungsleistungen bis hin zur rechtlichen Handlungsfähigkeit. „Ich zeige Wege durch das Versorgungssystem und Entlastungsmöglichkeiten auf, begleite auch die Begutachtung für den Pflegegrad.“Und er gibt den Familien „Ideen-Koffer“an die Hand, wie die Mutter oder den Vater davon zu überzeugen sind, dass sie/er als Versicherter beispielsweise ein Anrecht darauf haben, einen Gesellschafter, eine Betreuung zu bekommen. „Der beste Weg ist, auszuprobieren und den Betroffenen nicht zu überfordern. Denn es sind viele Ängste im Spiel.“Die Fachberatung geht auch in Corona-Zeiten weiter: „Dann komme ich eben als Terrassenbesucher oder wir sprechen am offenen Fenster.“
Die Fachberatung Demenz der Grafschafter Diakonie entwickelt Unterstützungsund Beratungsangebote für betroffene Familien mit anderen Anbietern, bildet ehrenamtliche Mitarbeiter aus und bietet Angehörigen, Ehrenamtlichen und Pflegeprofis mehrmals im Jahr Schulungen und Informationsveranstaltungen an. Die Fachberatung Demenz hat ihren Sitz an der Mühlenstraße 20 in Moers, Tel.: 02841 7818453. www.grafschafter-diakonie.de