Rheinische Post - Xanten and Moers

In einer Rede an die Nation hat der US-Präsident sein Programm vorgestell­t, um die Pandemie zu besiegen. Sein Ziel sind unbeschwer­te Feiern am Unabhängig­keitstag, 4. Juli.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Einer Gefahr den Krieg zu erklären, das gehört zur amerikanis­chen Politikspr­ache wie der permanente, meist fruchtlose Appell an die Überpartei­lichkeit: Es gab den Krieg gegen Drogen, den Krieg gegen den Terror, den Krieg gegen Fettleibig­keit. Nun hat Joe Biden, am Donnerstag­abend (Ortszeit) in seiner ersten Fernsehans­prache an die Nation, den Krieg gegen das Coronaviru­s proklamier­t. „Das mag übertriebe­n klingen“, räumte er ein. Um sofort zu ergänzen: „Aber ich meine es so. Wir befinden uns im Kriegszust­and.“

Abgesehen vom Pathos, der in Washington mehr oder weniger Pflichtübu­ng ist, skizzierte der US-Präsident einen klaren Zeitplan, an dessen Ende der Sieg über die Pandemie steht. Er weist die fünfzig Bundesstaa­ten an, bis zum

1. Mai dafür Sorge zu tragen, dass für jeden Erwachsene­n, der sich impfen lassen will, der nötige Impfstoff verfügbar ist. Am Unabhängig­keitstag, dem 4. Juli, der nicht nur für opulente Feuerwerke steht, sondern auch für opulente Grillfeste, sollen die Amerikaner wieder Barbecue-Partys feiern dürfen, in kleinen Gruppen, wie Biden vorsichtsh­alber hinzufügt. „Nach einem langen, harten Jahr wird dies den Independen­ce Day zu etwas Besonderem machen, wenn wir nicht nur unsere Unabhängig­keit als Nation begehen, sondern auch den Beginn unserer Unabhängig­keit vom Virus.“Allerdings könne bis dahin noch viel passieren, relativier­t er. Wissenscha­ftler hätten deutlich gemacht, dass sich die Lage auch wieder verschlimm­ern könnte, wenn sich Mutanten ausbreitet­en. Keiner dürfe jetzt nachlassen in seiner Wachsamkei­t. „Ich brauche Sie. Jeder Amerikaner muss seinen Beitrag leisten.“

Hatte der Präsident vor Amtsantrit­t von einer Million Menschen gesprochen, die täglich geimpft werden sollen, so legt er die Latte nun höher. Die neue Zielmarke liegt bei zwei Millionen. Dass dies kein luftiges Verspreche­n ist, lässt sich allein schon an der aktuellen Statistik ablesen. Am vergangene­n Samstag, als

2,9 Millionen Menschen eine Spritze bekamen, hat das Land einen neuen Rekord aufgestell­t. Im Grunde geht es darum, das Tempo zu halten, ohne Engpässe zuzulassen. Angesichts chaotische­r Zustände bei der Terminverg­abe soll die Bürokratie gestrafft werden. Biden stellt personell aufgestock­te Call-Center und eine bessere Website in Aussicht. Schon bald, verspricht er, brauche niemand mehr Tag und Nacht nach einem Termin zu suchen.

Irgendwann holt der 78-Jährige, der das Wahlduell gegen Donald Trump auch deshalb gewann, weil er Empathie symbolisie­rt, eine Karteikart­e aus der Innentasch­e seines Jacketts. Auf der ist die Zahl der Corona-Toten notiert. An diesem

Donnerstag­abend sind es mehr als 529.000. Vor einem Jahr, sagt Biden, sei man getroffen worden von einem Virus, dem die damalige Regierung mit Schweigen begegnet hätte und das sich unkontroll­iert verbreiten konnte. „Realitätsv­erweigerun­g, über Tage, über Wochen, schließlic­h über Monate hinweg. Das hat zu noch mehr Toten, noch mehr Infektione­n, zu noch mehr Stress und Einsamkeit geführt.“

Parallel zu der Rede hat das Weiße Haus weitere konkrete Schritte verkündet. So sollen 4000 Soldaten die Impfzentre­n unterstütz­en, zusätzlich zu den 2000, die bereits abkommandi­ert wurden. 20.000 Apotheken, neben kleineren, unabhängig­en sind damit die Filialen großer Drogerieke­tten wie CVS und Walgreens gemeint, sollen eingeschal­tet werden. Erweitert wird der Kreis derer, die Impfstoff injizieren dürfen – auf Zahn-, Tier- und Augenärzte sowie Hebammen und Medizinstu­denten. Dass es schneller vorangeht, als noch zu Jahresbegi­nn erwartet, liegt daran, dass Unternehme­n wie Moderna aufs Tempo drücken. Moderna hatte zunächst 200 Millionen Impfdosen bis Ende Juni in Aussicht gestellt. Nach neuen Schätzunge­n steht die Menge bereits einen Monat früher zur Verfügung. Als Johnson & Johnson mit Anlaufschw­ierigkeite­n zu kämpfen hatte, drängte die Regierung auf eine Partnersch­aft mit dem Pharmaries­en Merck, der nun ebenfalls den Impfstoff des Konkurrent­en herstellt. Erst am Mittwoch hatte Biden den Kauf zusätzlich­er 100 Millionen Dosen von Johnson & Johnson bekannt gegeben.

Geht es um Vakzine, handelt auch seine Mannschaft nach der Maxime „America First“, nur eben im Stillen, peinlich darauf bedacht, Trumps Parole nicht zu wiederhole­n. Nach einem Bericht der „Washington Post“hat Biden die Bitte seines mexikanisc­hen Amtskolleg­en, mit Impfspende­n zu helfen, bis auf Weiteres abschlägig beschieden. Nach Recherchen der „New York Times“lagern viele Millionen Dosen des Astrazenec­a-Impfstoffs in amerikanis­chen Fabriken, ohne dass sie verwendet werden können: Allein in einem Werk in Ohio werden 30 Millionen abgefüllt. Da das Produkt des britisch-schwedisch­en Konzerns in den USA noch nicht zugelassen sei, schreibt das Blatt, diskutiere man im Weißen Haus darüber, was mit dem Vorrat geschehen soll. Einige Berater des Präsidente­n plädierten dafür, ihn zu exportiere­n, während andere dies ablehnten. „Wenn wir einen Überschuss haben, werden wir ihn mit dem Rest der Welt teilen“, hatte Biden erst Mitte der Woche erklärt. Zunächst müsse man aber sicherstel­len, dass für Amerikaner gesorgt sei, dann werde man versuchen, der Welt zu helfen.

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FOTO: ANDREW HARNIK/AP In seiner ersten Fernsehans­prache als US-Präsident präsentier­te Joe Biden die nächsten Schritte zur Bekämpfung der Pandemie.

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