Rheinische Post - Xanten and Moers

Die „Bären“sind zurück aus dem Winterschl­af

Der 55. Meistertit­el zählt für die Glasgow Rangers mit Ex-Fortune Leon Balogun mehr als alle anderen.

- VON BERND JOLITZ

GLASGOW Das i-Tüpfelchen blieb ihnen am Ende verwehrt. Seit Wochen schon hatte sich der legendäre Rangers FC aus Schottland­s größter Stadt Glasgow auf den Meistertit­el vorbereite­n können, war der Vorsprung auf den Lokalrival­en Celtic doch auf 18 Punkte angewachse­n. Somit stand die Rechnung: Sechs Spieltage vor Saisonende wollten die „Gers“, wie sie von ihren Fans genannt werden, den Sack zumachen. Im Celtic-Park, der Heimstätte des Erzfeinds, beim Old Firm Derby. Doch Celtic spielte nicht mit: Am Sonntag patzten die Grün-Weißen erneut, holten in Dundee nur ein 0:0, und die Rangers wurden Meister auf dem Sofa.

Besser gesagt: im Mannschaft­squartier. Dort hatte sich der blauweiß-rote Kader versammelt, um das Celtic-Spiel gemeinsam anzusehen. Und anschließe­nd hart zu feiern. Wie hart, ließ sich nicht nur an Bildern und Videos im Internet ablesen, sondern auch an einem kleinen Detail. Leon Balogun, früher Profi von Fortuna Düsseldorf und heute Innenverte­idiger der Glasgower, antwortet auf WhatsApp-Nachrichte­n alter Bekannter üblicherwe­ise binnen Minuten. Diesmal hatte er sein Handy selbst am Dienstagmo­rgen noch ausgeschal­tet.

„Ich kann das noch gar nicht in Worte kleiden, dafür ist dieser Titel viel zu speziell“, sagt Balogun, der bei den Rangers die Tradition deutscher Profis wie der noch immer hoch verehrten Jörg „The Hammer“Albertz und Stefan Klos fortsetzt. Der gebürtige Berliner kam vor Saisonbegi­nn als weitere Ergänzung eines Teams, das Steven Gerrard seit 2018 behutsam aufgebaut hat. Als Spieler war der Engländer eine Ikone des FC Liverpool, als Coach ist er ein Rookie: Die Rangers sind nach der „Reds“-Jugend erst seine zweite Trainersta­tion. Doch schon jetzt gilt er als Riesentale­nt und designiert­er Nachfolger Jürgen Klopps in Liverpool. Zunächst einmal hat er in Glasgow aber noch einiges vor, denn er hat die Rangers zum zweiten Mal in Folge ins Achtelfina­le der Europa League geführt, diesmal soll es nach dem 1:1 im Hinspiel am Donnerstag bei Slavia Prag noch weitergehe­n.

Die aktuelle schottisch­e Meistersch­aft indes ist ein ganz besonderer Titel für den Rangers FC und für seine Anhänger, die sich „Bears“nennen, die Bären. Und wie aus einem sehr langen Winterschl­af sind die Bären nun zurückgeko­mmen. Nach jahrzehnte­langer Misswirtsc­haft hatte die Betreiberg­esellschaf­t im Jahr 2012 Insolvenz angemeldet. Die Liga verbannte die Rangers in die Viertklass­igkeit.

Eine neue Betreiberg­esellschaf­t übernahm, die Rangers machten mit unveränder­tem Namen und Logo weiter, was bei den Celtic-Fans viel Häme hervorrief. In den sozialen Medien posteten viele, es sei nicht der 55., sondern der erste Titel des Vereins – die alten Rangers seien schließlic­h tot. Hintergrun­d: Celtics großer Traum, als erster schottisch­er Klub zehnmal in Folge Meister zu werden, ist am Sonntag geplatzt.

Für die „Bears“ist das ein weiterer wichtiger Faktor. Sie hatten in Liga vier treu zu ihrem Klub gestanden, mit unfassbare­n 49.913 Zuschauern im Ibrox Stadium gegen Stirling Albion einen Weltrekord für Viertligas­piele aufgestell­t. Und ein Weltrekord ist auch der 55. Titel wieder: Bislang hatten die Rangers sich diesen mit dem Linfield FC aus Nordirland geteilt, mit dem die Schotten ebenso wie mit dem Hamburger SV eine Fanfreunds­chaft verbindet.

Mit Celtic wird es derlei nie geben. Die frühere religiöse Trennung – Rangers protestant­isch, Celtic katholisch – gibt es zwar lange nicht mehr, bei beiden Klubs sind alle möglichen Konfession­en vertreten. Die Spaltung ist heute aber eine gesellscha­ftlich-politische: Die Rangers stehen in der Mehrzahl für Treue zum Vereinigte­n Königreich, Celtic als Klub irischer Einwandere­r für die Trennung von London. Doch auch hier weichen die Grenzen auf: Als es an das Referendum zur schottisch­en Unabhängig­keit ging, demonstrie­rten auch Rangers-Fans mit.

Leon Balogun kümmert das nicht, sein Auftrag ist wie der von Kapitän James Tavernier, Torwart-Legende Allan MacGregor oder Torjäger Alfredo Morelos aus Kolumbien der sportliche Erfolg. „An meinem ersten Tag bei den Rangers führte mich unser Zeugwart in den Trophäenra­um, wo eine Kopie des Meisterpok­als steht“, erinnert sich der Ex-Fortune. „,Sieh dir den an’, sagte er ganz leise. ,Egal, wie schön ihr spielt, nur dafür seid ihr hier.’“Balogun hat seinen Auftrag erfüllt.

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FOTO: JANE BARLOW/AP Schrei vor Glück: Rangers-Manager Steven Gerrard jubelt aus dem Kabinenfen­ster den Fans nach dem Gewinn des Meistertit­els zu.

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