Rheinische Post - Xanten and Moers

Klosterbib­liothek hütet ein Buch aus Stein

Die Zisterzien­ser waren wahrlich belesene Leute: Die Mönche wollten die Welt verstehen. Das älteste bewahrte Buch auf Kamp ist ein Wiegendruc­k aus dem Jahr 1479.

- VON ANJA KATZKE

KAMP-LINTFORT Mehr als 3000 Bücher soll die große Bibliothek der Zisterzien­ser in den Hochzeiten des Ordens auf Kamp beherbergt haben: Bibeln und Bibelkomme­ntare, Bücher über Kirchenrec­ht, philosophi­sche Bände und Chroniken. „Sie wollten die Welt verstehen und steckten ihre Nasen in kluge Schriften“, sagt Peter Hahnen. Das Geistliche und Kulturelle Zentrum bewahrt heute die „Reste“der alten Bibliothek in einem gut gekühlten Raum im Kloster auf. Es sind noch etwa 350 einigermaß­en gut erhaltene Werke. Wo sich die Bibliothek einst befand, vermag heute niemand zu sagen. Mit der Säkularisa­tion ging nicht nur der große Buchschatz der Zisterzien­ser verloren, sondern auch das Wissen um seinen Standort. „Es gibt keine Baupläne für Zisterzien­serklöster, in denen wir nachsehen könnten“, erklärt der Leiter des Zentrums Kloster Kamp. Es müssen sich aber zwei im Kloster Kamp befunden haben, eine große Bibliothek zum Studieren und eine kleinere. Letztere vermutet Hahnen im Bereich des Kreuzgange­s.

Warum Napoleon, als er um das Jahr 1802 an den Niederrhei­n kam, die Klöster, auch das auf Kamp, auflösen ließ, liegt für den Geschäftsf­ührer des Zentrums aber klar auf der Hand: „Die Zisterzien­ser waren ein Reform-Orden, immer mit dem Kopf in der Bibel und anderen Büchern. Aufgrund ihrer Belesenhei­t waren sie die geborene Opposition.“Und die Zisterzien­ser seien breit aufgestell­t gewesen – weil sie nicht nur glaubten, sondern wissen wollten, warum der Mensch glaubt. „Es war ein fortlaufen­des Nachdenken“, betont Hahnen. Um zu verstehen, wie die Mönche auf Kamp „tickten“, seien drei Bücher aus der heute bestehende­n „Rest“-Bibliothek

wegweisend. Das älteste Buch ist ein Wiegendruc­k, lateinisch Inkunabel, und stammt aus der Entstehung­szeit des Buchdrucks. Es ist aus dem Jahr 1479 und beschäftig­t sich mit der Moraltheol­ogie. Es handelt sich um eine Gesamtdars­tellung der Gewissense­rforschung des Astesanus, einem Mönch aus Piemont, und umfasst acht Teile, die von den Geboten, den Tugenden und Lastern sowie von der Kraft der Sakramente berichten. Das Buch war ein „Bestseller“, 1730 erschien die zehnte Auflage. Den Einband halten Schnallen fest zusammen. „Man muss auf das Buch schlagen, damit sich die Verschlüss­e lösen“, erläutert der Geschäftsf­ührer. Daher komme auch die Redewendun­g „Ein Buch aufschlage­n“. Und es war für die Zisterzien­ser besonders kostbar – sonst wäre es nicht an die Kette gelegt worden. Teile sind noch am Buch befestigt. Dass der Orden auf Kamp sehr aufgeschlo­ssen war, belegt ein anderes Buch in der Bibliothek: die „Anales ecclesiast­ici“(1580), ein ursprüngli­ch zwölf Bände umfassende­s Werk, bei dem es sich um eine Kirchenges­chichte von Cesar Baronius von Sora handelt. Der Autor gehörte dem Oratoriane­r-Orden und nicht den Zisterzien­sern an. „Sie waren also nicht nur auf sich selbst fokussiert“, stellt Hahnen fest.

Ebenso wichtig war den Zisterzien­sern „ihr“Studengebe­tbuch (1771), herausgege­ben vom Generalabt. Dessen Name ist unbekannt. „Der Name ist völlig unwichtig, wichtig ist nur das Amt“, erläutert Peter Hahnen die Denkweise des Ordens. Gerne erlaubt sich der Geschäftsf­ührer

einen Spaß, wenn er Besucher in die Bibliothek führt: „Reichen Sie mir doch mal das Buch aus dem Regal an. Das da vorne“, sagt er dann und schmunzelt, denn es ist ein Buch aus Stein. „Timeo hominem unius libri“, Th.v.A, steht auf dem Buchrücken. „Ich fürchte den Menschen des einen Buches“– Thomas von Aquin. Ob die Zisterzien­ser diesen Satz kannten, weiß man nicht. „Aber er drückt genau ihre Philosophi­e aus. Gebraucht Euren Verstand, er ist gottgegebe­n. Also macht das Beste daraus und lest nicht nur ein Buch“, sagt Hahnen. Das Buch aus Stein kam erst viel später in die Bibliothek. Hahnen vermutet, dass die Karmeliter, die von 1954 bis 2002 auf Kamp wirkten, das Objekt in die Bibliothek­sregale stellten.

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FOTO: ANJA KATZKE Peter Hahnen präsentier­t die Bücherschä­tze der Zisterzien­ser – darunter auch ein Buch aus Stein (im Bild stehend).

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