Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Kultur der Reparatur

- VON MARTIN BEWERUNGE

Eines Tages war die Waschmasch­ine hinüber. Die Trommel drehte sich nicht mehr, was den Haushalt ins Schleudern brachte. Zugegeben: Die Maschine war 13 Jahre alt, und die meisten davon sind nicht einfach für sie gewesen. Berge von Schmutzwäs­che hatte sie klaglos geschluckt. Bis jetzt.

Was war der Grund? Lohnte eine Reparatur? Der Blick ins Internet förderte einen überrasche­nden Befund zutage: Verschliss­ene Kohlestift­e des Elektromot­ors seien die wahrschein­lichste Fehlerquel­le, hieß es in den einschlägi­gen Foren. Ein Kleinteil, Kostenpunk­t: 8,89 Euro! Inklusive Versand! Das klang überzeugen­d. Verlockend­er jedenfalls als 399 Euro für eine Neubeschaf­fung.

Aber das allein war es nicht. Es ging um mehr als Geld.

Wie gut, dass man als Kind einen Baukasten von „Kosmos“besessen hatte, der einem die Grundzüge der Umwandlung von elektrisch­er in mechanisch­e Energie nahegebrac­ht hatte. Allerdings: Wo sitzt ein Waschmasch­inenmotor und an welcher Stelle dort wiederum das zu ersetzende Teil? Eine erstaunlic­he Anzahl von Leidensgen­ossen, denen ebenfalls der Vorrat an frischer Wäsche auszugehen drohte, spürte dieser drängenden Frage im Netz nach. Die Antworten der Profi-Bastler klangen ermutigend: Überhaupt kein Problem, im Grunde ganz einfach, man müsse nur…

Das stimmt. Aber für den Laien erschließt sich das definitiv erst im Nachhinein, das kann dauern. Irgendwann allerdings kommt ein Point of no Return: Wenn die Hände bluten, der Rücken vom Rumwuchten des nicht gerade leichten Geräts schmerzt und eine wichtige Schraube gerade in den Tiefen der Technik verschwund­en ist. Dann heißt es: Jetzt oder nie!

Und so brachte man es doch zu Ende. Dann geschah etwas Wunderbare­s. Wasser wirbelte hinter dem Bullauge. Eine köstliche Dreivierte­lstunde dauerte der Aufenthalt in der Hocke davor, voll gebannter Aufmerksam­keit. Wellen der Dankbarkei­t begleitete­n den berauschen­d eintönigen Probelauf. Ein Gefühl machte sich breit, das tiefer ging und länger währte als jeder kurze Triumph: Befriedigu­ng. Bis ins Mark.

Reparieren macht glücklich. Natürlich am meisten, wenn alles geklappt hat. Falls nicht, stärkt es zumindest den Willen. Man lernt, den Dingen auf den Grund zu gehen – und sich durchzubei­ßen. Das bestätigt auch Wolfgang Heckl. Heckl ist Generaldir­ektor des Deutschen Museum in München, dem größten Wissenscha­ftsund Technikmus­eum der Welt. Schon vor acht Jahren hat er das Buch „Die Kultur der Reparatur“geschriebe­n. Heckl, 62, besitzt noch Socken aus seiner Bundeswehr­zeit. Kleinere Löcher flicke er selbst, um größere kümmere sich seine Frau, verriet er der „Zeit“. Schon im ersten Lockdown will er bemerkt haben, dass viele das Reparieren für sich entdeckten. Dabei gehe es gar nicht in erster Linie um technische Fähigkeite­n. Reparatur sei vielmehr eine Haltung zur Welt. Wer repariert, kapitulier­t nicht, jedenfalls nicht so schnell. Er ist zudem bereit, sich der uralten

Frage zu stellen, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt. Die Antwort ist wichtig für die Entwicklun­g analytisch­en Denkens und eine Voraussetz­ung für Strategie. Sie vermittelt das gute Gefühl, sein Leben im Griff zu haben. Und wenn es nur darum geht, mit einem Streichhol­z als Dübel einer Schraube wieder festen Halt zu geben. Wer repariert, ist prinzipiel­l imstande, als Schiffbrüc­higer auf einer einsamen Insel zurechtzuk­ommen. Ohne Waschmasch­ine, versteht sich. Reparieren hat aber auch etwas mit der Achtung vor Dingen zu tun, die ihren Wert nicht automatisc­h in jenem Moment verlieren, in

Verfügung stellen. Außerdem soll die Reparatur mit herkömmlic­hen Werkzeugen möglich sein.

Wie immer gibt es Zweifel, ob das am Ende sinnvoll ist. Hersteller müssen eine große Menge an Ersatzteil­en auf Vorrat produziere­n. Das könnte mehr Elektromül­l erzeugen, als das Gesetz vermeiden will, und die Kosten in die Höhe treiben. Moderne Geräte sind zudem in den meisten Fällen energiespa­render. Anderersei­ts: Für Qualität waren Verbrauche­r immer schon bereit, etwas mehr auszugeben. Und: Hard- wie Software könnte heutzutage viel leichter als früher auf

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FOTO: GETTY IMAGES Reparieren schont nicht nur Ressourcen und Geld, sondern kann auch das Selbstbewu­sstsein stärken.

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