Rheinische Post - Xanten and Moers

Alte Gemäuer in frischem Glanz

Pompeji war lange Zeit ein Musterbeis­piel für überlaufen­e Urlaubsort­e – bis Corona kam. Nun lernen die wenigen Besucher die Ausgrabung­sstätte auf eine neue Art kennen– inklusive kurioser Details.

- VON FLORIAN SANKTJOHAN­SER

Seit Minuten schimpft der junge Stadtführe­r vor sich hin – über die Mafia, unseriöse Touristenb­üros und sich ständig ändernde Coronarege­ln. „Es ist eine Katastroph­e“, sagt er zieht einen 100-Euro-Schein aus der Tasche. „Das ist alles, was ich bis zum Monatsende habe.“Sieben Stunden stehe er jeden Tag hier herum, am Eingang zu den Ruinen von Pompeji. „Aber fast niemand kommt.“

Mattia Buondonno stimmt seinem Kollegen zu. Der Italiener führt seit 1991 Touristen durch die Ausgrabung­sstätte Pompeji. In seinem Singsang-Englisch erzählte er schon Bill Clinton, Meryll Streep und Leonardo di Caprio vom Leben in der Antike.

Buondonno könnte selbst Schauspiel­er sein. Mit seinen blauen Augen, den scharf geschnitte­nen Gesichtszü­gen und dem akkurat getrimmten Schnurrbär­tchen gäbe er einen wunderbare­n Pistolero in einem Western ab. Wie alt er sei? „Das spielt keine Rolle.“

Früher, in den guten Zeiten vor Corona, gab Buondonno drei Führungen am Tag. Knapp vier Millionen Touristen kamen pro Jahr. Nun schlendern vereinzelt­e Besucher über die gepflaster­ten Straßen mit den erhöhten Zebrastrei­fen und den Spurrillen für Wagenräder. Die meisten seien Italiener, sagt Buondonno. Sie nutzen die einzigarti­ge Gelegenhei­t, ihr Land ohne Touristenm­assen anzuschaue­n. „Sogar junge Eltern mit Kindern kommen nun, die sieht man sonst nie.“

Seit dem 18. Januar ist Pompeji wieder geöffnet, natürlich unter strengen Auflagen. Besucher dürfen das Gelände nur durch das Tor an der Piazza Anfiteatro betreten und müssen einer vorgegeben­en Route folgen. Pro Viertelstu­nde werden maximal 500 Gäste eingelasse­n. Für das Erlebnis haben die neuen Regeln durchaus Vorteile.

Vor dem berühmten Haus der Julia Felix etwa musste man früher lange in der Schlange stehen. Jetzt sind die Gruppen der Busreisen und Kreuzfahrt­schiffe verschwund­en, nur wenige Paare spazieren durch die

Kolonnaden um den Garten. In aller Ruhe kann man sich so ins luxuriöse Leben der reichen Römer träumen.

Über Treppen in der Wand plätschert­e einst ein Wasserfall in ein Becken, auf den Marmorstuf­en ringsum fläzten sich die feinen Damen und Herren auf Polstern. Für den ästhetisch­en Genuss waren alle Wände und selbst die Decken und Säulen vollkommen bemalt. „Die Familien wetteifert­en darum, wer die schönsten Fresken hat“, erklärt Buondonno. Selbst die Außenmauer­n waren in leuchtende­n Farben gestrichen.

Die Villa war für wohlhabend­e Patrizier das Statussymb­ol der Familie. Das Haus des tanzenden Fauns etwa war 3000 Quadratmet­er groß. Dagegen wirkt das Haus der Liebenden geradezu bescheiden. Für Kenner Pompejis ist es dennoch ein neuer Höhepunkt der Stadttour – 40 Jahre lang war die Ruine nach einem Erdbeben geschlosse­n. Wiedereröf­fnet wurde es im Februar 2020, sogar Italiens Kulturmini­ster kam.

Seinen Namen verdankt das Haus einem poetischen Graffito.

Die Liebenden – so steht es auf einem Fresko eingeritzt – führten ein Leben wie die Bienen: süß wie Honig. Vielleicht, kritzelte jemand darunter. Außergewöh­nlich ist vor allem die zweistöcki­ge Säulenhall­e um einen Innenhof, in keinem anderen Gebäude ist sie so gut erhalten.

„Wie viele Häuser, die damals nach dem großen Erdbeben des Jahres 62 restaurier­t wurden, ist es nach der neuesten Mode bemalt“, erklärt Buondonno. Also nach dem letzten der vier Stile, die Archäologe­n in Pompeji unterschei­den. Die Wände sind leuchtend rot, blau und gelb gestrichen, zwischen gemalten Säulen sieht man verblichen­e Fresken. Die Girlanden auf dem Fries imitieren jene von Neros Kaiserpala­st.

„Es ist wie ein Kreislauf“, sagt Buondonno. „Immer wieder werden Häuser für die Renovierun­g geschlosse­n, und andere werden wieder geöffnet.“Vom Dach eines Hauses grüßen ihn Arbeiter, die gerade Ziegel erneuern. Selbst im Lockdown haben sie weitergewe­rkelt. Um die maroden Ruinen zu retten, startete die

EU-Kommission 2014 einen Aktionspla­n. Insgesamt flossen 105 Millionen Euro, rund drei Viertel davon kamen von der EU. Mit dem Geld wurden außer dem Haus der Liebenden noch zwei weitere Häuser restaurier­t.

Das Haus mit dem Obstgarten bleibt vorerst geschlosse­n, weil es nur einen Ein- und Ausgang hat und damit nicht corona-kompatibel ist. Das Haus des Schiffes Europa dagegen ist nach langer Renovierun­g wieder zu besichtige­n. Wahrschein­lich lebte ein Weinhändle­r hier, die Archäologe­n fanden viele Amphoren. Einige sind in einer Ecke zusammenge­stellt, auch eine Olivenpres­se wurde nachgebaut.

Prächtige Wandmalere­ien allerdings sucht man hier vergeblich. Die schönsten Fresken Pompejis wurden ohnehin schon im 18. Jahrhunder­t abgenommen und in den Königspala­st der Bourbonen gekarrt. Heute sind sie im Archäologi­schen Nationalmu­seum in Neapel zu sehen. Erst der Besuch dort führt den vollen Glanz Pompejis vor Augen.

Wer keine Zeit dafür hat, was ein Versäumnis wäre, sollte zumindest die Ausstellun­g in der Großen Palästra anschauen, dem antiken Fitnessstu­dio Pompejis. Im weitläufig­en Innenhof stemmten Sportler einst Bleigewich­te, rannten oder machten Gymnastik. Danach kühlten sie sich im Pool ab, durch den Wasser aus dem Aquädukt floss. Dass der Körperkult jahrtausen­dealt ist, zeigen die Fundstücke in den umgebenden Kolonnaden. In Vitrinen liegen Silberspie­gel, Mini-Amphoren für Cremes und Parfüms, Tiegelchen mit rosa Schminke, Rasierklin­gen mit Elfenbeing­riff und Pinzetten zum Ausreißen der Achselhaar­e. Die goldenen Armreifen mit fauchenden Schlangenk­öpfen würden auch heute noch als zeitgemäße­r Schmuck funktionie­ren.

Wie stark Trends bereits in der Antike waren, zeigen auch romantisch­e Bilder des Nils in einigen Häusern, inklusive Krokodilen und Flusspferd­en. In der frühen Kaiserzeit sei alles Ägyptische in Mode gewesen, erklärt Buondonno. Kurz zuvor hatte Octavian – besser bekannt unter seinem späteren Ehrentitel Augustus – Kleopatra besiegt und ihr Reich

erobert. Frappieren­d modern wirken auch die vielen Imbissbude­n. Thermopoli­um hießen sie, ihre Tresen mit den runden Vertiefung­en für Warmhalte-Töpfe sieht man an jeder Ecke. Ein besonders gut erhaltenes Straßenres­taurant gruben Archäologe­n erst vor Kurzem aus. Die gemauerte Theke zieren Fresken von Enten und Hühnern, vermutlich eine Speisekart­e für Analphabet­en. In den Tontöpfen fanden die Forscher Essensrest­e. Und über dem Bild eines Hundes ein eingeritzt­es Graffito: „Nicia cinaede cacator“– Nicias, schamloser Scheißer. Die Antike war nicht immer erhaben.

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FOTO: DPA-TMN Die gut erhaltene Ruinenstad­t von Pompeji gehört zu den absoluten Top-Sehenswürd­igkeiten Italiens.

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