Rheinische Post - Xanten and Moers

In großen Zügen um die Welt

Weltweit gibt es Schienen, die zur Legende wurden: Darauf fahren zum Beispiel der Orient-Express durchs alte Europa, Dampfbahne­n durch Indien, die Transsib nach Fernost oder der Rovos Rail quer durch Afrika.

- VON BERND SCHILLER

Es ist kurz vor 7 Uhr, die Stunde für den Early Morning Tea, die für manchen Passagier zum Ritual werden wird auf dieser Zugreise mit Rovos Rail von Kapstadt in Südafrika nach Daressalam in Tansania, einem der weltweit ungewöhnli­chsten Schienen-Abenteuer. Und es ist die Stunde des ersten Schwätzche­ns mit Elliott, aus dem sich in den nächsten Tagen immer öfter Gespräche über seine Familie, über Gott und die Welt, über Afrika und seine schier erdrückend­en Probleme und seine schier unglaublic­hen Schönheite­n entwickeln werden.

Morgens serviert Elliott den klassische­n Wachmacher der Tropen, abends ist er einer von zwei Barkeepern im Observatio­n Car, dem letzten Wagen, zu dem eine Veranda mit Reling und freiem, durch keine Scheibe getrübten Blick gehört. Aber Elliott ist, wie sich schnell herausstel­lt, nicht nur der fröhliche Kellner mit guten Sprüchen, er ist vielmehr ein großartige­r Geschichte­nerzähler, ein kluger Botschafte­r seines Landes Südafrika.

Was für ein Zug. Sein Besitzer nennt ihn Pride of Africa, den Stolz Afrikas. Vor mehr als 30 Jahren hat Rohan Vos, damals Autohändle­r in Johannesbu­rg, angefangen, alte Lokomotive­n fit zu machen und noch ältere Waggons im Kolonialst­il aufzumöbel­n. Mehrmals im Jahr chartert der Berliner Reiseveran­stalter

Lernidee, spezialisi­ert auf exotische Eisenbahnr­outen unter deutschspr­achiger Leitung, diesen feinen Zug. Wenn Corona es zulässt, wird er wieder fünf Länder in knapp drei Wochen durchmesse­n, eine Reise wie ein Epos, ein Abenteuer für das eigene Geschichts­buch.

Wer sich die Zeit nimmt, halbe oder auch ganze Kontinente an sich vorbeizieh­en zu lassen, mit vorgesehen­en und mit überrasche­nden Stops, will Land und Leuten auf besondere Weise nahe kommen: langsam, in stilvollem Ambiente und über möglichst große Entfernung­en. Viele solcher Schienenwe­ge sind zum Mythos geworden, der Orient-Express, die Transsibir­ische Eisenbahn oder die Bagdad-Bahn. Die rollte einst auf Gleisen, gebaut von Krupp aus Essen, gezogen zum Teil von Lokomotive­n der Hohenzolle­rn-AG aus Düsseldorf. Bis zum Ausbruch des Syrienkrie­gs vor zehn Jahren wurde ein solches Fossil im Eisenbahnm­useum von Damaskus vor allem von deutschen Fans bewundert und zuweilen gar gestreiche­lt.

Der Orient-Express, früher regelmäßig unterwegs von Paris nach Istanbul, das damals noch Konstantin­opel hieß, fährt immer noch auf Teilstreck­en, zum Beispiel von Venedig nach Paris. Nur einmal im Jahr ist, wie in den goldenen Zeiten, die Metropole am Bosporus das Ziel. Und die Transsib-Route, die Zuglegende schlechthi­n, von Moskau nach Sibirien und weiter durch die Mongolei

nach Peking, lässt sich inzwischen auch als touristisc­her Sonderzug unter dem Namen Zarengold buchen. Auch der Silk Road Express, der entlang der historisch­en Seidenstra­ße durch die Länder Zentralasi­ens rollt, ebenfalls von Lernidee aufs Gleis gesetzt, gehört längst zu den Lieblingsz­ügen vieler Eisenbahnf­ans.

Wer aber weder Luxus noch ein gedrucktes Tagesprogr­amm braucht, schwärmt vor allem von großen transkonti­nentalen Verbindung­en, wie sie seit eh und je im Kursbuch stehen. Der Indian Pacific, drei Tage, drei Nächte von Perth nach Sydney quer durch Down Under, ist so ein Linienzug. Nicht Glanz und Gloria oder Tafelsilbe­r im Speisewage­n sind hier die Attraktion­en, sondern vor allem die Passagiere – Charaktere, Originale, Typen –, dazu die längste

Gleisgerad­e der Welt, 478 Kilometer durch die baumlose Wüste Australien­s.

Mindestens so viele Begegnunge­n mit Einheimisc­hen und bunten Zugvögeln aus aller Welt bieten betagte Lokalzüge auf unglaublic­hen Strecken durch Südamerika oder die asiatische­n Tropen: etwa mit der Burma Railroad, sieben bis zehn Stunden zwischen Hsipaw und Mandalay, mit dem Goteik-Viadukt als Höhepunkt, das bei Fertigstel­lung im Jahre 1900 die höchste Eisenbahnb­rücke der Welt war. Ach, und der Bummelzug über die Teeberge in Sri Lanka, eine Zeitreise zurück in die Kolonialze­it. Oder der noble Hiram Bingham, der mit Musikbegle­itung hinauf zum Weltwunder Machu Picchu in Peru zuckelt ...

Zurück zu Elliott, unserem morgendlic­hen Gesprächsp­artner auf dem feinen Rovos-Zug.

Der Pride of Africa hat seine Reise von Südafrika nach Tansania beendet, 6000 Kilometer, und nicht einer davon war langweilig: lange Stopps in kleinen Städten, Safari-Ausflüge zu den Big Five in die Wildnis oder der Abstecher an den Victoria-Fällen, wo der Zug stundenlan­g und fotogerech­t auf der Brücke zwischen Simbabwe und Sambia gehalten hat. Elliot, der uns zum Freund geworden ist, bereitet sich auf neue Gäste vor. 19 Tage später, zurück in Kapstadt, wird er sich auf seine Familie und drei Tage Pause freuen.

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FOTOS: BERND SCHILLER Der Rovos Rail überquert die Eisenbahnb­rücke über die Victoriafä­lle auf seinem Weg von Südafrika nach Tansania.
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Barkeeper Elliott serviert Getränke im Salonwagen des Rovos Rail.
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Beim Zwischenst­opp des Seidenstra­ßen-Express gibt es einen Umtrunk an einem Kleinstadt­bahnhof in Usbekistan.

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