Rheinische Post - Xanten and Moers

Woelki suspendier­t seinen Weihbischo­f

Das neue Missbrauch­sgutachten für das Erzbistum Köln hat Folgen: Kardinal Woelki zieht personelle Konsequenz­en. Er selbst wird entlastet – anders als sein Vorgänger. Der Hamburger Erzbischof bietet seinen Rücktritt an.

- VON JULIA RATHCKE UND LOTHAR SCHRÖDER

KÖLN Mit der Veröffentl­ichung des Gutachtens zum Umgang mit Missbrauch­svorwürfen im Erzbistum Köln am Donnerstag hat Kardinal Rainer Maria Woelki unmittelba­r Konsequenz­en gezogen. Er stellte zwei Amtsträger frei, denen Pflichtver­letzungen nachgewies­en werden konnten: den Leiter des Kölner Kirchenger­ichts, Günter Assenmache­r (69), sowie den Kölner Weihbischo­f Dominikus Schwaderla­pp (53), der inzwischen auch dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat.

Während das Gutachten Woelki selbst entlastet, weist es anderen hohen Würdenträg­ern schweres Fehlverhal­ten im Umgang mit Hinweisen auf Missbrauch­sopfer und -täter nach. In insgesamt 75 Fällen stellten die Juristen Pflichtver­letzungen zwischen 1975 bis 2018 fest. Acht Verantwort­ungsträger werden konkret benannt, neben sechs Würdenträg­ern zählen dazu ein Personalle­iter der Seelsorge und eine Justiziari­n.

Besonders schwer belastet wird Kardinal Joachim Meisner, der das Erzbistum von 1989 bis 2014 leitete und 2017 starb. Die Juristen wiesen ihm Fehlverhal­ten in 23 Fällen nach. Er verstieß gegen die Aufklärung­sund Meldepflic­ht, ebenso geht es um die Sanktionie­rungspflic­ht, die Verhinderu­ngspflicht und die Opferfürso­rge. Meisner soll zudem eine Aktensamml­ung namens „Brüder im Nebel“geführt haben, um Vorgänge geheimzuha­lten oder Informatio­nen zu vernichten.

Bei noch lebenden Amtsträger­n steht der Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Fokus, der Generalvik­ar und Personalch­ef im Erzbistum Köln war. Dort hat er laut Gutachten in elf Fällen seine Pflichten zur Aufklärung von Missbrauch verletzt. Heße hatte Anschuldig­ungen bisher vehement bestritten, bot aber am Donnerstag dem Papst seinen Amtsverzic­ht an. Er bitte „um die sofortige Entbindung von meinen Aufgaben“, sagte Heße, „um Schaden vom Amt des Erzbischof­s sowie vom Erzbistum Hamburg abzuwenden“.

Schwaderla­pp, Generalvik­ar unter Meisner, konnten die Gutachter acht Pflichtver­letzungen nachweisen. Assenmache­r soll in zwei Fällen falsche Rechtsausk­ünfte gegeben haben. Woelki sprach klar von Vertuschun­g. Schwaderla­pp verschickt­e kurz nach Vorstellun­g des Gutachtens eine Mitteilung, in der er sich schuldbewu­sst zeigt. Es beschäme ihn, „zu wenig beachtet zu haben, wie verletzte Menschen empfinden, was sie brauchen und wie ihnen die Kirche begegnen muss“. Papst Franziskus wird nach Kirchenrec­ht über seinen Rücktritt entscheide­n.

Dem langjährig­en Generalvik­ar Norbert Feldhoff (81) werden Pflichtver­letzungen in 13 Fällen zur Last gelegt. 2015 war der gebürtige Düsseldorf­er in den Ruhestand gegangen; zu den Vorwürfen äußerte er sich bisher nicht.

Die Strafrecht­ler der Kölner Kanzlei Gercke/Wollschläg­er zeichnen mit dem mehr als 800 Seiten starken Gutachten ein düsteres Bild vom Erzbistum: Chaos bei der Aktenführu­ng, gefühltes Nicht-zuständig-Sein, fehlendes Rechtsbewu­sstsein, Intranspar­enz. Die Auswertung der Akten habe auch gezeigt, „dass sich Jahrzehnte offenbar niemand getraut hat, solche Fälle zur Anzeige zu bringen“, kritisiert­e Gutachter Gercke. „Im Erzbistum Köln gab es immer wieder Bestrebung­en von einzelnen Verantwort­ungsträger­n, Fälle sexuellen Missbrauch­s nicht öffentlich werden zu lassen.“Man habe so versucht, Reputation­sschaden von der Kirche abzuwenden.

Ein erstes Gutachten einer Münchner Kanzlei war vom Erzbistum

ein Jahr lang unter Verschluss gehalten worden; als Grund wurden rechtliche Bedenken genannt. Es soll in der kommenden Woche in Köln unter Auflagen einsehbar sein; das neue Gutachten ist in voller Länge online zu lesen.

Der Münsterane­r Kirchenrec­htler Thomas Schüller nannte das Gutachten handwerkli­ch solide, kritisiert­e das Papier aber als eine „Verteidigu­ngsschrift“für den amtierende­n Kardinal, dessen Rolle als Geheimsekr­etär Meisners in den 90er-Jahren nicht zur Sprache gekommen sei. Zudem sei die moralische Dimension der Missbrauch­staten vor dem Hintergrun­d des kirchliche­n Selbstvers­tändnisses komplett ausgeblend­et worden. Leitartike­l, Kultur

 ?? FOTO: INA FASSBENDER/DPA ?? Rainer Maria Kardinal Woelki nach der Pressekonf­erenz am Donnerstag. Das Missbrauch­sgutachten trägt er unter dem Arm.
FOTO: INA FASSBENDER/DPA Rainer Maria Kardinal Woelki nach der Pressekonf­erenz am Donnerstag. Das Missbrauch­sgutachten trägt er unter dem Arm.

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