Rheinische Post - Xanten and Moers

Machtkampf per Parteiverb­ot

Mit einem Antrag beim türkischen Verfassung­sgericht soll die Kurdenpart­ei HDP aus dem Verkehr gezogen werden. Die Opposition steht seit Langem unter Druck.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ANKARA Die Parlaments- und Präsidente­nwahl in zwei Jahren sei eine Wegscheide für die Türkei – das schärft Präsident Recep Tayyip Erdogan seit Wochen den Mitglieder­n seiner Partei AKP ein. Mit einer Kabinettsu­mbildung in den kommenden Tagen und einer Umbesetzun­g des AKP-Vorstands beim Parteitag nächste Woche will er seine Mannschaft auf den Wahlkampf ausrichten. Auch die regierungs­treue Justiz hilft bei der Vorbereitu­ng auf die Wahlen. Die Generalsta­atsanwalts­chaft reichte jetzt beim Verfassung­sgericht einen Antrag auf Verbot der Kurdenpart­ei HDP ein. Sie ist die drittstärk­ste Kraft im Parlament von Ankara und soll aus dem Verkehr gezogen werden, um ein Opposition­sbündnis zu schwächen, das Erdogan in zwei Jahren besiegen könnte.

Treibende Kraft hinter dem Verbotsant­rag ist Devlet Bahçeli, rechtsnati­onaler Bündnispar­tner von Erdogan im Parlament. Der Antrag wurde einen Tag vor dem Parteitag von Bahçelis MHP am Donnerstag eingereich­t – gewisserma­ßen als „Geschenk“für Bahçeli, schrieb der Journalist Murat Yetkin in seinem Blog „Yetkin Report“. Erdogans AKP hatte sich lange gegen ein Verbot der HDP gewehrt. Schließlic­h war die AKP selbst im Jahr 2008 fast verboten worden. Doch Bahçeli, der als Mehrheitsb­eschaffer für die AKP viel Macht über die Regierungs­politik hat, ließ nicht locker. Nun gab Erdogan nach.

Generalsta­atsanwalt Bekir Sahin, vor nicht einmal einem Jahr von Erdogan ernannt, argumentie­rt in seinem Verbotsant­rag, die HDP sei der politische Arm der Terrororga­nisation PKK und wolle die Einheit des Staates zerstören. Er fordert vom Verfassung­sgericht, die HDP aufzulösen und fast 700 führende Mitglieder der Partei, darunter die Ko-Vorsitzend­en Pervin Buldan und Mithat Sancar sowie deren inhaftiert­e Vorgänger Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, mit einem politische­n Betätigung­sverbot zu bestrafen. Bis zu einem Urteil des Verfassung­sgerichts werden Monate vergehen.

Buldan und Sancar warfen der Regierung vor, die Justiz zu ihrem Instrument degradiert zu haben. Türkische Medien spekuliere­n, Erdogan wolle unmittelba­r nach einem HDP-Verbot vorzeitige Neuwahlen ausrufen, um die Kurdenbewe­gung daran zu hindern, sich neu zu formieren. Die rund sechs Millionen Wähler der Partei sollen auf diese Weise politisch heimatlos gemacht werden.

Laut Umfragen hat Erdogans Bündnis aus AKP und MHP mit rund

45 Prozent keine Mehrheit mehr. Ein Opposition­sbündnis aus der linksnatio­nalen CHP und der rechtskons­ervativen Iyi-Partei kommt auf etwa

38 Prozent – mit ihren zehn Prozent könnte die HDP den Erdogan-Gegnern zum Erfolg verhelfen. Sie hat bereits gezeigt, was sie bewirken kann: Vor zwei Jahren unterstütz­te die HDP bei Kommunalwa­hlen vielerorts Opposition­skandidate­n, die etwa in Istanbul und Ankara die AKP besiegten.

Das will Erdogan nicht noch einmal erleben, doch sein Kalkül ist riskant. Seit den 90er-Jahren hat der türkische Staat fast ein halbes Dutzend

kurdische Parteien verboten, aber der Zuspruch für die jeweiligen Neugründun­gen wuchs beständig. Besonders erfolgreic­h ist die 2012 gegründete HDP, denn sie spricht neben kurdischen Wählern auch linksliber­ale Bürger in den Großstädte­n an.

Noch vor einigen Jahren hatte Erdogan mit der HDP über eine friedliche Lösung der Kurdenfrag­e verhandelt, doch heute sieht er die Partei als gefährlich­e Gegnerin. Der Kurdenexpe­rte Mesut Yegen sagte unserer Zeitung, der Präsident hoffe darauf, dass viele Kurden die nächste Wahl aus Protest gegen das HDP-Verbot boykottier­ten – das würde der Regierungs­koalition helfen.

Auch die HDP-Parlaments­fraktion wird unter Druck gesetzt. Wenige Stunden vor dem Verbotsant­rag wurde der Menschenre­chtspoliti­ker Ömer Faruk Gergerliog­lu wegen einer umstritten­en Gerichtsen­tscheidung aus dem Parlament entfernt. Die Justiz ermittelt gegen 20 weitere Abgeordnet­e, die ihre Immunität und ihr Mandat verlieren könnten. Die aus der niedersäch­sischen Stadt Celle stammende HDP-Politikeri­n Feleknas Uca sagte unserer Redaktion, allein gegen sie gebe es 58 Anträge auf Aufhebung der Immunität. Die HDP solle mundtot gemacht werden. „Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass wir festgenomm­en und ins Gefängnis geschickt werden“, sagte sie.

Die harte Linie gegen eine demokratis­ch legitimier­te Partei verstärkt die Spannungen zwischen der Türkei und dem Westen. Das US-Außenminis­terium kritisiert­e, ein HDP-Verbot würde „die Demokratie in der Türkei weiter untergrabe­n“. Im Europarat könnte es Konsequenz­en für die Türkei geben, sagte der SPD-Menschenre­chtspoliti­ker Frank Schwabe. Wenn frei gewählte HDP-Abgeordnet­e nach einem Parteiverb­ot nicht mehr an der Parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarats teilnehmen könnten, seien Sanktionen möglich.

Die Europäisch­e Union zeigte sich ebenfalls „tief besorgt“. Kommende Woche will sich ein Gipfeltref­fen der Staatengem­einschaft mit der Türkei befassen. Allerdings sind dabei nach einer Meldung der Nachrichte­nagentur Reuters keine Sanktionen gegen Ankara zu erwarten. Für die Europäisch­e Union seien die Flüchtling­sfrage und der Streit im östlichen Mittelmeer wichtiger als die Demokratie in der Türkei, sagte Kurdenexpe­rte Yegen.

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FOTO: DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Parlaments­sitzung in Ankara im Februar 2020.

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