Rheinische Post - Xanten and Moers
Die größten Kapitalvernichter an der Börse
Jedes Jahr benennen Aktionärsschützer die Unternehmen mit den stärksten Kursverlusten. Großer Verlierer 2020 war Epigenomics.
DÜSSELDORF Bei einem Unternehmen aus der Biotech-Branche geht man gegenwärtig meist davon aus, dass es zu den großen Gewinnern an der Börse gehört. Das trifft natürlich vor allem für die Hersteller und Anbieter von Covid-19-Impfstoffen zu, gilt aber auch für andere Unternehmen. Wenn dann ein Vertreter dieser Branche von Aktionärsschützern zum aktuell größten Kapitalvernichter gekürt wird, überrascht das zunächst. Im Fall Epigenomics ist das anders. Das Berliner Unternehmen gehört schon seit Jahren zu den Misserfolgsgeschichten am Aktienmarkt. Das liegt vor allem daran, dass ein Darmkrebs-Bluttest des Unternehmens in den Vereinigten Staaten bei der US-Krankenversicherung schlecht ankam.
In der Watchlist, die die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz jährlich veröffentlicht, ist Epigenomics damit die unrühmliche Nummer eins. Die Aktie des auf die
Entwicklung von Technologien zur Erkennung von Krebs spezialisierten Unternehmens habe in allen drei Vergleichszeiträumen (ein Jahr, drei Jahre, fünf Jahre) deutlich an Wert verloren, so DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Allein im vergangenen Jahr büßte die Aktie mehr als 70 Prozent ihres Wertes ein. Dahinter folgen in der Negativliste der Finanzdienstleister Ferratum, Leoni und Windeln.de. Dass der ehemalige Börsenstar Wirecard nicht vertreten ist, hat einen einfachen Grund: Unternehmen, die Insolvenz angemeldet haben, tauchen auf der DSW-Liste nicht mehr auf.
Schaut man auf die großen Börsenwerte, ist der Leverkusener Bayer-Konzern eindeutig der Verlierer des abgelaufenen Jahres. Der Streit um den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup und die Klagen gegen die US-amerikanische Tochter Monsanto hat die Aktie abstürzen lassen; dazu kamen die Belastungen durch die Pandemie. „Wenn ein Vergleich mit den
Monsanto-Klägern steht, wird Bayer auf unserer Watchlist wohl nicht mehr auftauchen“, glaubt Tüngler.
Zwei weitere Dax-Werte in den Flop 50 der DSW sind Fresenius und die Deutsche Bank. Deutschlands
größtes Geldhaus ist aus Sicht von Tüngler schon fast Inventar auf der DSW-Liste. „Größe allein schützt nicht vor dem Niedergang“, so der Aktionärsschützer. Damit meint er nicht nur den Bankenprimus, sondern auch K+S, Thyssenkrupp, die Commerzbank und die Lufthansa, die allesamt mal im Dax vertreten waren. Zur Ehrenrettung des Geldhauses muss man aber zumindest konstatieren, dass der Aktienkurs im vergangenen Jahr um fast 30 Prozent gestiegen ist. Das aber kann den Wertverfall der Vorjahre kompensieren, in denen die Aktie angesichts von Milliardenverlusten, juristischen Streitigkeiten und Strategiewechseln immer weiter gesunken war.
Abseits der Watchlist kämpft die DSW unverdrossen dafür, dass die Rechte der Aktionäre in den während der Corona-Krise zur Gewohnheit gewordenen Online-Hauptversammlungen nicht leiden. Jella Benner-Heinacher, Hauptgeschäftsführerin der DSW, sieht „spürbare Bestrebungen von Teilen der Wirtschaft, die virtuelle Hauptversammlung in der aktuellen, aktionärsunfreundlichen Form über das Ende der Pandemie hinaus beizubehalten“. Für Vorstände und Aufsichtsräte
sei das sicher „eine verlockende Vorstellung“, so Benner-Heinacher.
Ein Negativbeispiel dafür, wie Aktionärsrechte missachtet werden, ist aus Sicht der DSW der Beschluss auf der virtuellen Hauptversammlung von Axel Springer zum Squeeze-out der verbliebenen Aktionäre. Gegen den hat die Schutzvereinigung geklagt. Natürlich sträubt sich die DSW nicht prinzipiell gegen die virtuelle Hauptversammlung, die 2020 ja alternativlos war. Aber: „Das Format kann nicht über die Einhaltung der Aktionärsrechte entscheiden“, sagt Tüngler. Die Möglichkeit der Online-Aktionärstreffen war ursprünglich bis Ende des vergangenen Jahres befristet gewesen, doch hat das Bundesjustizministerium die Regelung bis zum 31. Dezember dieses Jahres verlängert. Ob es 2022 weitere virtuelle Hauptversammlungen geben wird, hängt vom Verauf der Pandemie ab.
Was die Börsensaison 2021 angeht, erwartet Benner-Heinacher bis zu zehn Neulinge.