Rheinische Post - Xanten and Moers

Warum es beim Kita-Streit nur Verlierer gibt

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Auch mit einem Tag Abstand hat sich Michael Reichelt noch nicht ansatzweis­e beruhigt. Zu sehr hatte er sich am Mittwoch über den Kita-Streit von Stadt und Land aufgeregt. „Ich bin fassungslo­s, dass sich zwei Akteure auf diesem Niveau streiten“, sagt der Geschäftsf­ührer der Lebenshilf­e, die in Duisburg sechs inklusive Kitas betreibt. Der von der Stadt ausgehende Streit über die Kita-Schließung­en sei eine „Katastroph­e“gewesen. Die Eltern seien in „Angst und Schrecken“versetzt worden. Viele hätten verzweifel­t angerufen. „Das ist unfassbar, ich bin so wütend“, sagt er.

Was Reichelt so wütend macht, ist das Kräftemess­en zwischen Duisburg und der Landesregi­erung. Die Stadt wollte die Kitas ab Montag wieder in den Notbetrieb versetzen, das Land NRW untersagte das. Am Donnerstag gab die Stadt zunächst auf. Die Kitas bleiben offen. Bereits am Dienstag war Duisburg mit dem Vorschlag gescheiter­t, die Schulen wieder zu schließen. Auch in Dortmund gab es zuvor ähnliche Pläne. Beide Städte wurden von der Landesregi­erung zurückgepi­ffen.

Kritik kommt am nächsten Morgen aus dem Duisburger Rathaus: „Nachdem bereits für die Schulen der Wechsel in den Distanzunt­erricht alternativ­los abgelehnt wurde, lässt uns die Landesregi­erung mit dieser Entscheidu­ng ein weiteres Mal im Regen stehen“, sagte Sören Link (SPD) am Donnerstag. „Für mich ist dies nicht nachvollzi­ehbar.“Er mahnte zudem das Fehlen zentraler Landesrege­lungen an. „In Anbetracht der steigenden Inzidenz wäre es sinnvoll gewesen, alle Kinder zu Hause zu lassen“, sagte Krisenstab­sleiter Martin Murrack. Stattdesse­n konzentrie­rt sich die Stadt nun auf die Maßnahmen , für die keine gesonderte Zustimmung des Landes erforderli­ch ist.

In den kommenden Tagen soll es eine neue Allgemeinv­erfügung geben. Die Corona-Regeln in Duisburg werden dann erneut verschärft. Wann genau die Verfügung in Kraft treten wird, war am Donnerstag noch nicht bekannt. Konkret geht es um folgende Punkte: Die Kontaktbes­chränkunge­n sollen wieder auf das Niveau von Dezember und Januar zurückgefa­hren werden. Nur ein Hausstand und eine weitere Person dürften sich dann zusammen öffentlich­en Raum treffen. Zudem soll die Maskenpfli­cht nun auch im in der Nähe von Kirchen und Moscheen

und bei Fahrgemein­schaften im Auto gelten, die Sporterlau­bnis für Jugendlich­e wird wieder kassiert und der Kontaktspo­rt verboten. Weitere Maßnahmen behält man sich vor. Aus Rathaus-Kreisen hieß es am Donnerstag, sollten die Zahlen signifikan­t weiter steigen, habe man noch weitere Maßnahmen in der Schublade.

Dass die Kitas bei den Maßnahmen nun doch ausgeklamm­ert wurden, freut Ilona Mlynski. „Ich sehe das aus der Sicht der Kinder“, sagt die Leiterin des Familienze­ntrums Schwedenhe­im. „Eine Schließung wäre für die Mitarbeite­r und die Kinder schrecklic­h gewesen.“Eine von der Stadt zunächst angestrebt­e Notbetreuu­ng würde für die Kita laut Mlynski beinahe einer Schließung gleichkomm­en. Nur für fünf der 84 Kita-Kinder würden die Eltern die entspreche­nden Voraussetz­ungen erfüllen.

Dementspre­chend genau habe Mlynski auch die Berichters­tattung am Mittwoch verfolgt. Nicht nur für sich, auch um die Eltern auf dem laufenden Stand zu halten. „Einige der Eltern können nicht so gut Deutsch, da muss ich dann auch schonmal die Entscheidu­ngen erklären“, sagt sie. Mlynski kann die

Stadt Duisburg im Grundsatz verstehen. „Es gibt nun mal immer mehr Corona-Fälle.“Eine Kita-Schließung befürworte­t sie dennoch nicht.

Celina Frütel arbeitet als Erzieherin in der Kita Zauberster­ne in Buchholz. Sie ärgert sich vor allem über die Kommunikat­ionspoliti­k in der Corona-Krise. „Keiner weiß mehr so richtig, was eigentlich los ist“, sagt sie. Auch mehrere Eltern hätten am Mittwoch bereits verunsiche­rt in der Kita angerufen. In der Schließung­sdebatte selbst würde sich Frütel einen differenzi­erteren Ansatz wünschen. „Im Duisburger Süden sind die Corona-Zahlen relativ gering“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass die Situation der einzelnen Einrichtun­gen auch berücksich­tigt wird.

Auch Michael Reichelt ist beruhigt, dass er seine Kitas weiter offen halten darf. „Wir stehen hinter der Entscheidu­ng des Bundes“, sagt der Lebenshilf­e-Geschäftsf­ührer. „Kitas und Schulen schließen zuletzt und machen zuerst auf.“Für richtige Freude war die Wut aber am Donnerstag noch zu groß. „Was sollen Eltern von so einem Vorgang noch denken“, frage er sich. „Da braucht sich niemand zu wundern, wenn die Politikver­drossenhei­t weiter wächst.“

Der Schul-Streit war gerade abgeklunge­n, da begann in Duisburg der Kita-Streit. In beiden Fällen hat Oberbürger­meister Sören Link gegen die Landesregi­erung verloren. Kitas und Schulen bleiben trotz steigender Corona-Zahlen vorerst geöffnet. Das lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Link hat seine Macht überschätz­t oder er wusste, dass er verliert und wollte sich einfach nur profiliere­n. In beiden Fällen steht er nun schlecht da.

Verloren hat aber auch die Landesregi­erung. Vor allem Familienmi­nister Joachim Stamp trat am Mittwoch alles andere als souverän auf und versuchte seinen Widerstand gegen die Duisburger Pläne wahlweise inhaltlich oder formal zu begründen. Im besten Fall klang das nach Paragraphe­nreiterei, im schlechtes­ten nach krudem Inhalt. Wegen der „vielen Familien mit Einwanderu­ngsgeschic­hte“könne Duisburg die Kitas erst recht nicht schließen, sagte

Stamp. Was er damit sagen wollte, blieb der Deutung überlassen.

Verloren haben schließlic­h auch diejenigen, um die es eigentlich gehen sollte. Die Kinder und ihre Eltern. Erzieher und Kita-Betreiber berichten von zahlreiche­n Anrufen verunsiche­rter bis verzweifel­ter Eltern. Der Öffnungspl­an, den Bund und Länder erst vor rund zwei Wochen gemeinsam beschlosse­n haben, ist jetzt schon zur Farce verkommen. Wann die Notbremse wirklich gezogen wird? Ansichtssa­che. Welche Maßnahmen unter die Notbremse fallen? Mal sehen. So schwindet bei den Bürgern auch noch das letzte Vertrauen.

Marc Latsch

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FOTO: DPA Die Kitas in Duisburg bleiben vorerst geöffnet.
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