Rheinische Post - Xanten and Moers
Das Wimmern der Welpen
Ob von verschreckten Muttertieren verlassen oder von Menschen verschleppt: Rumäniens Bärennachwuchs machen nicht nur Abholzung und Jagd zu schaffen. Es mehren sich Hinweise auf den illegalen Handel mit Jungtieren.
BELGRAD/BUKAREST Das Gelächter der Peiniger übertönte das Wimmern ihrer pelzigen Opfer. Am Schlafittchen gepackt und aus ihrer warmen Höhle gezogen, landeten vier verschreckt fiepende Bärenwelpen im Schnee. Scherzend ließen sich ihre Peiniger in einem Wald im rumänischen Kreis Neamt Mitte Februar dabei filmen, wie sie mit grober Hand das Geschlecht ihrer mißhandelten Beutetiere zu bestimmen versuchten.
Ihr Dokumentations- und Facebook-Drang ist den Tierquälern zum Verhängnis geworden: Gegen vier identifizierte Waldarbeiter im Alter zwischen 35 und 51 Jahren ermittelt die rumänische Justiz inzwischen wegen des Verdachts der Misshandlung von Tieren und der Zerstörung des Nistplatzes der Bärenwelpen.
Die Täter versicherten zwar beim Polizeiverhör, dass sie die Welpen dort abgelegt hätten, wo sie sie gefunden hätten. Doch ob und wie ihre Opfer die Tortur überlebt haben, ist ungewiss. Tierschützer und Förster konnten trotz intensiver Suche keine Spur mehr von ihnen finden. Unklar bleibt, ob das Muttertier seine noch sehr kleinen Jungen wiedergefunden hat oder diese zu Opfern der Kälte oder von Wölfen wurden – oder von Menschen: Im Karpatenstaat mehren sich die Hinweise auf den illegalen Handel mit Bärenwelpen.
Kein Land in Europa beherbergt nach Russland so viele Braunbären wie Rumänien – und kaum irgendwo wird um deren Bestand so hart gerungen wie im Karpatenstaat. Auf
WIlderer nehmen mehrere Hundert Euro für die Beschaffung
eines Jungtiers
rund 6000 wird die Zahl der Braunbären von offiziellen Regierungsstellen, auf 10.000 von Jägerverbänden und auf 2000 bis 4000 von Tierschutzorganisationen geschätzt. Während Jäger und Landwirte auf vermehrte Abschüsse der eigentlich geschützten Sohlengänger dringen, machen Umweltschützer auch die fortschreitende Abholzung der Karpatenwälder für vermehrte Attacken sogenannter Problembären gegen den Menschen verantwortlich: Es sei das Schrumpfen ihres Lebensraums, das Bären auf Nahrungssuche selbst die Müllcontainer von Vororten durchstöbern lasse.
Seit 2015 ist die Zahl der genehmigten Abschüsse von Bären von zuvor 200 bis 250 auf 400 bis 450 pro Jahr gestiegen. Doch es sind nicht nur Jagdtouristen und Wilderer, kreischende Kettensägen, durch die Wälder knatternde Motocross-Fahrer oder verwilderte Hirtenhunde, die die Muttertiere verschrecken und ihrem in Panik zurückgelassenen Nachwuchs zu schaffen machen. Nach den Erkenntnissen heimischer Tierschützer floriert der illegale Handel mit Bärenfleisch, Jagdtrophäen und jungen Lebendtieren. Eine Annahme ist, dass diese aufgezogen werden, um geschlachtet zu werden. Eine andere These ist, dass die Welpen auf dem russischen oder ukrainischen Schwarzmarkt landen.
Mit versteckter Kamera filmten Reporter des Senders Pro TV schon 2018 lokale Wilderer, die für mehrere Hundert Euro pro Tier die Beschaffung von Bärenwelpen versprachen – eine Übergabe wurde allerdings nicht dokumentiert. Stichfeste Beweise für den Handel mit Bärenwelpen
gebe es noch kaum, aber es mehrten sich die Indizien, sagt Livia Cimpoeru von der Umweltschutzorganisation WWF in Bukarest.
So tauchten in Rumäniens sozialen Medien regelmäßig Aufnahmen von in Privathaushalten gehaltenen Bärenwelpen auf. Für landesweite Schlagzeilen sorgte 2019 der Fall eines Waldarbeiters in Harghita, der beim versuchten Raub von Bärenwelpen vom aufgebrachten Muttertier getötet wurde.
Mit einem 2020 in elf europäischen Staaten angelaufenenen Aktionsprogramm müht sich die WWF, den grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen der Justiz und Naturschützern über illegalen Tierhandel zu verbessern. Denn Rumänien ist keine Ausnahme: Auch in Staaten wie Tschechien, Albanien, der Ukraine oder Bosnien wurde in den vergangenen Jahren über den Handel mit Bärentrophäen, Bärenfleisch und Lebendtieren berichtet. Allein in der Ukraine wurden von 2010 bis 2019 nicht weniger als 2847 Exporte registriert – darunter 110 lebende, meist an Zoos oder Zirkusse verkaufte Sohlengänger.
Nach dem öffentlichen Aufschrei des Entsetzens über die misshandelten Bärenwelpen von Neamt scheint zumindest Bukarest der WWF-Forderung nach entschiedenerer Verfolgung des illegalen Bärenhandels endlich Gehör zu schenken. Sollte sich der bisher unbestätigte Verdacht des Handels mit Bärenwelpen erhärten, werde das Direktorat für Organisierte Kriminalität die Ermittlungen übernehmen, versichert Rumäniens Umweltminister Tanczos Barna: „Nichts wird bei den Ermittlungen vertuscht werden.“