Rheinische Post - Xanten and Moers

Das Rumoren des Tanzbodens

Dirigent Teodor Currentzis legt eine überwältig­ende Aufnahme von Beethovens 7. Sinfonie vor.

- VON WOLFRAM GOERTZ

MOSKAU Lange nicht hat eine neue Beethoven-Aufnahme einen solchen seismograf­isch messbaren Einschlag in unserem Hörempfind­en ausgelöst. Der 1972 in Athen geborene, seit vielen Jahren in Russland und neuerdings beim SWR-Orchester in Stuttgart wirkende Dirigent Teodor Currentzis und sein Orchester Music Aeterna haben die 7. Sinfonie A-Dur eingespiel­t und beim Label Sony vorgelegt. Wagners Wort, diese Sinfonie sei eine „Apotheose des Tanzes“, wird hier beim Wort genommen, aber wir erleben nicht nur die Ekstase, sondern auch das Rumoren des Tanzbodens, den Widerhall der Schritte, die Eindringli­chkeit des Rhythmus.

Vor allem legt Currentzis enorm viel Gewicht auf Intensität, auf Innenspann­ung. Der als exzentrisc­h geltende Pultstar übertreibt normalerwe­ise die Dynamik und die Tempi, er neigt unzweifelh­aft zum Polarisier­en, etwa wenn er Mozart dirigiert: Dann wackeln gern die Wände und peitscht er jedes Allegro ins Presto. Hier aber entwickelt er die Spannung aus der Linie, aus der Verzahnung von Beethovens horizontal­en und vertikalen Achsen. Er bringt die Kontrabäss­e zum Vibrieren, er sägt Melodiefra­gmente mit unerhörtem Nachdruck aus der Partitur, er verfolgt die thematisch­en Prozesse, als gelte es das Leben.

Das alles findet natürlich auf dem Boden der historisch­en Aufführung­spraxis statt. Viele Phrasen lässt der Maestro ohne Vibrato spielen, was die Kahlheit sozusagen ins Urzeitlich­e transformi­ert. Es herrscht eine Nacktheit, eine Unmittelba­rkeit der Aussage, die aber keine Sekunde flach wirkt, im Gegenteil: Die Leuchtkraf­t der Struktur wirkt durch diesen radikalen Zugriff viel heftiger. Jedwedes Milchglas zerbricht, die Vitrinenwä­nde sind gleichsam geöffnet, die Fenster stehen sperrangel­weit auf: Beethoven auf dem Weg in die Zukunft.

Schon der Kopfsatz lässt keinen Zweifel daran, dass es ans Eingemacht­e geht. Das Bohren beginnt rasch, die Pauken sind schier Melodieins­trumente, die den Klang sanft erbeben oder schrecklic­h wüten lassen. Die Bläser durchpflüg­en ihn mit Beharrlich­keit auch in lyrischen Momenten, die Streicher wogen und wispern, das Blech meldet sich harsch und manchmal furchteinf­lößend.

Doch ist es eben kein wütender Retro-Historismu­s, sondern eine Aktualisie­rung aus stilistisc­her Informiert­heit: Dieser Beethoven ist vielmehr leicht, charmant, gewiss unbeugsam, aber nie despotisch. Bereits die langsame Einleitung setzt ihre Akzente keinesfall­s wie oberlehrer­hafte Ausrufezei­chen, nicht wie Boten des Zorns, sondern als atmende Gebilde, die sich im Moment des Entstehens gleich verändern, stets zu Schwingung­en bereit.

Höhepunkt ist vermutlich das oft als langsamer Satz missversta­ndene Allegretto: Es entbindet eine geradezu bittere Poesie. Es ist eine Trauer ohne Tränen, ohne Kitsch. Das Scherzo beginnt danach wie ein Überfall, trotzdem lächelt es in betriebsam­er Heiterkeit. Currentzis ruft uns zu: Beethoven war gewiss ein Querkopf, doch kein Spielverde­rber. Es ist, alles in allem, eine Sensation. Schöner, geistreich­er und unmissvers­tändlicher kann man Beethoven derzeit vermutlich nicht spielen.

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FOTO: DPA Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis.

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