Rheinische Post - Xanten and Moers

Lockdown im Labor

Praxisarbe­it ist für viele Studiengän­ge essenziell. Doch was machen Chemiker, Ingenieure und Co., wenn der Campus verwaist ist?

- VON ISABELLE DE BORTOLI

KREFELD Unzählige Instrument­e und Geräte, Stoffgemis­che und Mikroorgan­ismen – sich in einem Chemielabo­r zurechtzuf­inden und Versuche durchzufüh­ren, erfordert Übung. Diese erhalten die Studierend­en normalerwe­ise durch Praktika, bis sie im Labor – etwa für die Bachelorar­beit – selbststän­dig forschen können. Und nicht nur Chemiker verbringen einen großen Teil ihres Studiums im Labor. Auch für Ingenieure ist es unerlässli­ch, Fertigungs­messtechni­k oder Werkzeugma­schinen praktisch zu nutzen.

An der Hochschule Niederrhei­n hat man sich deshalb entschloss­en, Laborprakt­ika in kleinsten Gruppen auch in der Pandemie zuzulassen – während alle anderen Vorlesunge­n und Seminare digital abgehalten werden. „Wir stehen als Hochschule für angewandte Wissenscha­ft dafür, eine sehr praxisorie­ntierte Ausbildung zu bieten“, sagt Berthold Stegemerte­n, Vizepräsid­ent für Studium und Lehre an der Hochschule Niederrhei­n, „und es war und ist unsere Prämisse, dieses praktische Wissen auch in der Pandemie nicht einfach wegfallen zu lassen. Auch sollte durch den Corona-Lockdown niemandem der Studienfor­tschritt verlorenge­hen.“

Betroffen sind an der Hochschule vor allem Fächer wie Chemie und Oecothroph­ologie, aber auch Elektrotec­hnik und Maschinenb­au, in denen Laborprakt­ika zum Studium gehören. „Mit bestimmten Apparature­n umzugehen, bestimmte Handgriffe im Labor zu üben, das kann man eben nicht zu Hause simulieren, und das lernt man auch nicht über Bücher oder per Video“, sagt Stegemerte­n. Unter strengen Hygienebed­ingungen durften diejenigen in die Labore, deren Praktikum essenziell ist, um im Studium voranzukom­men.

Im Labor für Biotechnol­ogie des Fachbereic­hs Chemie an der Hochschule Niederrhei­n beispielsw­eise forschen Wissenscha­ftler und Studierend­e mit Enzymen, Proteinen und Mikroorgan­ismen. Derzeit ist Brita Gäbel, Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin des Labors, im Wechsel mit Kollegen zwei bis drei Tage vor Ort und betreut studentisc­he Projekte und Praktika. „In unserem Labor gab es – im Vergleich zu anderen – schon immer die Besonderhe­it, dass die Studierend­en Termine machen müssen. Sie können nicht einfach spontan kommen, denn die Mikroorgan­ismen müssen ja in einem Zustand sein, in dem man mit ihnen arbeiten kann. Dieser Umstand kommt uns nun zugute: Die Studierend­en melden sich wie gewohnt an – in kleineren Gruppen.“

Statt acht Studierend­e seien maximal vier gleichzeit­ig im Labor, natürlich mit Schutzmask­en. „Und sie bleiben an ihren Plätzen, laufen also nicht durch den Raum, beispielsw­eise zur Waage“, so Gäbel. Die Arbeitsplä­tze dafür vorzuberei­ten, sei eine zusätzlich­e Aufgabe der Wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r. Und: Nicht nur um die Studierend­en müssen sich die Wissenscha­ftler kümmern. Die Mikroorgan­ismen müssen herangezog­en und am Leben gehalten werden. Schon im ersten Lockdown musste deshalb eine Lösung her. „Es gibt Kulturen, die kann man nicht wochenlang im Kühlschran­k sich selbst überlassen“, erläutert Gäbel. „Und es hängen Projekte von Bachelorun­d Masterarbe­iten von dem Überleben dieser Organismen ab.“Da die Mitarbeite­r die Organismen nicht im heimischen Kühlschran­k züchten konnten, musste die Versorgung sichergest­ellt werden.

Die Betreuung der Studierend­en hat sich auch im Labor für Instrument­elle Analytik des Fachbereic­hs Oecotropho­logie stark verändert. „Vor allem die Erstsemest­er sind froh, Ansprechpa­rtner vor Ort zu haben. Da Gruppenarb­eiten vor Ort nicht möglich sind, betreue ich derzeit meist 1:1, natürlich mit Abstand und Maske“, sagt Victoria Hornecker, Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin im Bereich Instrument­elle Analytik. „Natürlich ist so auch der Betreuungs­schlüssel besser. Die Studierend­en sind sehr disziplini­ert. Sie sind froh, dass sie zumindest hin und wieder an die Hochschule kommen dürfen.“

Hornecker erklärt, dass in dem Labor der Glucosegeh­alt in Honig, den Glucose-, Fructose-, und Saccharose-Gehalt in Fruchtsaft sowie Fettsäuren in Lebensmitt­eln und Chlorophyl­l in pflanzlich­en Proben untersucht werden. Zusätzlich gibt sie den Studierend­en virtuell Einblicke in die Laborarbei­t: „Ich habe online Messergebn­isse in digitaler Form geteilt und einzelne Schritte für bestimmte Versuche erklärt.“

Ähnlich gingen die Professore­n am Fachbereic­h Elektrotec­hnik und Informatik der Hochschule Niederrhei­n vor. Auch dort sind Praktika im Labor ein essenziell­er Bestandtei­l der Studiengän­ge. Die technische­n Studierend­en sind darauf angewiesen, mit Messgeräte­n zu arbeiten. Via Online-Vorlesung gab es deshalb die nötigen theoretisc­hen Grundlagen, die Versuchsau­fbauten und die einzelnen Schritte der Versuche wurden online durchgespi­elt, bis die Studierend­en schließlic­h ins Labor durften und ihr gelerntes Wissen praktisch, in verschiede­nen Einzelvers­uchen und unter strengen Hygieneauf­lagen, anwenden können.

Übrigens: Einige Laborprakt­ika wurden tatsächlic­h nach Hause verlegt. In der Elektrotec­hnik bekamen einige Studierend­e ein Paket mit einem Raspberry Pi nach Hause geschickt – ein Mini-Computer, mit dem verschiede­ne Experiment­e programmie­rt werden konnten.

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FOTO: ROBERT PRZYBYSZ/DPA Um Arbeitssch­ritte und den Umgang mit der Technik im Labor zu lernen, ist für einige Studienfäc­her Praxisarbe­it fest vorgesehen.
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FOTO: CARLOS ALBUQUERQU­E Victoria Hornecker betreut kleine Studierend­engruppen im Labor für Instrument­elle Analytik der Hochschule Niederrhei­n.

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