Rheinische Post - Xanten and Moers
„Wir wollen neue Systeme entwickeln“
Peter Giesen, Vorstandsmitglied der Niederrheinischen Verkehrsbetriebe AG (Niag), und Christian Kleinenhammann über Verbesserungen im ÖPNV, günstigere Tickets und alternative Antriebsformen.
KREIS WESEL Unsere Redaktion hat sich für Freitagmorgen, 8 Uhr, zum Telefoninterview verabredet. Um exakt 8.01 Uhr klingelt bereits das Smartphone. Peter Giesen (61), Vorstandsmitglied der Niag, schaltet seinen Kollegen Christian Kleinenhammann (42) dazu. Man habe knapp eine Stunde Zeit bis zum nächsten Termin, betont das Duo. Dann mal los.
Wann sind Sie zum letzten Mal privat mit einem Bus der Niag gefahren?
GIESEN Im Februar mit meinem Enkel. Und zwar von meinem Wohnort Xanten nach Moers und von dort nach Duisburg. Der Enkel wollte mal Bus und Zug fahren. Mit Hilfe des Handytickets war das spontan auch alles möglich – einsteigen und losfahren.
Hat alles geklappt?
GIESEN Alles hat geklappt. KLEINENHAMMANN Vor zwei Wochen mit dem Wasserstoffbus, den wir getestet haben.
Ich meine Ihre letzte private Fahrt. KLEINENHAMMANN Ende Januar von meinem Wohnort Aldekerk nach Kempen.
Mit Kunden wie Ihnen kann die Niag aber nicht viel verdienen. GIESEN Wir sind Jedermann-Kunden, also Fahrgäste, die nach Bedarf mit der Niag unterwegs sind. Auch die sind uns wichtig. Den größten Teil unserer Kunden machen Schüler und Berufspendler aus. Und natürlich Leute, die unsere Busse in ihrer Freizeit nutzen.
Wenn man in seiner Freizeit beispielsweise von Ginderich auf der linken Rheinseite nach 18 Uhr nach Wesel und am späten Abend wieder zurückfahren möchte, ist das mit dem ÖPNV kaum möglich. GIESEN Das kann man so nicht sagen. Es gibt elektronische Möglichkeiten für die optimalen Fahrtrouten – auch mit unterschiedlichen Verkehrsträgern. Da werden einem die Busverbindungen, der Tarif und die Fahrzeiten mitgeteilt. KLEINENHAMMANN Es gibt ein flexibles System. Bei Bedarf können die Fahrten auch über Taxen gebucht werden. Generell ist es so, dass die Aufgabenträger, also unter anderem der Kreis Wesel, Leistungen an die Verkehrsunternehmen auf Basis des Nahverkehrsplans vergeben. GIESEN Um es klar zu sagen: Der Kreis ist derjenige, der den Umfang des Angebotes bestimmt. Der Fahrplan wird vom Kreis genehmigt.
Viele Bürger wünschen sich, dass das ÖPNV-Angebot besser wird. Dann würden Busse auch mehr genutzt. Was kann denn die Niag tun, um dieses Ziel langfristig zu erreichen?
KLEINENHAMMANN Wir sehen uns als Mobilitätsunternehmen und Dienstleister und wollen die unterschiedlichen Verkehrssysteme – also Rad, Schiene und Bus – noch besser miteinander verknüpfen. Da muss ein flexibles System her, das mit der Politik, den Kreisen Wesel und Kleve und den Kommunen erstellt wird. Einen Vorschlag für ein solches System wollen wir noch im Frühjahr bei Kreisen und Kommunen vorstellen, voraussichtlich Ende Mai.
GIESEN Wir haben einen Kommunalbeirat, in dem die beiden Landräte und alle Bürgermeister Mitglieder sind. In diesem Beirat wollen wir die verschiedenen Mobilitätsformen aufzeigen und gemeinsam mit den Entscheidern neue Konzept entwickeln.
Wenn das Konzept Ende Mai vorgestellt werden soll, gibt es doch sicher schon Vorschläge der Niag, die in das Konzept mit einfließen sollen.
KLEINENHAMMANN Das Angebot der Sammelanruftaxis und der Taxibusse könnte weiter ausgebaut werden. Und in die bestehenden Systeme könnten Car- und E-Bike-Sharing sowie On-Demand-Verkehr, also eine Bestellung auf Zuruf, integriert werden. Natürlich ist es wichtig, diese Angebote künftig noch besser zu kommunizieren und weiterhin zu digitalisieren. Gleichzeitig wollen wir aber auch neue Systeme entwickeln. Wir bekommen die Menschen im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes nur aus den Autos, wenn wir nicht nur die Quantität verbessern, sondern auch die Qualität. Und natürlich könnten wir mit diesen Ergänzungen noch flexibler auf Kundenwünsche reagieren. Nur so können alle Verantwortlichen im Verkehrsbereich den Herausforderungen der Verkehrswende gerecht werden.
Ein Kritikpunkt von Nutzern des ÖPNV sind die Ticketpreise, die vielen einfach zu hoch sind. KLEINENHAMMANN Die Ticketpreise werden durch den Verkehrsverbund VRR bestimmt. Sie sind Bestandteil der Gesamtfinanzierung. Wenn man eine höhere Preisattraktivität erreichen will, müsste die Finanzierung auf weitere Füße gestellt werden.
Was könnten das für Füße sein?
KLEINENHAMMANN Fördermittel beziehungsweise Zuschüsse von Bund oder Land zum Beispiel. Im Moment ist es so, dass die Ticketpreis das System mitfinanzieren.
GIESEN Wir haben eine Kombination aus Nutzerfinanzierung und Fremdfinanzierung. Wenn die Nutzerfinanzierung gesenkt wird, muss automatisch die Fremdfinanzierung steigen. Die Festsetzung der Preise ist eine politische Entscheidung. Und wir als Verkehrsunternehmen legen Wert darauf, dass die Leistung, die wir erbringen, auskömmlich bezahlt wird. Wie das passiert, ist Angelegenheit der Auftraggeber.
Herr Kleinenhammann, Sie sprachen vorhin von der Probefahrt mit einem Wasserstoff-Bus. Wird die Niag ein solches Modell vielleicht anschaffen? Wie waren die Erfahrungen?
KLEINENHAMMANN Wir haben kürzlich nicht nur Wasserstoffbusse getestet, sondern im November zwei
Wochen lang auch Elektrobusse. Hier ging es natürlich vor allem darum, ob die Reichweite ausreicht. Die positiven Ergebnisse der Testphasen werden in dem Konzept stehen, das wir im besagten Kommunalrat vorstellen werden. Die Politik muss dann entscheiden, in welchem Umfang unser aus 330 Fahrzeugen bestehender Fuhrpark auf alternative Antriebsformen umgestellt werden soll. Kurz- und mittelfristig halten wir den Einsatz von E-Bussen für sinnvoll, perspektivisch, wenn es mehr passende Tankstellen gibt, auch Wasserstoffbusse.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wir kommen jetzt zum Thema Corona-Pandemie, das uns nun schon bereits seit mehr als einem Jahr beschäftigt. Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf Ihr Geschäft?
KLEINENHAMMANN Die Krise hat Auswirkungen auf die gesamte Branche, besonders auf die Fahrgastzahlen und Einnahmen. Es hat große wirtschaftliche Belastungen gegeben, die allerdings im Rahmen des Rettungsschirmes ausgeglichen wurden. In der Branche hoffen wir auch für 2021 auf einen solchen Rettungsschirm, die Pandemie läuft ja weiter.
Die Niag-Busfahrer haben auf ihren täglichen Fahrten Kontakt zu vielen Fahrgästen. Da ist das Infektionsrisiko hoch. Gab es bei Ihnen positiv getestete Fahrer? KLEINENHAMMANN Nein. Das zeigt, dass alle Corona-Schutzmaßnahmen gewirkt haben. Unsere Fahrer finden übrigens in der nächsten Impfklasse Berücksichtigung.
Eine letzte Frage: Ich gehe mal schwer davon aus, dass die Niag als bekannter Arbeitgeber genügend Bewerbungen von jungen Leuten bekommt. In welchen Berufen bilden Sie aus? Wie viele Azubis starten im Sommer? KLEINENHAMMANN Aktuell bilden wir 22 junge Leute zu Kaufleuten im Büromanagement, als Busfahrer und Lokführer, zu Hafen- und Werkstattmitarbeitern aus. Zum 1. August stellen wir acht neue Lehrlinge ein. Wir sind und bleiben ein großer Ausbildungsbetrieb. Auch wenn wir schon viele Bewerber haben, freuen wir uns immer über weitere Bewerber. Ich bin überzeugt, dass die Mobilitätsbranche, die wirklich spannend ist, weiter an Attraktivität gewinnen wird. Denn wir sind wichtig für Umwelt- und Klimaschutz.