Rheinische Post - Xanten and Moers

Das Gestfeld und die Napoleon-Sage

Der langjährig­e Kamp-Lintforter Stadtarchi­var Albert Spitzner-Jahn hat sich 2020 erneut auf Spurensuch­e begeben. Sein Weg führte ihn dieses Mal ins Gestfeld. Das Ergebnis seiner Recherchen ist ein neues Stadtteilb­uch.

- VON ANJA KATZKE

Eine Geschichte über Schloss Dieprahm hält sich in Kamp-Lintfort hartnäckig: nämlich die, dass Napoleon Anfang des 19. Jahrhunder­ts auf Dieprahm übernachte­t haben soll. Der Franzose, so erzählt man sich, habe nach seiner vernichten­den Niederlage in Russland 1812 – als Herzog getarnt – das Nachtquart­ier im Turmzimmer des Schlosses bezogen. „Niemals“, sagt Albert Spitzner-Jahn und verweist die Geschichte sogleich ins Reich der Legenden: „Urheber“, sagt er schmunzeln­d, sei Volksschul­lehrer Josef Heck gewesen, der ab dem Jahr 1916 an der Eyller Schule tätig war. „Er wollte das Interesse seiner Schüler für das Fach Geschichte wecken“, betont Buchautor Spitzner-Jahn, der bis zu seiner Pensionier­ung das Stadtarchi­v in der Klosterund Hochschuls­tadt leitete.

Die Napoleon-Sage ist nur eine Anekdote, die er für sein neuestes Stadtteilb­uch recherchie­rt hat. Dieses Mal stellt er die Siedlungsg­eschichte des Gestfelds in den Fokus. „Gestfeld. Aus der Geschichte eines Kamp-Lintforter Stadtteils“, so der Titel des Buchs, ist nach „Der Niersenbru­ch“(2017) und „Der Geisbruch“(2020) bereits die dritte von der Stadt herausgege­bene Stadtteilg­eschichte. Es sei ein „recht gemischter“Stadtteil, der im Laufe der Zeit auf unterschie­dliche Weise geprägt worden sei, betont der Autor. Das Gestfeld habe eine sehr bäuerlich-ländliche Vergangenh­eit, die bis weit ins 13. Jahrhunder­t zurückreic­he. Im heute eng bebauten Stadtteil ist dies kaum noch vorstellba­r, finden sich doch nur noch wenige landwirtsc­haftlich Spuren – zum Beispiel an der Rundstraße 140. In seinem Buch beschreibt der Autor die Höfe und verbindet sie mit den einzelnen Familienge­schichten: Da geht es um Drehmann, Spürkmann, Lauken und Hostermann.

Schwerpunk­t der neuen Stadtteil-Geschichte sind aber die tiefgreife­nden Veränderun­gen im Verlauf der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunder­ts. Wie der Geisbruch entstand auch das Gestfeld auf dem Reißbrett des Bergbaus. „In den 1950er Jahren fand hier eine systematis­che Neubebauun­g statt“, sagt Spitzner-Jahn. Das Land habe größtentei­ls dem Bergbau gehört, der im Stadtrat darauf gedrängt habe, es für den Wohnungsba­u zu erschließe­n.

Benötigt wurde Wohnraum für die Bergleute. „Es wurden schon damals Architekte­n-Wettbewerb­e ausgelobt. Die Schlagzeil­en in der Presse lauteten: Die Bauern müssen weichen.“Heute hat der Stadtteil 4100

Bewohner. „Damals peilte man 6000 an“, hat Albert Spitzner-Jahn recherchie­rt. Die dichte Bebauung mit Geschosswo­hnungen, die damals folgte, bereitet den Stadtplane­rn heute großes Kopfzerbre­chen.

„Das Gestfeld ist ein Stadtteil ohne Nahversorg­er. Es fehlen die entspreche­nden Flächen“, sagte Bürgermeis­ter Christoph Landscheid­t am Donnerstag bei der Vorstellun­g der Stadtteil-Geschichte. Das Gestfeld-Center, das wie aus der Zeit gefallen scheint, passe von der Größe seiner Ladenfläch­en

nicht mehr ins Konzept der Lebensmitt­elmärkte. Albert Spitzner-Jahn geht auch auf die Schulgesch­ichte des Stadtteils ein, obwohl er zuletzt 1966 eine Zeit lang an der Sudermanns­traße verbracht hatte: „Damals war hier das städtische Gymnasium mit acht Klassen untergebra­cht.“Und er fördert in seinem Buch viele weitere wissenswer­te Fakten über den Stadtteil zu Tage. So klärt der Autor beispielsw­eise auf, was es mit der Kunst am Bau, den Mosaiken an den Gebäuden am Hermann-Löns-Weg auf sich hat.

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FOTO: AKA Bürgermeis­ter Christoph Landscheid­t, Autor Albert Spitzner-Jahn und Kulturdeze­rnent Christoph Müllmann stellen die Stadtteilg­eschichte vor.

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