Rheinische Post - Xanten and Moers
In Holland ist auch nicht alles besser
Seit mehr als zwei Jahrzehnten staune ich als Journalist über die Deutschen. Überall gibt es inzwischen schnelleres Internet als in Deutschland, egal ob in Osteuropa oder auf dem Balkan. Obwohl die Deutschen mal als technische Pioniere, als Land der fleißigen Tüftler galten. Spätestens nach dem Dieselskandal und dem Berliner Flughafendrama bekam „Made in Germany“einen faden Beigeschmack.
Nach einem Jahr Corona-Pandemie macht sich das besonders bemerkbar. Egal wie viel ich für meinen Job als Reporter reise, wie viele verspätete Regionalbahnen oder Backshops ich besuche, meine Corona-Warn-App weist immer null Risiko-Begegnungen aus. Trotz vieler Millionen Euro von Herrn Spahn und bestimmt Abertausender sündhaft teurer Beraterstunden ist das Ding ein einziger Flop.
Weil der deutsche Datenschutz heilig ist, wie auch das grenzenlose Vertrauen in das Europa von Frau von der Leyen, das die Impfstoffbeschaffung im Sommer von Angela Merkel zugewiesen bekam. Was folgte, ist ein Elend, das gerade auch das Image der deutschen Regierung ramponiert. Mit viel Schadenfreude schaute man lange auf die USA und Großbritannien, aber diese Länder machen gerade vor, wie man unbürokratisch und rund um die Uhr impft.
Ich durfte Ende Dezember der Öffnung des ersten Berliner Impfzentrums beiwohnen. Alles war perfekt organisiert, so wie man es von Deutschland eben erwartet. Nur: Es kamen kaum Impfwillige. Und auch nach einem Jahr wird in der Bundesrepublik zu wenig getestet. Vieles wurde versprochen und kurz darauf gebrochen. Warum die vielen Tausend Arztpraxen des Landes noch immer nicht zu Impfstationen geworden sind, ist mir ein Rätsel.
Aber es gibt einen Trost. In Holland ist auch nicht alles besser. Auch dort vergaß der Corona-Minister die Distanzregeln, ebenso wie der Innenminister, der eine hübsche Hochzeit feierte. Bis Dezember waren Masken im kleinen Königreich an der Nordsee keineswegs
Pflicht. Und bei Partys von Thierry Baudets Corona-Leugner-Partei, die als politische Demonstrationen getarnt waren, tanzten Wutbürger die Polonaise.
Man sagt bei uns: „Bei den Nachbarn ist der Rasen immer grüner.“Für die Holländer mag das stimmen, da die deutschen Inzidenzzahlen besser sind. Täglich infizieren sich in den Niederlanden genauso viele Menschen wie in Deutschland, obwohl wir fast fünfmal weniger Einwohner haben.
Für die Deutschen stimmt leider der alte Spruch von Heinrich Heine nicht mehr. Bei Katastrophen, so soll der Schöngeist gemeint haben, müsse man nach Holland gehen, weil dort eh alles später passiert. Vergangene Woche jedoch wurde dort der liberale Ministerpräsident Mark Rutte wiedergewählt, der sich mit seiner laschen Haltung durch die vielen Lockdowns lavierte.
In Deutschland kann die CDU als langjährige Regierungspartei dagegen nicht profitieren. Zwischen Aachen und Berchtesgaden hat gerade die Kleinstaaterei mit ihren Ministerpräsidentenkonferenzen Konjunktur. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurden die Regierungschefs bei den Landtagswahlen bestätigt. Keine Experimente, so lautete dort das Credo.
In Berlin sieht das anders aus. Da wird Angela Merkel nach 16 Jahren Abschied nehmen, und sie hinterlässt eine riesige politische Lücke. Viele Deutsche sind zwar unzufrieden mit der Bewältigung der Pandemie, aber ein Blick über die Grenzen zeigt, dass woanders in Europa vieles schlechter funktioniert. Gemessen an der Bevölkerung haben die meisten Länder mehr Covid-19-Sterbefälle. Das deutsche Gesundheitssystem ist zwar teuer, die Bürokratie ist groß – aber die Leistung doch besser als anderswo.
Der Autor ist Korrespondent für die niederländische Zeitung „De Telegraaf“und lebt seit 1998 in Berlin.