Rheinische Post - Xanten and Moers
Brennpunkt Pflege
Beim Pflegepersonal droht Deutschland der große Abgang. Viele wollen den Beruf laut einer Umfrage aufgeben. In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich das nach einem Jahr Pandemie noch nicht ab.
Es hat keinen Neuigkeitswert, dass Krankenpflege ein Knochenjob ist. Harte, körperliche Arbeit, immer mehr Bürokratie, Schichtdienste, Wochenendarbeit, kaum Aufstiegschancen und vor allem unverhältnismäßige Bezahlung waren auch schon vor der Corona-Pandemie gute Argumente gegen diesen Beruf. Die mangelnde Anerkennung für die Arbeit in einer der wichtigsten Branchen des Sozialstaates hatte sich zumindest kurzzeitig geändert – in eine regelrechte Euphorie des vom Balkon applaudierenden Volkes, das den Alltagshelden dankte.
Von der zweiten und dritten Infektionswelle weit entfernt, wurden schon damals die Forderungen laut, die Berufsgruppe statt mit Beifall lieber mit besseren Arbeitsbedingungen zu belohnen. Doch abseits einer einmaligen Corona-Prämie von höchstens 1500 Euro pro Person hat sich seither nicht viel getan. Da ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) wenig überraschend, das in diesen Tagen das Thema hochhält: Ein Drittel aller Befragten denkt demnach regelmäßig über einen Ausstieg aus dem Pflegeberuf nach. Unter den 3500 Teilnehmern waren vor allem Krankenhausmitarbeiter (63 Prozent), insgesamt gab jeder Dritte an, auf einer Covid- oder Intensivstation zu arbeiten.
Es sind die Brennpunkte der Republik, die es seit mehr als einem Jahr dringend gilt, gering zu halten. Die Auslastung der Intensivstationen in deutschen Kliniken ist früh zum Indikator für die Corona-Lage geworden – auch aus Ehrfurcht gegenüber der damals so dramatischen Situation im italienischen Bergamo. Das Gesundheitssystem hierzulande mag im internationalen Vergleich glänzen, ein Blick in den Alltag des Personals zeigt: Die Menschen arbeiten oft körperlich und psychisch an der Belastungsgrenze. Während in der ersten Welle laut DBfK-Umfrage fehlende Schutzausrüstung große Sorgen bereitete, ist es in der zweiten und dritten Welle immer noch die Angst vor einer Ansteckung während der Arbeit und der permanente Personalmangel, den jeder zweite Befragte in noch stärkerem Ausmaß befürchtet, wenn die Pandemie vorbei ist. Unter dem Punkt Personal am häufigsten genannte: genereller Mangel, unzureichende Qualifikation, vermehrter Ausfall durch Infektionen und hohes Durchschnittsalter der Kollegen. Tatsächlich werden innerhalb der nächsten zwölf Jahre
500.000 Pflegefachkräfte das Rentenalter erreichen und ganz planmäßig ausscheiden. Ob und wie viele Menschen in der Pflege zusätzlich ihre Überlegungen in die Tat umsetzen und den Beruf aufgeben, ist unklar. Zwar zählt die Bundesagentur für Arbeit zwischen Anfang April und Ende Juli 2020 – nach der ersten Welle also –
9000 Berufsaussteiger bundesweit, als Antwort auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion. Pflegeverbände können darin aber keinen Zusammenhang mit der Pandemie erkennen. „Solange hierzu keine detaillierte Veröffentlichung vorliegt, sind diese Zahlen schwer zu bewerten und einzuordnen“, heißt es vom DBfK-Nordwest auf Anfrage. Die Datenlage in dem Bereich sei dürftig, wie oft im Bereich Pflege. Das zeige sich auch am Beispiel der Ausbildungszahlen, die laut Bundesregierung zwar steigen, „allerdings ist die Abbrecherquote mit geschätzt mindestens
30 Prozent ebenfalls sehr hoch“, sagt eine DBfK-Sprecherin. Dass es zu Aussteigern, Abbrechern oder zur Zahl der Pflegekräfte in Deutschland keine validen Daten gibt, kritisiert auch Christine Vogler, Vizepräsidentin vom Deutschen Pflegerat. Im europäischen Ausland sei eine staatliche Pflegeberichterstattung
„Was wir hören und wahrnehmen,
ist wachsende Unzufriedenheit“
Eine DBfK-Sprecherin