Rheinische Post - Xanten and Moers
Das Herz des Hospizes geht von Bord
Beate Bergmann hat die Hospizarbeit der St.-Josef-Krankenhaus-Gesellschaft Moers ab 1995 aufgebaut und das Haus Sonnenschein in Rheinberg vom ersten Tag an geleitet. Jetzt geht sie nach 26 Jahren in den Ruhestand.
RHEINBERG Mit dem Tod kam Beate Bergmann schon früh in Berührung. „Als ich 14 oder 15 war, ist ein guter Freund gestorben. Das hat uns damals alle ganz schön mitgenommen“, erzählt sie. Und als sie mit
17 Jahren eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester begann, kamen berufliche Erfahrungen hinzu, wie sie erzählt. „Das war in den 70er Jahren. Damals sind noch weit mehr Säuglinge gestorben als heute.“Sie habe es als würdelos empfunden, wenn die Leichname der Kleinen ganz unpersönlich in eine Windel gewickelt und anschließend in die Leichenhalle gebracht worden sind. Beate Bergmann: „Ich habe die verstorbenen Babys angekleidet, auch wenn ich die Kindersachen selbst kaufen musste.“
Vermutlich legten diese Erfahrungen schon die Basis für ihre spätere Arbeit. Denn viele Jahre später baute Beate Bergmann für die Krankenhausgesellschaft St. Josef Moers die Hospizarbeit auf und leitete das Haus Sonnenschein in Rheinberg vom ersten Tag an. Zum 1. April geht sie nun, einen Tag vor ihrem 65. Geburtstag, in den beruflichen Ruhestand. Sie geht als der kreative Kopf, das Herz und das Gesicht des einzigen Hospizes im Kreis Wesel.
„Ich fand das Thema Hospizarbeit schon als junge Kinderkrankenschwester spannend“, so Beate Bergmann. „Der Lebensanfang und das Lebensende haben viel gemeinsam.“
Die Mülheimerin blieb zunächst in ihrem Beruf, arbeitete später in einem Weseler Krankenhaus, bekam zwei Töchter und studierte dann Sozialpädagogik. Sie arbeitete in der Erwachsenenbildung und landete
1995 bei St. Josef in Moers – in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Zusammen mit Ulrike Wellner, die heute Vorsitzende des Fördervereins für das Rheinberger Hospiz ist.
„Ich kam schon mit der Intention zu St. Josef, Hospizarbeit aufzubauen“, schildert Beate Bergmann. Ab
1995 seien Vorbereitungen getroffen worden, 1996 wurde die erste Gruppe ehrenamtlicher Mitarbeiter geschult, im selben Jahr nahm die erste Gruppe ambulanter Begleiter ihren Dienst auf. Parallel dazu sei die Idee gereift, ein stationäres Hospiz aufzubauen. „Das sollte eigentlich in Moers sein“, erinnert sich die Pionierin. Aber dann stand das Haus Sonnenschein, das ehemalige Schwesternheim des Rheinberger St-.Nikolaus-Krankenhauses, zur Verfügung.
Am 1. Juli 1998 wurde das Haus an der Moerser Straße eröffnet. Nur wenige Tage später kam der erste Bewohner, um im Hospiz seine letzten Lebenstage zu verbringen. „Ein vier Monate altes Mädchen, das werden wir alle niemals vergessen“, sagt Beate Bergmann. Und erzählt, dass das Schicksal dieses kleinen Kindes sehr heilsam gewirkt habe auf alle, die mit ihm zu tun hatten. „Wir haben sehr schnell begriffen, dass Tod nichts mit Alter zu tun hat und dass jeder Mensch eine bestimmte Lebenszeit bekommt“, so die Sozialpädagogin. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass 90-jährige Menschen den Tod mitunter schwerer akzeptieren können als 40-jährige.
Vom ersten Tag an ging es darum, Menschen, die den Tod vor Augen haben, den Abschied aus dem Leben so würdevoll und angenehm wie möglich zu machen. Das bedeutet auch: Steht einem Bewohner mitten in der Nacht der Sinn nach einer besonderen Leckerei, dann wird sie beschafft. Beate Bergmann: „Wenn jemand nach einem Spiegelei
verlangt, dann wird es ihm gebraten.“Und natürlich gehörte vieles mehr zu dieser Begleitung: Gespräche, Trost, einfach mal die Hand halten, zuhören.
So kamen viele Menschen zum Sterben in das Haus mit dem so hoffnungsfroh und versöhnlich klingenden Namen. Acht Zimmer für acht Bewohner standen im Haus Sonnenschein zur Verfügung. Bei 95 bis 98 Prozent liegt die durchschnittliche Auslastung. Rund 100 Menschen sind pro Jahr im Hospiz gestorben, mehr als 2000 bisher. Gekommen sind große und kleine, arme und reiche, dicke und dünne, schlaue und weniger schlaue, fröhliche und traurige. „So ein Hospiz ist ein kleiner Kosmos“, sagt die nun ehemalige Leitern, die immer den Eindruck macht, als könne es ihr nichts anhaben, dass ein Hospiz immer die letzte Herberge im Leben ist. Sie wirkt stets ausgeglichen, entspannt, aufgeräumt, in sich selber ruhend. „Das Haus ist meine berufliche Heimat geworden“, versichert sie.
26 Jahre lang war sie mit vollem Einsatz für die Einrichtung, die Mitarbeiter und Bewohner, aber auch für die vielen Unterstützer, Förderer und Gönner, da. „Man muss gut aufpassen, dass man nicht irgendwann glaubt, alles, was krank macht, ist auch böse“, sagt Bergmann. „Denn anders als bei uns im Hospiz werden Menschen in Krankenhäusern ja meistens wieder gesund und sterben nicht gleich.“
Ein paar Grundsätze habe sie in den vielen Jahren gepflegt, sagt
Beate Bergmann. Etwa den: Wenn ich nicht im Dienst bin, möchte ich auch nicht erreichbar sein. Sie habe sich nicht immer rund um die Uhr um alles kümmern müssen, weil sie sich auf ihre Mitarbeiter habe verlassen können. Und sie sagt: „Zu Hause bin ich ein ganz anderer Mensch. Da spielt das Hospiz keine Rolle. Man muss eine gewisse Distanz halten, sonst hält man das auf Dauer nicht durch.“
Privat ist sie viel und gerne an der frischen Luft, beschäftigt sich gerne mit ihren beiden Enkelkindern Theo (4) und Klara (1). Nun, als Rentnerin, will sie „irgendwas tun, aber nichts, was mit Hospizarbeit zu tun hat“. Das habe sie 26 Jahre lang mit Hingabe und Leidenschaft gemacht. „Jetzt ist auch mal gut“, betont sie. Keine Fachzeitungen oder -bücher lesen, keine Vorträge halten, und ihren Kollegen will sie ganz gewiss nicht auf die Nerven gehen. Allerdings werde sie einfaches Mitglied im Förderverein bleiben.
Fast zeitgleich mit ihrem beruflichen Ausscheiden ist das neue Haus Sonnenschein gleich neben dem alten fertig geworden. Ein schicker Neubau mit zehn Bewohnerzimmern. Beate Bergmann gibt zu, dass sie dort gerne noch eine Weile gearbeitet hätte. Es ist anders gekommen. Umso mehr freut sie sich für ihre Kollegen. Ansonsten, so sagt die Neu-Rentnerin, sei sie dankbar und freue sich auf einen neuen Lebensabschnitt – ganz ohne Verpflichtungen. Das sind doch gute Aussichten.